Der Lehrstuhl für Arbeits- und Organisationspsychologie der Universität Leipzig veröffentlichte jüngst eine Studie zu Führungsqualitäten von Frauen und Männern. Das Quotenmodell der Bundesregierung, das am Freitag, 19. April, so grandios gescheitert ist, wurde noch heftig diskutiert. Aber kann denn eine Quote das eigentliche Grundproblem lösen, fragte die L-IZ eine der beiden Autorinnen der Studie, Dipl.-Psych. Christiane Stempel.

Ist das aktuell diskutierte Quotenmodell für Unternehmensvorstände nicht der falsche Weg, das Problem fehlender Frauen in Führungspositionen zu lösen?

Ich denke, das Quotenmodell ist durchaus eine Lösung für das Problem der Unterrepräsentanz von Frauen in Führungspositionen. Die dahinterliegende Idee ist, dass alte vor allem auf Männer ausgelegte Strukturen aufgebrochen und verändert werden. Mit der Besetzung von Führungsposition durch Frauen wird eine größere Vielfältigkeit in den Führungsetagen erzeugt und neue Vorbilder angeboten. Da es einer bestimmten kritischen Masse bedarf, um Strukturen zu ändern und Einflussmöglichkeiten zu gewinnen, soll das Quotenmodell diesbezüglich Realitäten schaffen. Diese Realitäten können dazu beitragen, gängige gesellschaftliche Normen hinsichtlich unserer Vorstellung von Führung aber auch hinsichtlich Geschlechtsrollen auf den Prüfstand stellen.

Problematisch finde ich eher die negativ konnotierte Diskussion über das Quotenmodell. Zum einen werden Frauen in Führungspositionen automatisch als “Quotenfrauen” (ab)gewertet – egal ob sie die Position über eine Quote bekommen haben oder nicht. Zum anderen bedeutet “Quote” eigentlich nur, dass bei gleicher Qualifikation Frauen bevorzugt genommen werden. Trotzdem wird häufig so argumentiert als ob Frauen in irgendeiner Weise ein Defizit hätten. Das hinterlässt natürlich gerade bei Frauen, die hoch engagiert und fähig sind, einen negativen Beigeschmack.

Liegt es nicht eher daran, dass das bisher bevorzugte und bevorteilte Wirtschaftssystem den männlich aggressiven Typus bevorzugt und stärkt und weibliche Führungsstile auch dann unmöglich macht, wenn Frauen in Verantwortung kommen?

Es ist tatsächlich so, dass traditionell die Führungsrolle mit denselben Attributen wie die Rolle des Mannes in Verbindung gebracht wird. So wird z.B. die für Führung als wichtig erachtete Eigenschaft “ist durchsetzungsfähig” eher mit Männer assoziiert. Was allerdings als “weiblich” und “männlich” definiert wird, bestimmen Normen in der Gesellschaft. Dementsprechend finde ich es gefährlich, mit Stereotypen wie “männlich aggressiv” und “weiblich sozial” zu argumentieren und diese so immer wieder zu erneuern. Führungseigenschaften unterscheiden sich eher von Person zu Person als zwischen den Geschlechtern. Daher müssen wir eher unsere Rollenbilder hinterfragen: Warum wird die durchsetzungsfähige Chefin so kritisch betrachtet oder der familienorientierte Chef belächelt?Sollte man nicht eher über eine andere, sorgendere Art des Wirtschaftens nachdenken, eine, die nicht der Konkurrenz und der Ausschaltung der “Mitbewerber” den Vorrang gibt, sondern der Schonung und Mehrung von Ressourcen aller Art – angefangen von kompetentem Personal über die dazu gehörenden Familien und die gesellschaftliche Umgebung? Und das nicht nur mit den üblichen Sponsoring-Feigenblättchen?

