Im Jahre 1948 sorgte die Uraufführung von Boris Blachers Einakter "Die Nachtschwalbe" in Leipzig für einen Skandal. Das Nachkriegspublikum ließ nichts unversucht, um die Premiere zu stören. Eine Vorstellung vor Messepublikum musste abgebrochen werden. 67 Jahre später steht das Werk wieder auf dem Spielplan. L-IZ.de war in der Premiere.

“Die biederen Messeonkels stellten fest, daß sie sich verlaufen hatten”, schrieb das Nachrichtenmagazin “Der Spiegel”. “Sie waren in die Leipziger Städtische Oper gegangen, um Boris Blachers ‘Flut’ und ‘Nachtschwalbe’ zu sehen und zu hören, sie reagierten auf die künstlerischen Bemühungen mit Zurufen, wie ‘Aufhören!’ und ‘Schluß machen!'” Schon bei der Premiere hatten Zuschauer die Aufführung mit Trillerpfeifen gestört. Über die Hintergründe lässt sich heute nur spekulieren.

Das Libretto erzählt die Geschichte der jungen Nelly (Olena Tokar). In einer schmuddeligen Tanzbar wird die junge Frau von dem Vorstadtkavalier Harry (Sergey Pisarev) mit einer goldenen Halskette verführt. Plötzlich schlägt die Polizei auf. Kommissar Schmoerl (Tuomas Pursio), der Nelly verhört, dringt immer tiefer in ihre Lebensgeschichte ein. Wie der Zufall es möchte, stellt sich heraus, dass der Polizist Nellys leiblicher Vater ist. Der Ermittler steht urplötzlich vor einer inneren Zerreißprobe.

Die goldene Halskette wird Nelly zum Verhängnis. Foto: Tom Schulze
Die goldene Halskette wird Nelly zum Verhängnis. Foto: Tom Schulze

Kristof Spiewok belässt die Geschichte in der Nachkriegszeit. “Jeder deutsche Patriot hilft beim Neuaufbau Berlins”, verkündet eines der Plakate, die die Wände des Spiegelzelts zieren. Die Produktion reizt die Grenzen des Machbaren aus. Sechs Solisten bevölkern die kleine Rundbühne in der Zeltmitte. Hinzu kommen einige Statisten und ein Chor, der im ersten Teil des Abends aus den Logen im Hintergrund singt. 20 Orchestermusiker und ein Pianist teilen sich den beengten Raum der Hinterbühne. Am Pult gab der neu verpflichtete Kapellmeister Christoph Gedschold am Samstag einen bravourösen Einstand.

Spiewok begreift den außergewöhnlichen Spielort zugleich als Kulisse. Das Spiegelzelt wird zur Tanzbar, die Zuschauer zu Komparsen. Der Regisseur nimmt das Publikum mit auf Zeitreise. Bühnenbildner Norman Heinrich hat auf die Rundbühne einen Tresen mit Barkeeper drapiert, der echtes Bier ausschenken darf. Andrea Seidels Kostüme sind modisch an die vierziger Jahre des 20. Jahrhunderts angelehnt. Blachers Musik spiegelt den damaligen Zeitgeist wieder. Die Zuschauer bekommen Foxtrott, Walzer, Swing und Chansons auf die Ohren, müssen aber auch langatmige Rezitative ertragen.

Das Ensemble lieferte in dem Fünfzig-Minüter bei der Premiere eine gesangliche Glanzleistung ab. Olena Tokar und Sergey Pisarev bildeten ein romantisches Opernpaar. Tuomas Pursio füllte die Schmoerl-Partie mit einer gehörigen Portion diabolischer Bassschwärze. Kathrin Göring sang mit betörendem Timbre die Chansons, die Blacher für Nellys Tante Holzschuh geschrieben hat. Milcho Borovinov (Kommissar Bulke) und Magdalena Hinterdobler (Nellys Freundin Gerda) hatten mit ihren kleineren Partien keinerlei Probleme. Das Premierenpublikum war rundum zufrieden und spendete reichlich Applaus. Ein erneuter Theaterskandal blieb dem musikalischem Kleinod Gott sei Dank erspart.

Weitere Termine: 11.10., 16.10., 17.10., 18.10.

Infos & Tickets: http://www.oper-leipzig.de/de/programm/die-nachtschwalbe/58253

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