Nicht jedes Brodeln erzählt von Ämterversagen. Auch wenn es die CDU gern dazu gemacht hätte. Das deutete sich in der März-Ratsversammlung schon an, als Jugendbürgermeisterin Vicki Felthaus die neue Kita-Bedarfsplanung vorstellte, die jetzt auf die zurückgehenden Geburtenzahlen seit 2022 reagiert. Die CDU-Fraktion machte das in der April-Ratsversammlung gleich mal mit einer aufgeregten Nachfrage zum Thema: Hat Leipzig zu viele Kitas gebaut?
Da zeigten wieder einige Alarm-Artikel diverser Leipziger Medien ihre Früchte, die jede Änderung in der Wetterlage gleich zum dramatischen Ereignis hochschreiben. Als hätten die Journalisten dort zu viel Kaffee getrunken, so kommt einem das manchmal vor.
In der CDU-Anfrage klang das dann so: „In Leipzig gibt es im Kita-Bereich in diesem Jahr rund 4.000 Betreuungsplätze zu viel. Aufgrund der seit Jahren anhaltenden, sinkenden Geburtenzahlen und dem Wegzug von Familien mit kleinen Kindern ist eine Trendumkehr, wonach diese Plätze bald wieder benötigt werden, aktuell eher nicht erkennbar.“
Von den 4.000 Betreuungsplätzen zu viel stand überhaupt nichts in der Vorlage. Und die sind auch nicht verifizierbar. Zu viel gebaut hat Leipzig auch nicht, obgleich CDU-Stadtrat Karsten Albrecht das in der März-Versammlung mutmaßte.
Eher zeugte auch die Nachfrage der CDU-Fraktion davon, dass sie die Vorlage zur Bedarfsplanung eigentlich nicht gelesen hatte. Denn während das eine oder andere Medium orakelte, Leipzig hätte jetzt völlig sinnlose Überkapazitäten, weil zu viel gebaut wurde, erzählt die Vorlage davon, dass die sinkenden Geburtenzahlen jetzt überhaupt erst einmal Entspannung schaffen.
Die Hälfte der Leipziger Kindereinrichtungen sind bislang nämlich nur teil- bzw. unsaniert, wie Bürgermeisterin Vicki Felthaus am 25. April erklärte.
Endlich Spielraum für Sanierungen
Das auch noch 2018 forcierte Neubauprogramm hat überhaupt erst einmal dazu geführt, dass allen nachfragenden Eltern ein Kita-Platz angeboten werden kann – und zwar zunehmend in wohnortnahen Einrichtungen.
Was aber passiert jetzt?
Jetzt kann Leipzig endlich auch die noch unsanierten Einrichtungen in Angriff nehmen und in den nächsten Jahren sanieren. Dafür sind jetzt Kapazitäten frei und die Kinder aus diesen Einrichtungen können in andere Einrichtungen umgelenkt werden. Was zu Konflikten führt. Das stellte auch Felthaus fest, denn manche Eltern wollen das nicht. Manche wollen, dass die Gruppe zusammenbleibt, manche die ganze Kita zusammenhalten. Anderen gefallen die Ausweichangebote nicht.
Menschen sind nie alle unter einen Hut zu bekommen.
Und besonders kniffelig wird es, wenn ganze Einrichtungen, deren Bauzustand einen Weiterbetrieb unmöglich macht, geschlossen werden müssen – so wie aktuell die Montessori-Kita „Villa Kunterbunt“ in Reudnitz.
Überversorgte und unterversorgte Stadtbezirke
Michael Weickert, der für die CDU-Fraktion nachfragte, unterstellte gar eine miserable Kommunikation mit den Eltern und den Ratsfraktionen. Auch das ein Resultat von diversen Medienbeiträgen. Doch dieser Unterstellung verweigerte sich Felthaus – es würde auf allen Ebenen kommuniziert. Auch in den Ausschüssen des Stadtrates. Über zu wenige Informationen könnten sich die Stadträte nicht beschweren.
