Die Oper Leipzig beschreitet neue Wege. Am Samstag hob sich zum ersten Mal während der Intendanz Ulf Schirmers der Vorhang für eine Wiederentdeckung. Charles Gounods Oper „Cinq-Mars“ verschwand nach der Premiere 1877 schnell in der Versenkung. Die Leipziger Wiederentdeckung wurde vom Publikum frenetisch bejubelt.

Hört man den Namen Gounod, denkt man sofort an den Kassenschlager „Faust“, vielleicht auch an „Romeo et Juliette“. „Cinq-Mars“ war bislang nur Musikwissenschaftlern und eingefleischten Gounod-Kennern ein Begriff. Erst im Juni vergangenen Jahres erschien die erste und einzige Einspielung des Werks auf CD. Ulf Schirmer hatte den vergessenen Klassiker gemeinsam mit dem Palazzetto Bru Zane, dem venezianischen Forschungszentrum für vergessene französische Musik, ausgegraben und in Versailles konzertant mit dem Münchner Rundfunkorchester aufgeführt.

Das Projekt verlief offensichtlich zu Schirmers Zufriedenheit. Zumindest war der Opernintendant von dem Werk genug überzeugt, um ihm eine Chance auf der Leipziger Opernbühne einzuräumen. Als Regisseur für das Wagnis verpflichtete Schirmer den scharfsinnigen Klassikerspezialisten Anthony Pilavachi, der in Leipzig bereits „Rigoletto“ und den Doppelabend „The Canterville Ghost/Pagliacci“ inszenierte.

Wie alle Gounod-Opern entstammt die Handlung einer literarischen Vorlage. Der Historienroman „Cinq-Mars“ von Alfred de Vigny lieferte das Grundgerüst für das Libretto. Die Handlung spielt in Frankreich im Jahre 1642. Kardinal Richelieu ist als Erster Minister von König Louis XIII. (Randall Jakobsh) zum mächtigsten Mann im Staat avanciert. Der junge Marquis des Cinq-Mars (Mathias Vidal) schmiedet mit seinem Freund Conseiller de Thou (Jonathan Mitchie) und anderen Adligen ein Komplott zum Sturz des Geistlichen. Bestärkt wird er in seiner heimlichen Liebe zur Prinzessin Marie de Gonzague (Fabienne Conrad). Sie möchte den Kardinal an den König Polens verraten. Doch Richelieus Handlanger Pater Joseph (Mark Schnaible) kann das Komplott entlarven – und für seine Zwecke ausnutzen.

Prinzessin Marie (Fabienne Conrad) und Cinq-Mars (Mathias Vidal). Foto: Tom Schulze
Prinzessin Marie (Fabienne Conrad) und Cinq-Mars (Mathias Vidal). Foto: Tom Schulze

Die große Schwäche dieser Oper ist die Partitur. Der Strippenzieher Richelieu taucht darin überhaupt nicht, der König nur am Rande auf. Pilavachi lässt den Kardinal als stumme Figur über die Bühne wandeln, um dem machthungrigen Geistlichen zumindest visuelle Präsenz zu verleihen. Ausgangspunkt des Abends sind Richelieus Machtspiele. Marie soll aus politischen Gründen den polnischen König heiraten. Zusammengesunken kauert die Prinzessin auf dem Bühnenboden, während das Gewandhausorchester die Ouvertüre spielt. Neben ihr zwei Särge, darin die abgeschlagenen Köpfe von Cinq-Mars und Conseiller de Thou.

Gounods Figuren steuern drei Stunden lang auf ein unausweichliches Schicksal zu. Trotz einiger Längen in der Partitur bereitet es durchaus Freude, ihnen dabei zuzusehen. Regisseur Pilavachi und sein Ausstatter Markus Meyer haben sich für ein traditionelles Ambiente entschieden. In Anlehnung an die tableauartigen Inszenierungen der Grand Opera hat Meyer den Bühnenraum in einen riesigen Bilderrahmen gesteckt. Der hintere Bühnenraum ist seinerseits von einem zweiten Rahmen umgeben. Das Team nutzt ihn einerseits, um mittels verschiebbarer Kulissenteile Orte und Szenenwechsel anzudeuten, andererseits als Auftrittsmöglichkeit für den Chor.

Pilavachi kreiert jedoch keine starren Tableaus, sondern lässt die Figuren munter miteinander interagieren. Die Mitwirkenden dürfen ihr schauspielerisches Talent entfalten. Szenischer Höhepunkt ist die Balletteinlage im 2. Akt. Choreografin Julia Grundwald hat mit Tänzern des Leipziger Balletts ein heiteres Schäferspiel als „Spiel im Spiel“ entwickelt. Ein visueller Hingucker, der der Handlung allerdings etwas Wind aus den Segeln nimmt. Dennoch erweist sich das Werk insbesondere im dritten und vierten Aufzug als knisternder Opernthriller, der die Zuschauer an die Sitze fesseln kann.

Prinzessin Marie (Fabienne Conrad) steht zwischen den Fronten. Foto: Tom Schulze
Prinzessin Marie (Fabienne Conrad) steht in Gounods „Cinq-Mars“ zwischen den Fronten. Foto: Tom Schulze

Das ist zuallererst ein Verdienst des Belgiers David Reiland, der Sänger und Gewandhausorchester souverän durch den Abend führt. Die Balance stimmt, jedes gesungene Wort ist im Saal bestens zu verstehen. Mathias Vidal manövriert seine helle Tenorstimme gefühlvoll durch die Titelpartie, ganz ohne heldenhaften Pathos. Das gefällt. Fabienne Conrads pulsierender Sopran steht dem in Nichts nach. Mark Schnaible hat sichtlich Freude an der dunklen Bass-Partie des zwielichtigen Pater Joseph. Danae Kontora verzückt das Publikum mit besonders schrillen Tönen als Marion Delorme. Alles in allem muss das Lob aber der gesamten Sängerriege gelten, die am Premierenabend mit guten bis sehr guten Leistungen von sich Reden gemacht hat. Dieser „Cinq-Mars“ ist in jedem Fall einen Besuch wert.

Cinq-Mars (Der Rebell des Königs)
Charles Gounod

Oper Leipzig
Nächste Termine: 27.05., 11.06.

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