Der Leipziger Chemikalienhändler Peter-Philipp F. (33) soll rund 4,1 Tonnen des Crystal-Grundstoffs Chlorephedrin an Saur S. (46) verkauft haben. Der Armenier führte die Chemikalie tschechischen Drogenküchen zu. Soweit die These der Ermittler. Der Prozess gegen die beiden Männer platzte am Dienstag, weil Oberstaatsanwältin Elke Müssig rechtsstaatliche Verfahrensgrundsätze missachtete.
Der Fund war spektakulär. Ermittler des Bundeskriminalamts und der tschechischen Behörden machten Anfang November 2014 eine Drogenbande dingfest, die im benachbarten Ausland mittels Chlorephedrin die gefährliche Modedroge Crystal Meth zusammenbraute. Die Chemikalie ist in Deutschland frei verkäuflich und unterliegt nicht dem Grundstoffüberwachungsrecht. Bei einer Razzia beschlagnahmten die Ermittler 2,9 Tonnen der weißen Substanz.
Peter-Philipp F. soll sich die Chemikalie eigens im Ausland produzieren und nach Leipzig liefern lassen, um sie über Saur S. dem Drogenring zuzuführen. Gegenüber den Behörden soll der Chemie- und Pharmahändler die Vernichtung der Substanz vorgetäuscht haben, um sie illegal zur Rauschgiftproduktion weiterverkaufen zu können.
Die Staatsanwaltschaft hatte beide Männer im März wegen Beihilfe zum unerlaubten bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 13, beziehungsweise täterschaftliches Handeln in zehn Fällen angeklagt. Die 8. Strafkammer ließ jedoch nur einen Anklagepunkt zur Hauptverhandlung zu. Die Richter sahen nach den vorliegenden Beweismitteln, aber auch der Beweiswürdigung seitens der Staatsanwaltschaft, keinen Nachweis darüber, was mit dem nach Tschechien verbrachten Chlorephedrin geschehen sei.
Da der bloße Handel mit der Substanz nicht strafbar sei, bedürfe es zu einer Verurteilung einer nachprüf- und konkretisierbaren Haupttat. Die bloße Mutmaßung, dass aus dem Grundstoff Methamphetamin hergestellt wurde oder werden sollte, reiche dafür nicht aus, da eine straflose Vorbereitungshandlung nicht ausgeschlossen werden könne. Der konkrete Tatverdacht sei in lediglich einem Fall erkennbar. Ausreichende Belege für eine bandenmäßige Struktur hätten ebenso nicht vorgelegen.
Eine schallende Ohrfeige in Richtung Oberstaatsanwältin Elke Müssig. Die langjährige Leiterin des Drogendezernats legte gegen den Eröffnungsbeschluss überraschend keine Beschwerde ein. Den Grund lieferte die Ermittlerin beim Prozessauftakt. „Ich war im Urlaub.“ Anscheinend hatte Müssig für die Abwesendheitszeit keine Vertretung bestimmt, die für die Einhaltung der Frist hätte sorgen können. Diese hochnotpeinliche Ausrede sollte am Dienstag nicht die einzige Blamage der Anklagebehörde bleiben. Angesichts eines undurchsichtigen Akten-Chaos hatten die Verteidiger keine Mühe, einen Aussetzungsantrag zu formulieren. Die Anklageschrift kam gar nicht erst zur Verlesung.
Die fünf Rechtsanwälte, die die Angeklagten betreuen, beklagten neben einer mangelhaften Aktenführung, dass Müßig weit nach Anklageerhebung weitergehende Ermittlungsmaßnahmen initiiert habe. So lägen die Ergebnisse eines verfahrensrelevanten Rechtshilfeersuchens an die Tschechische Republik noch nicht vor.
Dass in einem Aktenkonvolut ein Protokoll auftaucht, dass die Staatsanwaltschaft ungeordnet dem Gericht übersandte, ein Zeuge während einer Vernehmung von Beamten des Bundeskriminalamts urplötzlich als Beschuldigter belehrt wurde, die Staatsanwaltschaft Gericht und Verteidiger über diese höchst relevante Entscheidung im Dunkeln ließ, überraschte sogar die 8. Strafkammer. Müßig behauptete kurzerhand, von dem Vorgang selbst nichts zu wissen. Allerdings ist die Oberstaatsanwältin Herrin der Ermittlungen. Seit Übernahme des Verfahrens trägt sie für jeden Schritt der polizeilichen Ermittler die volle Verantwortung.
„Die Verteidigung ist zur Vorbereitung auf vollumfängliche Akteneinsicht angewiesen“, beklagte Anwältin Rita Belter. „Die angemessene Verteidigung des Herrn F. ist unmöglich“, konstatierte ihre Kollegin Doreen Blasig-Vonderlin. Die Dresdner Strafverteidigerin Ines Kilian attestierte Müßig gar „gravierende Verletzungen des Rechtsstaatsprinzips“. Ohne Kenntnis sämtlicher Erkenntnisse der Ermittlungsbehörden kann sich die Verteidigung nur schlecht bis gar nicht auf einen Strafprozess vorbereiten, geschweige denn eine Strategie entwickeln. “Nach der Aktenlage richtet sich maßgeblich die Strategie der Verteidigung aus”, betonte Blasig-Vonderlin.
„Wir wollen ein prozessordnungsgemäßes Verfahren führen“, stellte der Vorsitzende Rüdiger Harr die Position der Kammer klar. Deshalb blieb den Richtern keine andere Wahl, als den Prozess auszusetzen. In dem Zusammenhang hob das Gericht die Haftbefehle gegen beide Angeklagten auf. Die weitere Inhaftierung sei mit dem Beschleunigungsgebot in Strafsachen unvereinbar, da ein Ende der Ermittlungen im Augenblick nicht absehbar sei. „Die Aufrechterhaltung der Haftbefehle ist unverhältnismäßig“, so Harr. Beide Männer gelangten im Anschluss an die Verhandlung sofort auf freien Fuß. Wann der Prozess von vorn aufgerollt wird, ist im Augenblick nicht absehbar.
Es gibt 4 Kommentare
Die Kammer hat ihre Meinung aber rechtskräftig festgestellt, ihre Meinung ist damit eine genuine Tatsachenfeststellung mit Rechtswirkung. Der Prozess wurde manifest in eine andere Richtung gelenkt. Das ist ein Unterschied.
Die inkriminierte Formulierung könnte auch so lauten:
“weil die Kammer festgestellt hat, dass Oberstaatsanwältin Elke Müssig rechtsstaatliche Verfahrensgrundsätze missachtet hat.”
Ja, richtig: kein “habe” und kein “soll”.
Der Journalist hat die Tatsachenfeststellung diplomatisch korrekt wiedergegeben.
Auch die Kammer vertritt nur eine Rechtsmeinung. Die Kammer würdigte einen Sachverhalt und kam zu einer Meinung. Man kann durchaus auch anderer Meinung sein.
Es handelt sich bei den dargestellten Sachverhalten um Tatsachen, die durch den Aussetzungsbeschluss der Kammer rechtskräftig festgestellt worden sind.
Wie wäre es denn mit der Formulierung “…, weil Oberstaatsanwältin Elke Müssig rechtsstaatliche Verfahrensgrundsätze missachtet haben soll.” Ein bisschen mehr Neutralität stünde der Berichterstattung gut zu Gesicht. Aber da wiederhole ich mich.