Auf meinem Weg durch Wahren fühle ich mich plötzlich an den Film "Der Knochenmann" erinnert, rätsele über Werbeschilder der LWB und erschrecke eine vermutliche Bäckerei-Pauschalkraft. Verarbeiten kann ich das auf der lauten, unebenen Nordmagistrale nicht ...

Nach der Enttäuschung im Wahrener Rathaus giere ich nach neuen Abenteuern und gehe ungeplant die Linkelstraße weiter Richtung Lindenthal. Ein paar Mal bin ich die Straße mit dem Auto langgefahren, das eigenwillige Fluidum dieses Teilabschnitts ist mir dabei nie aufgefallen. Gleich zwei Bestattungsunternehmen befinden sich auf dem 210 Meter langen Stück. Einer Freundin, deren täglicher Arbeitsweg dies ist, erzähle ich wenige Tage später von meinen Empfindungen, die mich auf meinem Weg beschäftigen. Sie zeigt sich erwartungsgemäß wenig überrascht und unterrichtet mich, dass sie es noch viel gruseliger findet, dass sich hier sogar zwei Fleischer befinden. “Einer ist so ein richtiger Hinterhoffleischer. Wer weiß, was die dort machen…” Während dieses Satzes muss ich spontan an den Film “Der Knochenmann” denken.

Als ich auf meiner Tour die Straße entlanglaufe, parkt zufällig auch noch ein Auto mit der Heckscheibenaufschrift “Blutengel” am Straßenrand. Das kann doch kein Zufall sein. Die Wohnhäuser tragen ihren Anteil zu meiner Skepsis bei. Einige Klingelbretter sind mehrmals überschrieben, eines angekokelt. Die LWB will eines ihrer Objekte in der Straße verkaufen, wie ich auf einem Schild lese.
Schnell will ich weg und biege in die Stammerstraße Richtung Osten. Hier ist es wenigstens ruhiger und Wohnhäuser gibt es nur in den Querstraßen. Beispielsweise in der Hopfenbergstraße, wo ein großes Schild der LWB damit wirbt, dass diese Häuser einen 4.432 m² großen Innenhof haben. Was soll man sich denn bitte unter dieser Zahl vorstellen können? Ist das jetzt ein Innenhof so groß wie ein Fußballfeld oder so groß wie eine handelsübliche Gartenparzelle? Zudem versucht die LWB seinen Mietern die Wohnung mit dem Versprechen schmackhaft zu machen, dass man von diesen einen “Blick ins Tiefgrüne” hat. Was ist das nun schon wieder? Ein Euphemismus für schwarz? Der vergebliche Versuch, das Gegenteil von hellgrün zu finden?

Grün – und hier erlaube ich mir keine Abstufung – sind jedenfalls die Gärten am Viadukt, an denen ich auf meinem Weg nach Möckern vorbeilaufe. Aber ob die Gartenfreunde hier ob des Zugverkehrs viel Erholung und Ruhe finden? Immerhin: Zurzeit besteht Hoffnung, dass kein Zug der Deutschen Bahn vorbeikommt…
Ich suche derweil verzweifelt die Karl-Helbig-Straße, um die Georg-Schumann-Straße zu meiden, doch um zu ihr zu kommen, muss man anscheinend durch die Gartensparte. Mein Bauch sagt mir allerdings, dass nach über drei Stunden der kleine Hunger schon da ist und die Chancen auf etwas Festes auf der Georg-Schumann-Straße dann doch ungleich größer sind.

Es widerstrebt mir eigentlich, aber ich muss das neue Kaufland direkt am Viadukt betreten. Hoffnung darauf, dass hier ein echter Bäcker zu finden ist, habe ich keine und werde so auch nicht enttäuscht. Einer der Branchengrößen hat sich hier ausgebreitet. Als sich eine der Mitarbeiterinnen von den Verkaufsregalen umdreht, um den nächsten Kunden – aka mich – zu bedienen, erschreckt sie. Einen angeschwitzten jungen Mann in Wanderklamotten hatte sie wohl nicht erwartet. Kritisch mustert sie mich, ehe sie mir das größte Brötchen anbietet, was sie da hat. Neben mir unterhält sich ein Ehepaar mit einem Bekannten. “Und, was machst du heute noch?”, “Ich muss jetzt in den Garten. Die Tomaten kommen langsam. Da muss ich noch was vorbereiten.”

Die Schriftzüge auf Häusern, Mauern und Stromkästen auf der Georg-Schumann-Straße zeigen die Zerrissenheit des Stadtteils: Auf einem Stromkasten stand einst “No Nazis RSL…”. Bis auf Nazis ist alles durchgestrichen. In der Hopfenbergstraße hatte ich einen Stromkasten gesehen, auf dem der Schriftzug” BSG Chemie” mit “Lok” überschrieben worden ist.

Schon nach wenigen Metern habe ich genug von der lauten Georg-Schumann-Straße mit ihrem unebenen Fußweg und dem wenig einladenden Straßenbild. Ich biege in eine Straße ab, die nach einem Schlosser benannt ist, der im Spanischen Bürgerkrieg kämpfte und an dessen Ende ein geheimnisvolles Denkmal steht…

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