Man hat sich ja beinah schon dran gewöhnt: Politiker zeigen sich einsichtig, akzeptieren irgendwann die Veränderung der Welt, schnüren ein tolles Programm, das die jahrelange Arbeitsverweigerung heilen soll, setzen einen Tag für die Umsetzung fest - und dann steht das ganze Ding im Rohbau. Der Mangel ist nicht behoben. Nicht nur Leipzig kann das von der Bundesregierung verkündete Recht auf einen Kita-Platz für Unter-Dreijährige nicht gewährleisten.

Woran liegt es? – Die L-IZ hat ein paar Stimmen zum Thema gesammelt:

SPD-Stadtrat Christopher Zenker: Sächsische Landesregierung muss in die Verantwortung

Seit 2007 wurden in Leipzig 25 neue Kindertagesstätten, 13 Erweiterungen und 14 Ersatzneubauten errichtet – mehr als 5.400 Kinderbetreuungsplätze sind so neu entstanden. In diesem Jahr entstehen weitere 2.000 Betreuungsplätze und 2014 sollen noch einmal mehr als 3.000 Plätze entstehen. Mit 186 Millionen Euro waren die Ausgaben für Kinderbetreuung 2012 wieder der größte Einzelposten des Haushalts.

Christopher Zenker, Stadtrat und Mitglied im Fachausschuss Jugend, Soziales, Gesundheit und Schule: “Auch wenn in den letzten Jahren große Schritte beim Ausbau der Kinderbetreuung gemacht wurden, sind wir noch nicht am Ziel. Das Ende 2012 beschlossene Mammutprogramm mit über 5.000 Plätzen in den Jahren 2013/14 hätte ein bis zwei Jahre früher gestartet werden müssen. Der Ausbau der Betreuungskapazitäten muss daher weiter forciert werden, bis das Angebot geringfügig über dem Platzbedarf liegt, damit wir endlich wieder in die Situation einer echten Wahlmöglichkeiten für Eltern kommen.”

Im schwarz-gelben Koalitionsvertrag von 2009 heißt es auf Seite 14 zum Thema Finanzierung der Kinderbetreuung: “Wir halten an der bewährten anteiligen Finanzierung gleichmäßig durch Land, Kommunen und Eltern fest.”

“Hierzu kann man nur sagen: wie versprochen, so gebrochen. Die Realität zeigt nämlich genau das Gegenteil, da sich die Landesregierung immer mehr aus der Finanzierung der Kinderbetreuung zurückzieht. Hat sich der öffentlich finanzierte Anteil an den Kosten der Kinderbetreuung im Jahr 2000 noch zu je 50 Prozent auf Land und Kommune verteilt, so tragen die Kommunen aktuell fast zwei Drittel dieser Kosten. Um eine gleichmäßige Finanzierung der öffentlichen Hand sicherzustellen, fordern wir die Erhöhung der Kita-Pauschale von 1.800 auf 2.400 Euro. Seit 2005 wurde die Kita-Pauschale des Freistaates nicht mehr erhöht und keine Kostensteigerungen ausgeglichen. Damit jedoch nicht genug. Darüber hinaus verwendet die Landesregierung, die vom Bund für 2013 zur Finanzierung der Kinderbetreuung bereitgestellten 35 Millionen Euro, zur eigenen Haushaltssanierung und reicht diese nicht, wie vom Bund vorgesehen, an die Kommunen weiter. Die Kommunen sind an ihrer Belastungsgrenze angekommen. Sie können die wichtigen Aufgaben nicht mehr alleine stemmen, dies macht das aktuell prognostizierte Haushaltsdefizit der Stadt Leipzig für 2014 deutlich. Von den ca. 90 Millionen Euro Defizit entfallen 32 Millionen Euro auf den Bereich der Kinderbetreuung. Für uns Sozialdemokraten heißt das, nicht nur die Stadtverwaltung ist gefordert, sondern auch der Freistaat”, erklärt Zenker.

Liga der Freien Wohlfahrtspflege in Sachsen: Bei Kita-Rahmenbedingungen ist Sachsen ein Schlusslicht

Zwar war in Sachsen der Ausbaubedarf nicht annähernd so groß wie in den alten Bundesländern – trotzdem klafft hier nach Aussagen der Bertelsmannstiftung ostdeutschlandweit die zweitgrößte Lücke: für 46,6 Prozent der Ein- bis Dreijährigen Kinder ist ein Betreuungsplatz da, 52,5 Prozent der Eltern haben jedoch Bedarf angemeldet.

