Lebendige, weltoffene Großstädte kommen nicht ohne sie aus - und sie werden reicher durch sie: die Wanderer zwischen Welten, die Asylsuchenden, Heimatsuchenden, Migranten. Und in weltoffenen Städten wie Leipzig tragen sie einen gehörigen Teil zum Bevölkerungswachstum bei. Und Leipzig ist weltoffen. Zumindest da, wo es jung ist. Das belegte auch die viel diskutierte Befragung der Leipziger zu ihrem Verhältnis zu Ausländern in der "Bürgerumfrage 2011".
Die Mehrheit der Befragten empfindet Ausländer als kulturelle Bereicherung für die Stadt, wenn auch gut die Hälfte eher im Bereich “teils / teils”. Deutlich zeigte die Befragung, dass die Stellungnahmen stark abhängen a) von der Tatsache, wie und ob jemand überhaupt Umgang mit Ausländern hat, und b) von Alter und Stellung im Erwerbsleben.
Wobei nach wie vor schade ist, dass die in Leipzig lebenden Ausländer nicht gleicherweise zu ihrem Verhältnis zur deutschen Mehrheitsbevölkerung befragten wurden. Das könnte erstaunliche Ergebnisse bringen. Zum Beispiel dieses: Dass sie das Verhältnis als gut und bereichernd empfinden. Verdachtsmomente gibt es dafür. Zu finden ab Seite 61 im neuen Bericht “Migranten in der Stadt Leipzig 2012”. Der erste dieser Art erschien 2010. Regelmäßige Berichte über “Ausländer in Leipzig” veröffentlichen der Migrationsbeauftragte (früher: Ausländerbeauftragte) Stojan Gugutschkow und das Amt für Statistik und Wahlen seit 2000. “Und diese Art Berichterstattung ist bis heute einzigartig, auch für vergleichbare Großstädte im Westen”, erzählt Gugutschkow am Montag, 10. Dezember, zur Vorstellung des neuen Berichts. “Kollegen aus anderen Städten beneiden uns um diese gründliche Aufarbeitung.”
Tatsächlich liegen in diversen Ämtern auch Zahlen zu Menschen mit Migrationshintergrund vor – von der Arbeitsagentur bis zur Kita-Betreuung, von der Schule bis zur Uni, von der Polizei bis zur IHK. Denn all die Menschen, die aus – aktuell – 163 Ländern der Erde nach Leipzig kamen, sind Teil der Stadt, arbeiten hier, gründen oder betreiben Unternehmen, lernen, heiraten, bekommen Kinder und – zur Freude regelmäßiger Straßenbahnbenutzer – sächseln sie auch. Meist fallen sie nur auf, weil ihre Hautfarbe von der winterlichen Blässe der “Eingeborenen” abweicht.
Der neue Bericht zeigt wieder, was sie alle tun. Und so kurz – siehe Seite 61 – zeigt er auch, wie sie sich mit uns fühlen. Denn die Frage stellen sich ja die wenigsten Leipziger: Was treibt all die Menschen aus der ehemaligen SU, der Ukraine, Vietnam, Kasachstan, Polen (in der Reihenfolge und dann immer so weiter) nach Leipzig? Was wollen sie hier? Ausgerechnet in Leipzig, der “Armutshauptstadt”? Was natürlich die Frage einschließt: Was macht Leipzig so attraktiv?
Denn außer Berlin gibt es keine andere Stadt in Ostdeutschland, die so attraktiv für Zuwanderer ist. Man muss es eigentlich immer wieder betonen, weil es die Holzköpfe nicht begreifen wollen: Zuwanderung ist ein Qualitätskriterium für eine moderne Großstadt. Wer keine Zuwanderung hat, auch keine aus dem so gern bekrittelten Ausland, macht nicht nur vieles falsch, sondern alles. Wer seine Heimat verlässt – oder verlassen muss – um in der Ferne einen Neubeginn zu wagen, der sucht sich Orte, wo das möglich ist. Oder, die Chancen verheißen. Leipzig ist so ein Ort. Dresden vielleicht noch.44.409 Migranten zählten Leipzigs Statistiker zum Jahresende 2011, davon 26.672 Ausländer, also Menschen mit dem Pass anderer Staaten. Dresden zählte rund 21.000 Ausländer. Das Ermitteln von Menschen mit Migrationshintergrund, die aber (schon) einen deutschen Pass haben, ist etwas aufwändiger. Aber seit über zwei Jahren erfolgt das in Leipzig – der bundesdeutschen Entwicklung folgend – konsequent. Denn ein Mensch verliert ja seine sprachlichen und kulturellen Wurzeln nicht, bloß weil er den deutschen Pass bekommt, eingebürgert wird, wie das so schön heißt. Als wenn er vorher kein Bürger gewesen wäre. Rund 300 Menschen werden jedes Jahr in Leipzig eingebürgert. 2011 waren es 340, 2010 waren es 322.
Die Zahl der Migranten ist übrigens 2011 wieder deutlich gestiegen. 2010 war sie kurzzeitig auf 40.775 abgesunken, weil viele Namen aus den Registern bereinigt wurden. Insbesondere von Ausländern, die noch gemeldet waren, aber schon wieder fortgezogen waren. Der Anteil der Ausländer war deshalb statistisch auch kurz unter 5 Prozent gesackt, lag 2011 dann wieder bei 5,2 Prozent. Der Anteil aller Menschen mit Migrationshintergrund lag bei 8,2 Prozent. “Das ist immer noch sehr viel weniger als in westdeutschen Großstädten”, sagt Gugutschkow, “wo der Anteil teilweise über 25 Prozent liegt.”