Aufgrund der bisherigen Strukturen waren Frauen häufig die ausgeschalteten Mitbewerberinnen, da ihnen u.a. Mangel in der Motivation und in Fähigkeiten unterstellt und die Erfüllung traditioneller Rollenvorstellungen (z.B. alleinige Kinderbetreuung) etc. zugeschrieben wird. Aber die Frage nach einem sozialeren Wirtschaften ist nicht so sehr eine Frage des Geschlechts – schließlich gibt es auch sehr soziale Männer und eher statusorientierte Frauen. Die Vorstellungen und Wünsche bezüglich Arbeit, Führung und bestimmter Rollenbilder wandeln sich sowohl bei Männern als auch bei Frauen. Momentan wird den Menschen scheinbar ein sozialeres, weniger von Leistungs- und Wettbewerbsnormen geprägtes Wirtschaften wichtiger. Dieser Prozess birgt das Potential, althergebrachte Normen aufzuweichen und damit auch mehr Gerechtigkeit zu bewirken.

Die nächste Frage: Was passiert eigentlich mit führungskompetenten Frauen, wenn sie in männlich strukturierten Hierarchien per Quote “implantiert” werden? Verlieren sie nicht zwangsläufig genau das, was man an ihrer Führungskompetenz schätzen muss?

Nicht wenn man davon ausgeht, dass männliche und weibliche Führungskräfte mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede aufweisen. Alle Führungskräfte sollten ein Spektrum an Führungs-Know-how mitbringen, unabhängig vom Geschlecht. Dazu zählen soziale Komponenten wie Unterstützung genauso wie die Fähigkeit, schnell und effektiv Entscheidungen treffen zu können. Problematisch für die Frauen, die per Quote auf Führungspositionen gekommen sind, könnten die Vorurteile sein, die ihnen dort aufgrund der Quotendiskussion begegnen und die Missgunst von Mitbewerbern.

Was müssten politische Instanzen tatsächlich tun, um eine andere, nachhaltige Art des Wirtschaftens, die auch diese Qualitäten stärkt, zu fördern? Würde das nicht ein anderes, nachhaltiges irtschaften notwendig machen, genau das, was die “Deutschland AG” nicht repräsentiert?

In der Tat werden bei politischen Entscheidungen die aktuellen Lebensentwürfe der Bürgerinnen und Bürger scheinbar weniger beachtet als die Interessen spezifischer Gruppen. Eine Orientierung hin zu mehr Vielfältigkeit im gesellschaftlichen Bereich in Bezug auf Gender, Alter und Migrationshintergrund etc. könnte eine nachhaltigere Art des Wirtschaftens unterstützen. Anstatt nur die Vorstellungen und Ideen einiger weniger Privilegierter zu berücksichtigen, wären neue und andere Blickwinkel für nachhaltiges Wirtschaften sicher vorteilhaft.

Wäre das dann nicht eine Frage des Geschlechts, sondern tatsächlich der akzeptierten Art des Wirtschaftens?

Ich denke tatsächlich, dass es hier eher um die Normen, Werte und Vorstellungen der Gesellschaft geht als um das Geschlecht an sich. Solange allerdings noch unterschiedliche Erwartungen an Frauen und Männer und Geschlechtsstereotype eine Rolle spielen, wird es weiterhin Diskussionsbedarf geben.

Wie gering sind eigentlich die Chancen dafür, wenn das männlich-aggressive Führungsmodell (mit all seinen Begleiterscheinungen wie Hinterzimmer-Netzwerken, Intransparenz, kurze Denkhorizonte, Macht-Kungelei …) auch die Politik dominiert? Ist da Diskussion um “Frauen in Führungspositionen” nicht nur ein Feigenblatt?

Ich denke, viele Lebensbereiche sind davon betroffen, nicht nur die Wirtschaft und die Politik. Auch im öffentlichen Bereich, in NGO [Anm. d. Red.: “non-governmental organisation” = nichtstaatliche Organisation ] etc. sollten Strukturen hinterfragt und gegebenenfalls nachgebessert werden. Bei der Diskussion um Frauen in Führungspositionen geht es letztendlich um eine realitätsnähere Repräsentation der Bevölkerung und Einflussmöglichkeiten. Wenn Frauen an den Schaltstellen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft nicht mitbestimmen dürfen, werden die Belange der Hälfte der Bevölkerung auch nicht gehört.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar