Bei so einer Gelegenheit darf schon mal aus dem Nähkästchen geplaudert werden: Himmel bedeckt, ab und zu leichter Schneegriesel, Temperatur knapp unter Null, Wind aus Norden. Auch am 3. April um 10.30 Uhr pustete der Polarwind eisige Luft bis in die Ruhezone des Tigers, der dem Menschenauflauf auf der Rückseite seines Domizils ein Weilchen gelangweilt zusah, bis er sich erhob und kopfschüttelnd davonschlurfte. Er hat ja noch keine Ahnung, wer da kommt. Im Herbst oder nächstes Frühjahr.
Denn wie das derzeit bei allen Leipziger Bauprojekten ist: Der völlig überdehnte Winter hat alle Bauvorhaben in Verzug gebracht. Und für die neue Amur-Leoparden-Anlage ist schon der Beginn ein Verzug. Den Boden, den die vier fleißigen Herren mit ihren Spaten anstechen sollen, haben die Bauarbeiter vorher noch aufgegraben. Er war gefroren. Der Spatenstich bleibt symbolisch, auch wenn das Gelände gleich neben der Tiger-Taiga schon freigeräumt ist für die neue Anlage, die hier für 1,8 Millionen Euro entstehen soll auf 1.626 Quadratmeter Fläche. Mit 500 Quadratmeter Gehege und Rückzugsräumen, einem starken Drahtgitter darüber, denn Amur-Leoparden sind zwar keine Flugkünstler, dafür wahre Könner beim Klettern und Springen.
Ein feines Draht-Saiten-Gitter wird ihr Leben künftig einsehbar machen aus einem der beliebten Beobachtungsunterstände, die es im Zoo Leipzig immer häufiger gibt – kleine Zuschauerkapsel und Informations-Höhle in einem. Und hier gibt es was zu lernen über die elegante Raubkatze aus dem fernen Sibirien, die vom Aussterben bedroht ist. Ihr Revier an der fernen Grenze zwischen Russland und China teilt sie sich mit dem Sibirischen Tiger. Noch. Denn in freier Wildbahn leben nur noch 40 Exemplare. Viel zu wenig für ein stabiles Überleben der Population, sagt Urs Breitenmoser, Vorsitzender der Cat Specialist Group der Welt-Naturschutzunion IUCN. Der oberste Schützer der wildlebenden Raubkatzen sozusagen.
In seinem Konzept spielt auch die Leipziger Amur-Leoparden-Zucht eine wesentliche Rolle. Denn wenn die Population der frei lebenden Amur-Leoparden gerettet werden soll, braucht sie Zuwachs aus den Zoos. Die meisten Amur-Leoparden leben mittlerweile in Zoologischen Gärten. “Hier ist die genetische Vielfalt mittlerweile größer als in freier Wildbahn”, sagt Breitenmoser. Wenn die Jäger im fernen Osten nicht alle Exemplare abschießen, kann sich die Population trotzdem nicht von allein erhalten. Es braucht Auswilderungsprogramme für Nachwuchs aus den Zoos. Zwei konkurrierende Programme sind derzeit auf dem Tisch.”Mal sehen, wie sich das entwickelt”, sagt Breitenmoser. “In einem Jahr weiß ich hoffentlich mehr.” Dann soll die Amur-Leoparden-Anlage in Leipzig fertig sein, gestaltet als Geröllhalde, die den Tieren Gelegenheit zum Klettern gibt und gleichzeitig die Technik und die Rückzugsräume dahinter verbirgt. Jörg Junhold, der Zoodirektor, würde das Ganze am liebsten schon im Herbst eröffnen. Doch der anhaltende Frost verzögert nicht nur die Bauarbeiten, sondern auch den Pflanzbeginn.
“Und Pflanzzeit ist nun mal der Herbst”, sagt Peter Rasbach, der Architekt, der den Leipziger “Zoo der Zukunft” von Anfang an begleitet. Heißt natürlich: Das Gehege wird im Herbst bepflanzt – im Frühjahr 2014 könnte es eingeweiht werden. 1997, als Jörg Junhold Zoo-Chef wurde, war noch längst nicht klar, was aus dem moralisch und baulich verschlissenen Zoo einmal werden würde. Nur ein Projekt war schon zur Planung gereift: die neue Menschenaffen-Forschungsstation, bei der Zoo und Max-Planck-Forscher zusammenarbeiten wollten.