“Wir müssen Quantität und Qualität verbinden”, so Rüdiger Unger, Vorsitzender der Liga der Freien Wohlfahrtspflege in Sachsen und Vorstandsvorsitzender des DRK Sachsen: “Die Bemühungen zur Einhaltung des Rechtsanspruchs sollten nicht davon ablenken, dass wir großen Nachholbedarf hinsichtlich der Strukturqualität haben. Nur wer auch in Qualität investiert und den Fachkräften damit Wertschätzung signalisiert, der kann auch den Ausbau stemmen.”

In allen bundesweiten Studien steht Sachsen hinsichtlich der Kita-Rahmenbedingungen – u.a. bei der Zeit für Vor- und Nachbereitung und dem Betreuungsschlüssel – immer auf einem der drei letzten Plätze. Dies mache den Erzieherberuf in Sachsen vergleichsweise unattraktiv. Genügend Fachkräfte zu finden ist jedoch neben den baulichen Investitionen die größte Herausforderung des Ausbaus.

Die Absenkung des Krippenbetreuungsschlüssels von 1:6 auf 1:5 würde beispielsweise 55 Millionen Euro im Jahr kosten. Die Gewährung von nur einer Stunde Vor- und Nachbereitungszeit schlage mit 20 Millionen Euro jährlich im Landeshaushalt zu Buche. Unger: “Am Ende ist das eine Frage der politischen Prioritätensetzung. Wollen wir angemessen in die frühkindliche Bildung in Sachsen investieren, oder nicht? Aus Sicht der Zukunftsfähigkeit unseres Landes kann die Antwort eigentlich nur ‘ja’ lauten. Leider erleben wir das bisher noch nicht.”
Kita-Rechtsanspruch: Auch Paritätischer Wohlfahrtsverband fordert Qualitätsoffensive in Sachsen

“Wenn es rein rechnerisch darum geht, den Bedarf an Kitaplätzen zu decken, ist Sachsen im Bundesvergleich auf einem sehr guten Weg. Leider wird zu oft vergessen, dass es nicht nur um Kinderaufbewahrung geht, sondern um frühkindliche Bildung. Nun muss die Qualität in Kitas gestärkt werden”, bewertet Birgitta Müller-Brandeck, Landesgeschäftsführerin des Paritätischen Wohlfahrtverbandes Sachsen, die Entwicklungen im Zuge des Inkrafttretens eines Rechtsanspruchs auf Krippenplätze. “Sachsen gehört nachweislich zu den Schlusslichtern, wenn wir auf das Erzieher-Kind-Verhältnis blicken. Der Freistaat darf den Kommunen beim Thema Betreuungsqualität nicht länger den Schwarzen Peter zuschieben. Gerade vor dem Hintergrund höherer Steuereinnahmen sollte der Freistaat eine wichtige Zukunftsinvestition tätigen und Geld in die Qualität sächsischer Kitas stecken. Die bisherigen Aktivitäten der Staatsregierung greifen zu kurz und muten eher halbherzig an.”

Im laufenden Doppelhaushalt hat die Staatsregierung insgesamt 10 Millionen Euro für zusätzliches Personal in Kinderkrippen und Kitas bereitgestellt. Die 2.800 sächsischen Einrichtungen können sich nun um Geld für zusätzliches Personal bewerben. “Fünf Millionen Euro pro Jahr für Assistenzkräfte sind keine Initiative zur Verbesserung der Betreuungsqualität. Von diesem Vorstoß profitieren nur wenige Kitas, und die notwendige Fachlichkeit ist bei der Einstellung von Sozialassistenten kaum gegeben. Frühkindliche Bildung erfordert qualifiziertes Personal, das ausreichend Zeit hat, um die Kinder kompetent zu fördern. Bildung beginnt im frühkindlichen Alter und nicht erst in der Schule”, so die Landesgeschäftsführerin.

