So richtig weiß man eigentlich nicht, was man von der ganzen Geschichte halten soll. Polizeibeamt/-innen verkaufen und kaufen offenbar bis etwa Mitte 2019 in Leipzig vier Jahre lang völlig unbehelligt Fahrräder, die gestohlen wurden und sich in der Asservatenkammer stapelten. Der Ruf jedenfalls hat gelitten, die Aufklärung zieht sich seit der ersten Entdeckung im Sommer 2019 und mancher sieht im „Fahrradgate“ Exemplarisches. Wie geht die Polizei mit Diebstahl und Hehlerei in den eigenen Reihen um?
Dass die Fülle der gestohlenen Räder in der Asservatenkammer der Polizeidirektion Leipzig einer der Auslöser für den ungesetzlichen Handel mit dem Eigentum Dritter über einen zwischengeschalteten Verein war, ist ein Puzzleteil einer „riesigen Eselei“. So jedenfalls nennt Leipzigs neuer Polizeipräsident René Demmler die illegale Handelsidee im LZ-Interview. Und „das geht nicht!“.
Doch natürlich geht es um mehr: Der Ruf der Leipziger Polizei leidet bis heute, das Verfahren ist auch ein Prüfstein für innerpolizeiliche Ermittlungen, bei der die sächsische Generalstaatsanwaltschaft immerhin von Strafvereitelung im Amt, Hehlerei und Diebstahl spricht.
Glaubt man den Erkenntnissen, die der von CDU-Innenminister Roland Wöller bestellte „Sonderermittler“ Klaus Fleischmann am 26.11.2020 dem sächsischen Innenausschuss vorlegte, dann kauften die Abnehmer, vorrangig Polizeibeamt/-innen, ihre Räder quasi für den Privatgebrauch. Mehrfacherwerbungen habe es jedenfalls nicht gegeben. So die Erkenntnisse des Mannes ohne Einblick in die Ermittlungsunterlagen, der selbst mal von 2005 bis 2007 Landespolizeipräsident war, bevor er anschließend zehn Jahre bis zu seinem Ruhestand 2017 als sächsischer Generalstaatsanwalt arbeitete.
Parallel liegen der LZ erste polizeiintern durchsickernde Verkaufspreise vor, welche letztlich nicht dafürsprechen, dass mit den besitzerlosen Rädern ein Riesengeschäft aufgezogen oder hohe Renditen erzielt werden sollten. Massive Gewinnerzielungen scheinen jedenfalls nicht das Motiv der involvierten Personen gewesen zu sein, eher eine Art kriminelle Gefälligkeitskultur gegen eine Gebühr für Räder, die niemand mehr zu brauchen schien.
Informationen, die letztlich bei den kommenden Gerichtsverfahren zweitrangig sein werden – da zählen jene Erkenntnisse, die die Ermittler des LKA Sachsen und die Generalstaatsanwaltschaft Sachsens vorlegen.
Eine Razzia nach über 1,5 Jahren
Diese dürften sich seit der Ermittlungsaufnahme seitens des LKA 2019 und die Übernahme des Verfahrens im Juni 2020 durch die Generalstaatsanwaltschaft nun durch die weitere Razzia vom 23. Februar 2021 nicht mehr so gravierend verändern. Die maßgeblichen Fakten bleiben wie gehabt.
Da wäre der Kreis der Käufer/-innen. Diesen beschreibt Dr. Nicole Geisler, Staatsanwältin der Generalstaatsanwaltschaft Sachsen, gegenüber LZ als aus 149 Personen bestehend, von denen noch gegen 118 Beschuldigte ermittelt wird. „Darunter 77 Personen, die zum Tatzeitpunkt Angehörige der sächsischen Polizei waren, und zwei weiteren Personen, die zum Tatzeitpunkt Angestellte der sächsischen Justiz waren“. Gegen „31 Beschuldigte, darunter 16 Polizeiangehörige, wurde das Verfahren bereits gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt“, so Geisler weiter.