Doch Junhold nutzte den Einstieg in sein Amt zu einer Reise in die USA, das Land, in dem die Zoologischen Parks schon seit Jahren in der Krise steckten, weil die Besucher die sichtlich tierunfreundlichen Haltungsbedingungen nicht mehr honorierten. Das war der Zeitpunkt, als sich auch die großen Zoos Gedanken machten über eine naturnähere, tiergerechtere Haltung. Junhold: “Weniger Tiere in größeren Gehegen.” Über wissenschaftliche Betreuung, naturnahe Gestaltung und besucherfreundliche Anblicke.Das Ergebnis war eine Nacht mit neuem Direktor und einem Architekten, der es genauso sah. Die alten Baupläne für das Menschenaffenhaus wurden komplett überarbeitet – es wurde Pongoland daraus. Und damit der erste Baustein eines Zoos, der zu dem Zeitpunkt noch nicht den Namen “Zoo der Zukunft” hatte. Den bekam er erst 1999, als Jörg Junhold seinen Masterplan für die komplette Umgestaltung des alten Zoos vorstellte. Der wurde 2000 vom Leipziger Stadtrat genehmigt. Was nun im eisigen April 2013 Leipzigs Kulturbürgermeister Michael Faber wieder schwärmen ließ. “London hat sich den Millennium-Dome gebaut”, sagt er in seiner Laudatio in drei Anfängen, “Leipzig hat den Zoo der Zukunft beschlossen.”
Und Leipzig hat – das findet Architekt Peter Rasbach bemerkenswert – seinen Masterplan für den Zoo von Anfang an mit Geld untersetzt. “Andere Zoos planen erst mal und beginnen dann für jeden Baustein einzeln mit der Finanzierung.” In Leipzig wuchs der neue Zoo fast organisch. 1999 gab es den Spatenstich für das Pongoland, das 2001 eröffnet werden konnte – zusammen mit der Tiger-Taiga. 15 Grundsteinlegungen und Spatenstiche hat Jörg Junhold seitdem gezählt. Pongoland und Tiger-Taiga waren Teil des 1. Masterplans. Der zweite gewaltige Baustein war dann die 2011 eröffnete Tropenhalle Gondwanaland, an der sich auch der Freistaat Sachsen kräftig beteiligt hat. Über 100 Millionen Euro wurden mittlerweile in den neuen Zoo investiert.
“Und dann”, entschuldigt sich Jörg Junhold bei seinen Zoo-Mitarbeitern, “wollten wir eigentlich eine Konsolidierungspause einlegen.” Erstmal verschnaufen und das Erreichte genießen. Aber im Sommer legte er der Presse seinen 3. Masterplan vor, mit dem der komplette historische Mittelteil und der Nordteil des Zoogeländes umgebaut werden sollen. Gleich am Tag nach der Ratsversammlung im Juli 2012, als der Stadtrat auch den 3. Masterplan genehmigte, begannen die Bauplanungen für die Amur-Leoparden-Anlage. Nix war es mit Verschnaufen.
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Der Spatenstich am eisigen 3. April ist schon der Beginn dieser dritten Umbau-Etappe des Zoos, die im Jahr 2020 beendet sei soll. Aktuell laufen die Bauplanungen für den Baubereich, berichtet Peter Rasbach, dessen Büro die Umgestaltung des Zoos nun seit 15 Jahren begleitet. Und noch am Mittwoch, 3. April, haben sich die Planer zusammengesetzt, um ein noch ungelöstes Problem anzugehen: Was wird aus der historischen Bärenburg? – “Kick-Off-Gespräch”, nennt es Rasbach.
Man kann gespannt sein.
Das neue Gehege, das unmittelbar an die Tiger-Taiga angrenzt, ist übrigens schon die dritte Heimat für die seltenen Katzen im Zoo Leipzig. Als am 28. März 1968 erstmals Amur-Leoparden (Panthera pardus orientalis) in den Zoo Leipzig kamen, lebten sie zunächst im damaligen Raubtierhaus, das heute das Entdeckerhaus Arche ist, bevor sie zur Jahrtausendwende in die alte Tigerfarm umzogen, wo derzeit die beiden Amur-Leoparden Vatne und Xembalo untergebracht sind.
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