Nach Berechnungen der Wohlfahrtsverbände ist ein Bedarf von 80 Millionen Euro pro Jahr notwendig, damit die fachlich empfohlene Erzieher-Kind-Relation von 1 zu 4 bei unter Dreijährigen umgesetzt werden kann.

Rico Gebhardt, Vorsitzender der Linksfraktion in Sachsen: Auch in Sachsen fehlen die Kita-Plätze, wo sie gebraucht werden

“Vor allem Leipzig und Dresden haben große Probleme. Aber auch darüber hinaus ist zu sehen: Der Kita-Mangel ist flächendeckend”, stellt Rico Gebhardt, Vorsitzender der Landtagsfraktion der Linken, fest. “Wir erwarten von der Landesregierung, dass sie ihrer Verantwortung nachkommt und die Finanzzuweisungen an die Kommunen umgehend erhöht, damit diese den Familien gute Betreuungsbedingungen anbieten können. – Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie nervenaufreibend und frustrierend es ist, wenn man als Bittsteller in Einrichtungen vorsprechen muss, vertröstet wird und immer wieder Absagen bekommt. Und genau deshalb ist es nicht zu akzeptieren, dass der schwarze Peter nun zwischen Kommunen, Land und Bund hin- und hergeschoben wird. Denn: Unsere Kinder sind keine Zahl in einer Statistik oder ein Punkt in einem Balkendiagramm, sondern jetzt und hier lebende Menschen mit Anforderungen, die jetzt und hier zu erfüllen sind.”

Eine Bedarfsplanung vom Schreibtisch aus, gehe an den realen Bedürfnissen vorbei. “Und diese Bedürfnisse bestehen eben nicht in der Tagespflege oder gar häuslichen Betreuung mit Herdprämie, sondern in gut ausgestatteten Kitas. Dazu gehören natürlich auch ausreichend viele, gut ausgebildete und gut bezahlte Erzieherinnen und Erzieher. Angesichts der Lücke zwischen Soll und Haben bei guten Kita-Plätzen in Sachsen, verkommt die gerade von der Koalition in Sonntagsreden immer wieder bemühte Formel von den Kindern, die unsere Zukunft seien, zur hohlen Phrase.”

Und so fordert die Linke neben mehr Betreuungsplätzen eine Absenkung des Betreuungsschlüssels, bessere Bezahlung der Erzieherinnen und Erzieher sowie die Entlastung der Kommunen durch die Erhöhung der Kita-Pauschale auf 2.400 Euro.

Grüne fordern: Ausreichend Erzieherinnen und Erzieher in Sachsen

“Ab dem 1. August gilt das subjektive Recht auf frühkindliche Förderung für das einzelne Kind. Damit steht den Eltern der Klageweg offen, wenn zum geforderten Zeitpunkt kein Platz zur Verfügung steht. Landkreise und kreisfreie Städte müssen sowohl mit Verpflichtungsklagen als auch mit zivilrechtlichen Verfahren rechnen”, stellt Annekathrin Giegengack, bildungspolitische Sprecherin der Grünen-Landtagsfraktion, fest. “Die Eltern haben außerdem ein umfassendes Wunsch- und Wahlrecht bei der Form der außerfamiliären Betreuung. Das heißt, sie entscheiden, ob das Kind in einer Einrichtung eines freien bzw. öffentlichen Trägers oder in der Tagespflege betreut werden soll. Feste Richtwerte hinsichtlich der Öffnungszeiten der Einrichtung und der Erreichbarkeit gibt es jedoch nicht. Gleiches gilt für den Anspruch auf ganztägige Betreuung. Als Mindestbetreuungszeit werden sechs Stunden pro Tag genannt.”

“Um dem Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz ab dem ersten Lebensjahr gerecht zu werden, ist aber nicht nur die Anzahl der Krippen- und Kita-Plätze entscheidend. Wir brauchen ausreichend Personal. Das gilt insbesondere für Sachsen”, sagt Giegengack. In der Anfang Juli veröffentlichten Bertelsmann-Studie “Länderreport frühkindliche Bildungssysteme wurde deutlich, dass der Freistaat beim Betreuungsschlüssel, also ErzieherInnen pro Kind bundesweit hinten liegt. Die Autoren der Studie empfehlen für Kinder unter drei Jahren einen Schlüssel von 1:3, in Sachsen betreut eine Erzieherin laut Studie mehr Kinder (6,1).