Bei diesen hätte sich der Verdacht auf Straftaten aus verschiedenen Gründen nicht erhärtet. Blieben demnach mutmaßlich mindestens 118 Fahrräder, die von diesem Kreis gekauft wurden. Die Vorwürfe gegen die Käufer: „Anstiftung oder Beihilfe zum Diebstahl oder zur (veruntreuenden) Unterschlagung, wegen Beteiligung an einem Verwahrungsbruch, wegen Verdachts der Hehlerei, sowie wegen Vorteilsgewährung oder Bestechung“.
Der zweite Komplex dreht sich um den kleineren Kern derer, die offenkundig Räder aus der Asservatenkammer an den Verein übertrugen und jene, die diese Räder von da aus letztlich verkauften. Also ehemalige Mitarbeiter/-innen der „ZentraB Fahrrad“, der polizeilichen Einheit, die eigentlich dafür sorgen sollte, dass die Zahl von jährlich rund 1.500 bis 1.700 gestohlenen Rädern in Leipzig weniger werden.
Der Kreis derer, die sich also das Verfahren offenbar erdachten, wird von Nicole Geisler mit „vier Beschuldigten, darunter zwei Polizeibeamte“ umrissen. Hier geht es strafrechtlich schon eine Runde härter zur Sache, aus der eventuellen Mittäterschaft der Käufergruppe geht es hier direkt zum Verdacht „des Diebstahls oder der (veruntreuenden) Unterschlagung, wegen Verwahrungsbruchs, Urkundenfälschung, Betrug, Vorteilsannahme oder Bestechlichkeit“.
Gegen diese Personen hatten sich die Durchsuchungsmaßnahmen am Dienstag, dem 23. Februar 2021, gerichtet, wobei in der Polizeidienststelle Weißenfelser Straße und an sieben weiteren Orten in Leipzig und im Leipziger Umland Durchsuchungen stattfanden.
Dabei wurden, so Geisler, „Wohnungen von insgesamt drei Beschuldigten sowie Wohnungen und Geschäftsräume von Dritten, gegen die sich die Ermittlungen nicht richten, durchsucht“. Und „verschiedene Unterlagen, Mobiltelefone und drei Fahrräder sichergestellt“. Angesichts der langen Zeit, welche seit dem Bekanntwerden der Vorgänge verstrichen ist, wohl der letzte Durchgang – viel Neues dürfte hier nicht mehr auftauchen.
Im dritten Verfahren geht es für derzeit noch „sechs Polizeiangehörige“ um Strafvereitelung im Amt. Eine weitere Beschuldigte habe mittlerweile den aktiven Polizeidienst verlassen. Zentraler Gegenstand der Ermittlungen gegen sie ist, „inwieweit die Beschuldigten im Zeitraum seit 2014 bis Sommer 2019 von den Vorwürfen Kenntnisse hatten, welche Kenntnisse sie hatten und ob sich daraus eine Pflicht zu Handlungen ergab, die vorwerfbar unterlassen wurden“, so Geisler.
Keine unwesentliche Frage, denn genau hier tut sich die Frage auf, wer hätte polizeiintern einschreiten müssen, um die illegalen Veräußerung der Räder zu stoppen.
Getrennte Wege
An dem Einsatz waren übrigens insgesamt 23 Beamt/-innen, zwei Bedienstete des Landeskriminalamtes Sachsen sowie zwei Staatsanwälte der Generalstaatsanwaltschaft beteiligt. Alle aus Dresden versteht sich, selbst Presseauskünfte erteilt nicht einmal das LKA, sondern ausschließlich die Generalstaatsanwaltschaft Dresden.
Getrennte Wege also zwischen der maßgeblich betroffenen Polizeidirektion Leipzig und den Ermittler/-innen samt Staatsanwaltschaft in diesem Fall. Die einzige Möglichkeit, um wenigstens in das Ermittlungsverfahren Vertrauen zu haben, nachdem rund fünf Jahre lang niemand in der Polizeidirektion dem Treiben ein Ende setzte. Mit verheerender Wirkung auf das Vertrauen in die Redlichkeit sächsischer Polizeibeamter.
Wann die Ermittlungen abgeschlossen sind, möchte man bei der Generalstaatsanwaltschaft noch nicht sagen, „Prognosen“ gebe man nicht ab. Doch angesichts der zudem überlasteten Gerichte steht eine Anklageerhebung wohl kaum für 2021 ins Haus.
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