Typisch für Zuwanderer: Sie sind jung. Man macht sich im hohen Alter kaum noch auf die Reise. Es sind junge Menschen, die in anderen Ländern die Chance für einen Neubeginn suchen. Was übrigens auch für Wanderer zwischen den Dörfern gilt: Auch die Zuwanderungen aus dem Leipziger Umland verjüngen Leipzig. Das ist selbst beim statistischen Altersdurchschnitt der Deutschen in Leipzig ohne Migrationshintergrund ablesbar – der sank zwar nur leicht von 45,1 Jahren (2009) über 45,0 (2010) auf 44,9 Jahre (2011). Aber dieser Trend ist das Gegenteil dessen, was der komplette ländliche Raum in Sachsen derzeit erlebt.
Bei den Leipzigern mit Migrationshintergrund liegt dieser Altersdurchschnitt noch niedriger: 2011 bei 31,8 Jahren.
Was unter anderem dazu führt, dass die Kinder dieser Zuwanderer in den Kindertagesstätten und Schulen (scheinbar) überproportional vertreten sind. Scheinbar deshalb, weil es nur wenige Migranten in Leipzig über 60, 65 Jahre gibt. Die wirkliche Zuwanderung nach Leipzig hat ja erst 1990 wieder angefangen. In den Lebensbäumen der beiden Bevölkerungsgruppen auf Seite 15 ist das sichtbar.
Was aber auch bedeutet: Die Zuwanderung verändert Leipzig nachhaltig. 10 bis 12 Prozent der Kinder mit Migrationshintergrund sind in Leipziger Kindertagesstätten und Schulen jetzt das Normale. In einigen Ortsteilen, die bei Zuwanderern besonders beliebt sind, sind es natürlich mehr – in Kindertagesstätten in Neustadt-Neuschönefeld, Volkmarsdorf, Schleußig und Zentrum-Südost liegt dieser Anteil über 25 Prozent. Südost? – Hier sind es tatsächlich die Studierenden, die die Statistik dominieren.An Leipzigs Schulen ist es ganz ähnlich. Eine Tabelle auf Seite 31 zeigt, wie der Anteil junger Migranten an den Schulabsolventen seit 2007 kräftig anstieg. Und er zeigt noch etwas: Immer mehr Kinder mit Migrationshintergrund schaffen das Abitur. Ihr Anteil an den Abiturienten 2011 betrug 15,7 Prozent. Das ist ein bisschen mehr als ihr Anteil an der Altersgruppe. Und das hat Gründe: Viele dieser jungen Leute strengen sich richtig an, in unserer Gesellschaft Erfolg zu haben. Sie wachsen nicht mit der dämlichen Überzeugung auf, ihnen stünde irgendein Erfolg zu, bloß weil sie im richtigen Land geboren wurden.
Davon braucht Leipzig jede Menge. Denn die Stadt hat tatsächlich nur ein einziges Kapital: junge, kreative Menschen, die etwas schaffen wollen.
Deswegen ist das “Gesamtkonzept zur Integration der Migrantinnen und Migranten in Leipzig” so wichtig, das am Mittwoch, 12. Dezember, Thema in der Ratsversammlung ist. 100 Seiten dick ist es und listet alle Arbeitsfelder auf – von der Bildung (siehe oben) bis zur “Bekämpfung von Diskriminierung und Rassismus”. Was einen dann an so manche Medienkampagne erinnert, in der in Leipzig “Ausländer” zu Buhmännern gemacht wurden.
Aber im Migranten-Bericht findet man ab Seite 50 auch das Kapitel “Kriminalität”. Mit durchaus Erhellendem zur Verteilung der verschiedenen Delikte und dem Anteil der “Nichtdeutschen” daran, der zwar von Delikt zu Delikt variiert – aber nicht wirklich auffällig vom Anteil der Migranten an der Leipziger Bevölkerung abweicht. Und wo er abweicht, hat das Gründe, die teilweise eng mit der seit 1992 völlig desolaten Asylgesetzgebung der Bundesrepublik zusammen hängen.
Dazu passt – man braucht nur ein Kapitel zurück zu blättern – die nach wie vor deutliche Benachteiligung von Ausländern auf dem Arbeitsmarkt. Erst der wachsende Bedarf von Dienstleistern in den letzten zwei Jahren verschafft vielen Arbeitsuchenden mit Migrationshintergrund neue Chancen.
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Man lernt also so einiges über die Leipziger “Empfangskultur”. Denn niemand erfährt so hautnah wie die Zuwanderer aus aller Welt, wie offen und chancenreich eine Stadt tatsächlich ist. So gesehen, war die Wandlung von Ausländer- zu Migrationspolitik schon ein wichtiger Schritt. Doch das erspart auch beim Verwenden des Begriffs Migranten nicht das seltsame Gefühl, dass darin etwas noch nicht stimmt. Und es ist absehbar, dass der Begriff, den Gugutschkow für den Bericht benutzt, künftig weit mehr in den Vordergrund rückt: “Integrations-Indikatoren-Bericht”. Am Ende geht es um Integration in ihrer vollen Bandbreite.
Der Bericht ist im Internet unter http://statistik.leipzig.de unter “Veröffentlichungen” einzusehen. Er ist zudem für 15 Euro (bei Versand zuzüglich Versandkosten) im Amt für Statistik und Wahlen erhältlich. Postbezug: Stadt Leipzig, Amt für Statistik und Wahlen, 04092 Leipzig
Oder abzuholen hier: Stadt Leipzig, Amt für Statistik und Wahlen, Burgplatz 1, Stadthaus, Zimmer 228
Das “Gesamtkonzept zur Integration der Migrantinnen und Migranten in Leipzig”: http://notes.leipzig.de/appl/laura/wp5/kais02.nsf/docid/6B69D5FC8FABC36AC1257A720030B16F/$FILE/V-ds-2491-anlage.pdf
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