“Die Grüne-Fraktion hat schon im April von der Staatsregierung eine regionalisierte Studie zum Personalbedarf in der Kindertagesbetreuung gefordert, um lokale Engpässe beim Kitapersonal zu vermeiden. Die unterschiedlichen Quoten bei der Betreuung von Kleinkindern in Sachsen weisen deutlich auf einen unterschiedlichen Personalbedarf hin”, erklärt die Bildungspolitikerin. “Im Erzgebirge werden 38,7 Prozent der bis zu Zweijährigen außerhalb der Familie betreut, in Nordsachsen sind es hingegen 64,4 Prozent. Dresden plant mit einer Betreuungsquote von 86 Prozent. Zudem ist in den großen Städten mit weiter steigenden Kinderzahlen zu rechnen.”

Der Antrag wurde mit der Begründung abgelehnt, dass die Staatsregierung eine Prognose zum Bedarf in der Studie “Den demographischen Wandel gestalten – Lebenslanges Lernen und Innovationsfähigkeit befördern” erheben würde. Allerdings sollen die Zahlen nicht veröffentlicht werden. “Wem dieses heimliche Werkeln nützen soll, ist unklar”, sagt Giegengack.

“Welche Faktoren Kindertageseinrichtungen zu erfolgreichen Bildungseinrichtungen machen, weiß die Staatsregierung auch durch eine von ihr in Auftrag gegebene Studie. Dies sind: eine gute pädagogische Konzeption, ausreichend Fachpersonal, das diese umsetzten kann, faire Rahmenbedingungen, und vor allem Zeit.”

“Mit den von der Staatsregierung zusätzlich geplanten 5 Millionen Euro pro Jahr lässt sich am Betreuungsschlüssel nichts drehen. Wir haben mit der Vorlage eines Gesetzentwurfes zur “Stärkung von Kindertageseinrichtungen in Ortsteilen mit besonderem Entwicklungsbedarf im Freistaat Sachsen” aber gezeigt, dass mit diesem Geld immerhin eine gezielte Förderung z.B. von Kitas in sozialen Brennpunkten.”

CDU ärgert sich über Kritik der Opposition

“Der Rechtsanspruch auf Kindertagesbetreuung und das Betreuungsgeld sind zwei richtungsweisende und familienpolitisch vernünftige Errungenschaften für unsere Familien. Beides zusammen gibt Familien mit kleinen Kindern deutlich mehr Entscheidungsfreiheit, ob sie ihr Kind selber zu Hause betreuen oder ein öffentlich gefördertes Angebot in einer Kindertagesstätte oder bei einer Tagesmutter nutzen”, sagt der familienpolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion Alexander Krauß. “Ich freue mich, dass viele Kommunen in Sachsen in den vergangenen Jahren viel Kraft und Geld in den Ausbau der Kita-Plätze investiert haben, um auf die neue Regelung gut vorbereitet zu sein. Es ist mir unverständlich, wie Kritiker, insbesondere von der Opposition, noch vor dem Inkrafttreten des Gesetzes die engagierte Arbeit vieler Kommunen abwerten und von schlechter Qualität sowie Überlastung bei der Kinderbetreuung reden. Unsere Erzieherinnen und Erzieher leisten eine hervorragende Arbeit.”

Genauso solle jede Mutter und jeder Vater in Sachsen das Recht haben, seine Kinder in den ersten drei Lebensjahren zu Hause zu erziehen. “Das Betreuungsgeld gibt diesen Eltern nicht nur eine finanzielle Unterstützung, sondern ist gleichzeitig eine Wertschätzung und gesellschaftliche Anerkennung ihrer täglichen, aufopferungsvollen Arbeit”, sagt Krauß. “Jeder der Kinder hat weiß, wovon ich spreche. Wer das Betreuungsgeld als Herdprämie verunglimpft, diskreditiert Eltern, die sich bewusst für Kinder, Familie und damit die Zukunft unseres Landes entscheiden.”

Eckpunkte Juristisches Gutachten der Grünen:
www.gruene-fraktion-sachsen.de/77212746.l

Juristisches Gutachten:
www.gruene-fraktion-sachsen.de/ddf31d77.l
www.weil-kinder-zeit-brauchen.de

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