Amtsrichter Lucas Findeisen toppte die Forderung der Staatsanwaltschaft um ein Vielfaches: Er hielt es für erwiesen, dass Schlagersängerin Melanie Müller bei einem Auftritt in Leipzig vor knapp zwei Jahren den „Hitlergruß“ gezeigt und Drogen in ihrem Besitz hatte. Daher wurde die 36-Jährige am Freitagmittag durch das Amtsgericht zu einer Gesamtgeldstrafe von 80.000 Euro verurteilt.

Die Anklage gegen Melanie Müller bezog sich konkret auf einen durch Videomaterial dokumentierten Auftritt beim Oktoberfest der Rocker-Gruppe „Rowdys Eastside“ in der Nacht zum 18. September 2022 in Leipzig, wo die heute 36-Jährige mehrfach den rechten Arm zum verbotenen „Hitlergruß“ erhoben haben soll. Ferner ging es um eine Ecstasy-Tablette und ein Kokaingemisch von 0,69 Gramm, das vor einem Jahr bei einer Razzia in Müllers Leipziger Wohnhaus sichergestellt worden war.

Gericht: Wohl keine verfassungsfeindliche Absicht

Im Ergebnis der dreitägigen Hauptverhandlung hielt es Amtsrichter Lucas Findeisen für erwiesen, dass Melanie Müller eine Stimmung im aufgeheizten Publikum aufgegriffen und sich in strafbarer Weise zu eigen gemacht habe. Eine verfassungsfeindliche Absicht habe sie wohl nicht verfolgt: „Das unterstellt Ihnen hier auch niemand“, so Findeisen in Richtung der Angeklagten.

Gleichwohl deuteten aber alle Umstände rund um die nachweisbare Handbewegung darauf hin, dass Müller auch bei alkoholbedingtem Enthemmungszustand gewusst habe, was sie tat und wie ihre Geste verstanden werden kann, so der Amtsrichter. Müllers Erklärung, wonach sie „Heil“-Rufe im Publikum nicht wahrgenommen haben will, sei als Schutzbehauptung zu sehen.

Auch ein angekündigter Konzertabbruch als Reaktion, von dem Müller gesprochen hatte, habe sich so nicht beweisen lassen, befand das Gericht. An einen solchen hatte sich auch eine Freundin Müllers, die dem fraglichen Auftritt beigewohnt hatte, nicht erinnern können: Sie habe die Ansagen von der Bühne nicht beachtet, sagte die 35-Jährige im Zeugenstand, jedoch habe Müller schnell zum Aufbruch gedrängt. Einen „Hitlergruß“ habe sie nicht gezeigt: „Das ist ihre typische Handbewegung, um die Menge da anzuheizen“, sagte die Zeugin.

Staatsanwalt spricht von „Augenblicksversagen“

Die Anklage hatte eine Gesamtgeldstrafe von 95 Tagessätzen zu je 60 Euro für Müller beantragt. Während im Publikum „Heil“-Rufe und der „Hitlergruß“ zu hören und zu sehen gewesen seien, habe die Angeklagte dies wahrgenommen, zu der Armbewegung hinreißen lassen und später zurückzurudern versucht, zeigte sich Staatsanwalt Thomas Schmelzer überzeugt. „Wir wollen uns doch bitte nicht dümmer stellen, als wir sind. Dass Frau Müller das bemerkt hat, steht außer Frage“, sagte der Anklagevertreter. Er sprach von einem „Augenblicksversagen“ in alkoholisiertem Zustand.

Verteidiger Adrian Stahl kritisierte die Annahmen der Staatsanwaltschaft dagegen deutlich, sah den unterstützenden Zusammenhang zwischen Teilen des Publikums und Müllers Armbewegung als nicht gegeben an. Die Geste seiner Mandantin sei nicht verboten und habe schon in ihrer Art der Ausführung mit einem „Hitlergruß“ nichts zu tun, argumentierte der Berliner Rechtsanwalt. Er wollte einen vollständigen Freispruch.

Gericht schätzt Müllers Einkommensverhältnisse

Amtsrichter Findeisen sah die strafrechtliche Schuld Müllers dagegen aufgrund vieler Indizien als erwiesen, verurteilte sie wegen der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen sowie Beihilfe hierzu, indem sie das Publikum mit ihren Rufen weiter angefeuert habe. Hinzu kamen die in Handtaschen bei Müller gefundenen Betäubungsmittel, von denen die Angeklagte im Verbund mit ihrem Anwalt erklärt hatte, diese hätten ihr nicht gehört. Auch dem schenkte das Gericht jedoch keinen Glauben.

Amtsrichter Lucas Findeisen. Foto: Lucas Böhme
Amtsrichter Lucas Findeisen verhängte eine 80.000-Euro-Geldstrafe gegen Melanie Müller, die weit über die Forderung der Staatsanwaltschaft hinausging. Foto: Lucas Böhme

Seine deftige Geldstrafe, die weit über die Forderung der Staatsanwaltschaft von 5.700 Euro hinausging, begründete der Richter damit, Müllers finanzielle Situation auf Basis öffentlich zugänglicher Informationen über sie, ihre Tätigkeit und ihren Lebensstil geschätzt zu haben. Zuvor hatte Müller auf Nachfrage kein konkretes Einkommen nennen wollen. Allgemein jedoch habe sie deutliche Einbußen und trete derzeit nur auf Mallorca auf, während andere Buchungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz abgesagt worden seien, erklärte die zweifache Mutter.

Müller persönlich im Gerichtssaal

Müller, die in Oschatz geboren wurde, 2014 das RTL-„Dschungelcamp“ gewann und vielfach im Reality-TV zu sehen war, war Freitagmorgen entgegen vieler Erwartungen zur Urteilsverkündung gekommen, nachdem ihr das persönliche Erscheinen freigestellt worden war. Sie hatte stets ihre Unschuld beteuert und sich auch von rechtsradikalem Gedankengut distanziert. Zwei Gerichtstermine hatte sie zuvor gesundheitsbedingt platzen lassen.

Das Urteil vom Freitag ist noch nicht rechtskräftig. Die Verteidigung wollte sich nicht dazu äußern, ob sie Rechtsmittel einlegen wird.

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