Einen Krieg nur aus russischer Perspektive beschreiben? Gar noch einen Krieg, von dem alle Welt glaubt, die richtige Sichtweise zu haben? Das ist ein ganz brandaktuelles Thema. Mit dem Leo Tolstoi 1868/1869 Furore machte, als sein Roman „Woina i mir“ erschien. Eigentlich ein Monstrum von Roman, den man zwar verfilmen, aber nicht in einen Theaterabend zwängen kann. Mit einem Trick aber gelingt es, was am 19. Januar im Schauspiel Leipzig zu erleben sein wird.
Dann ist nämlich Premiere für die Performance, die sich die Berliner Theatergruppe Gob Squad auf Grundlage des Romans erarbeitet hat. In der Theatergruppe spielen deutsche und englische Schauspieler gemeinsam, deswegen wird auch die Inszenierung doppelsprachig.
Und das Ganze funktioniert, weil die Theaterleute einfach das Theater auf die Bühne bringen und zeigen, wie Krieg und Frieden inszeniert wird. Schon im ganz Kleinen. Denn der große Kladderadatsch beginnt mit den ganz persönlichen Eitelkeiten im Kleinen.
Weitab von den sich ständig verschiebenden Konfliktzonen, an einem vom Frieden verwüsteten Ort, versammelt sich eine Gruppe von KünstlerInnen in einer Art Salon, nach dem Vorbild der Zusammenkünfte des russischen Adels zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Ihre Gespräche kreisen um Krieg und Frieden – sowohl in der heutigen Wirklichkeit als auch um Tolstois fast 150 Jahre altes monumentales Romanwerk. Im Verlauf des Abends werden die Gäste in einer nicht enden wollenden Parade von Charakteren, die weit über das Personal des Romans hinausreicht, nach Rang und Status vorgestellt. Es wird getanzt, gegessen und sich duelliert. PerformerInnen bereiten sich auf Szenen vor, als würden sie in die Schlacht ziehen, und positionieren sich immer wieder neu in einem Spiel mit wetteifernden Perspektiven und persönlichen Ansichten – nicht nur über das, was im Roman und seinen Verfilmungen vor sich geht, sondern auch in der Welt als Ganzes.
Gob Squads „War and Peace“ stellt mit spielerischen Mitteln Fragen nach den Wurzeln und Hintergründen von Konflikten. Definitionen von Freiheit, Privilegien und Sicherheit werden ebenso verhandelt wie das Individuum im Verhältnis zur Gemeinschaft. In der Gegenwart des Alltagslebens verortet, reflektieren Gob Squad eine Frage von Tolstois Roman, die aus der Sicht des Hier und Heute mehr denn je relevant ist: Wie lässt sich ein moralisch vertretbares Leben führen in einer ethisch imperfekten Welt? Oder anders: Wie können wir sorglos und bequem mit dem Wissen von Leid, Chaos und Schaden leben, den unser alltäglicher „friedlicher“ Lebensstil mitverursacht?
„War and Peace“ ist eine Live-Video Performance von Gob Squad, ein kollektives Leseerlebnis eines historischen Romans, in der Kunst- und Alltagsraum, Geschichte und Gegenwart, Realität und Fiktion verschwimmen und alle Anwesenden zu potentiellen Akteuren werden.
Gob Squad schließen mit dieser Arbeit an vorausgehende Produktionen wie „Prater Saga“, „Gob Squad’s Kitchen“, „Super Night Shot“ und „Revolution Now!“ an. Seit 1994 realisieren Gob Squad Arbeiten im Grenzbereich von Theater, Performance, Kunst und Medien. Mit ihrer Arbeit „Super Night Shot“ waren sie bereits in der Spielzeit 2014/15 zu Gast in der Residenz und kehren nun mit dieser vom Schauspiel Leipzig koproduzierten Arbeit zurück auf die Hinterbühne.
„War and Peace“ ist eine Produktion von Gob Squad und den Münchner Kammerspielen. Koproduziert von der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz Berlin, dem Schauspiel Leipzig, dem Konfrontacje Teatralne Festival Lublin, Lancaster Arts at Lancaster University, Malthouse Theatre und Melbourne Festival, der Gessnerallee Zürich, Nottingham Playhouse und Teatro Stabile di Torino – National Theatre.
Leipzig-Premiere für die Performance in englischer und deutscher Sprache ist am Donnerstag, 19. Januar, um 19:30 Uhr auf der Hinterbühne des Schauspiels Leipzig.
Weitere Vorstellungen am 20. und 21. Januar, jeweils 19:30 Uhr
Eine Produktion von und mit Gob Squad (Berlin) in Zusammenarbeit mit den Münchner Kammerspielen und in Koproduktion u. a. mit der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz Berlin und dem Schauspiel Leipzig
In eigener Sache: Für freien Journalismus aus und in Leipzig suchen wir Freikäufer
https://www.l-iz.de/bildung/medien/2016/11/in-eigener-sache-wir-knacken-gemeinsam-die-250-kaufen-den-melder-frei-154108
Keine Kommentare bisher