Dass einige alte Kitas zur Schließung anstehen, hat auch damit zu tun, dass sie in überversorgten Stadtgebieten liegen. Die Antwort des Amtes für Schule und Jugend benennt konkret die Stadtbezirke Mitte, Südost, West und Alt-West. Dort sind im Lauf der Zeit mehr Kitas entstanden, als dort Bedarf besteht. Während andere Stadtteile, in denen in den letzten Jahren die junge Bevölkerung wuchs, nach wie vor unterversorgt sind.
Dort werden auch noch neue Einrichtungen geschaffen, um wohnortnah Entlastung zu schaffen. Und es werden auch weiter neue Einrichtungen gebaut, so Felthaus, während das Netz dort, wo Überversorgung besteht, ausgedünnt wird. Nicht nur durch Schließung von Einrichtungen – sondern auch durch Senkung der Belegungszahlen.
Denn Felthaus möchte auch gern die massive Belegung in ganz großen Einrichtungen verringern und damit Luft schaffen zur besseren Betreuung der Kinder. So gibt ein Leipzig über 60 Einrichtungen mit über 150 betreuten Kindern, davon 20 mit über 200. Wenn man hier die Belegungszahlen senkt, verbessert sich die Betreuungssituation für die Kinder und können Räume auch für neue Angebote umgewidmet werden.
„Das ist eine Riesenchance“, sagte Felthaus, „die wir jetzt auch nutzen sollten.“
Oder im Klartext: Wo einige Leute auf einmal eine verschwenderische Überkapazität sehen, sieht die Stadt hier nach Jahren des Aufholens endlich die Möglichkeit, das Kita-Netz den Bedarfen im Stadtgebiet anzupassen und die Betreuungssituation zu verbessern.
Demografischen Knick verpennt?
Und was sagt das Amt für Jugend und Schule zur Unterstellung, man habe bei der Kita-Planung den Geburtenrückgang verschlafen?
„Die Ergebnisse der Bevölkerungsvorausschätzung 2023 wurden im Mai 2023 zur Verwendung freigegeben und fanden unmittelbar in sämtlichen Berechnungen der Bedarfsplanung Kindertagesbetreuung Berücksichtigung.
Ab diesem Zeitpunkt wurde deutlich, dass der Geburtenrückgang kein kurzfristiger Effekt als Folge von Corona, sondern möglicherweise eine Folge einer langfristigen Verhaltensänderung der Frauen im fertilen Alter ist.
Bereits in der letzten Bedarfsplanung aus dem Jahr 2023 wurde ausdrücklich auf die sinkenden Geburten- und Kinderzahlen eingegangen und die Planungen von neuen Vorhaben angepasst (siehe VII-DS-07847). Die Anzahl und Entwicklung der Geburten in Leipzig wird jährlich im Sozialreport der Stadt berichtet. Nach einem Höhepunkt der Geburten im Jahr 2017 gab es eine tendenziell rückläufige Entwicklung, die sich bis in das Jahr 2021 eher moderat verhielt.
Mit dem Jahr 2022 war erstmals ein stärkerer Rückgang zu verzeichnen. Gleichzeitig konnte die Kitaplanung für Ende des Jahres 2021 erstmals darauf verweisen, für jedes Kind mit Rechtsanspruch auch einen Platz zur Verfügung stellen zu können.“
Niemand – auch nicht die CDU-Fraktion – nicht hätte aus den Geburtenzahlen bis 2021 herauslesen können, dass es einen derartigen Einbruch bei den Geburten geben könnte.
Das wird nicht nur Leipzig beschäftigen, denn von dem Phänomen wurden 2023 alle deutschen Großstädte überrascht. Was garantiert sehr bald die Sorge aufkommen lassen wird, was eigentlich aus einer Gesellschaft wird, der auf einmal derart offensichtlich die Kinder abhandenkommen.
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Die 4000 Plätze resultieren aus den öffentlich zugänglichen Zahlen der Stadt, wonach 31.577 Kinder einen Betreuungsplatz benötigen, jedoch 35.411 vorhanden sind.
Könnte man sagen: die Stadt hat in bestimmten Stadtteilen einfach viel zu viel gebaut, und andere Stadtteile vernachlässigt? Nur damit am Ende die Gesamtzahl passt?
Ich kann verärgerte Eltern verstehen, die nun am anderen Ende von Leipzig eine Alternative angeboten bekommen…