Vormittags gegen 11.00 Uhr in Bayreuth strömen Schulklassen und Kinder samt Eltern am Festspielhaus vorbei. Sie wollen zu einer Probebühne mit Kinderoper. Ältere Leute laufen in die andere Richtung zu einem Seiteneingang des großen Hauses zur Einführung für das Wagner-Werk am Abend. Es sind sogenannte inszenierungsbezogene Einführungen, dort wird erklärt, was man von der Kunst des Regisseurs sehen wird und halten kann.
Hingegen die Kinder sind vielleicht vorab gebrieft oder bereits Experten, denn etliche Schulklassen haben Figurinen für die „Parsifal“-Kostüme entworfen. Jetzt wollen sie auf der Bühne sehen, wovon sie bisher so viel gehört haben. Manche reisen mit Bussen über weite Strecken an. Hier passiert etwas Besonderes.
Ein feines Theaterfoyer gibt es nicht, man steht und wartet zwischen Probebühnentür und WC-Container. Große, dicke Programmhefte werden verteilt zum Bilderangucken, Nachlesen, Malen und Basteln. Da ist beschrieben und gezeichnet, mit wem man es in dieser Wagner-Opern-Kurzfassung zu tun hat. Denn in einer guten Stunde ist hier alles erzählt, alles gespielt und alles erklungen. Hier fragt man nicht nach Preis und Geld, für die Kinder ist es ein Geschenk. Eine Investition gemeinsam mit dem jüngsten Publikum von heute ins Theater von morgen.
Leipzig lernte von Bayreuth
Leipzigs Oper hat mit ihrem „RING für Kinder“, gezeigt in der Musikalischen Komödie, die einstige Bayreuther Musik- und Textfassung übernommen und sorgte damit beim jungen und beim gar nicht mehr so jungen Publikum für Aufsehen und Vorstellungsanzahl.
Katharina Wagner hatte die Idee „Wagner für Kinder“ mit ihrem Amtsantritt auf den Bayreuther Hügel gebracht, mit besten Kontakten zu Theaterausbildungsstätten. Die eigens gegründete BF Medien GmbH verwaltet nach eigenen Angaben eine Extra-Kasse „Wagner für Kinder“ und zieht Sponsoren in ihren Bann.
Auf der Bühne stehen Solisten, die sonst im Festspielhaus tätig sind. Es ist keinesfalls etwa eine pädagogische, neudeutsch: educative Einführung in die Kunst des Theatermachens, es ist auch keine Kammeroper. Hier wird groß gespielt, groß gesungen, groß musiziert mit den zwei Dutzend Musikern des Brandenburgischen Staatsorchesters aus Frankfurt (Oder). Nur eben auf kleiner Spielfläche und vor nur 200 zumeist jungen Besuchern, die freilich Erzieher, Betreuer oder Eltern mitbringen „dürfen“…
Spannung und Staunen
Hier herrschen atemberaubende Ruhe, Spannung und Staunen auf den Zuschauerpodesten bis zum Ausklang des letzten Taktes, und dann meldet sich das Publikum mit temperamentvollem Applaus und trampelnden Beinen zurück! Jahraus, jahrein war es so – die Repertoire-Stücke der Festspiele hat man nun durch, den RING gab es an nur einem Vormittag.
Jedes Mal wird der Raum anders aufgebaut, einen Erzähler gab es nur anfangs beim „Fliegenden Holländer“ , nun erspielen sich die Personen ihre Geschichte selbst. Manchmal mit Rückfrage beim Publikum.
Außer Sichtweite der Solisten sitzt das Orchester dicht gedrängt, das Gralsglocken-Instrument ist zu hören und zu sehen. Hoch oben über den Zuschauern zeigen Monitore zwar den Dirigenten, aber hier klappt das Zuhören und Zuspielen zwischen Orchester und Gesang scheinbar traumhaft einfach. Boris Schäfer, der Dirigent, sonst Assistent der Bayreuther Festspiele, hält die musikalischen Geschicke bewundernswert zusammen.
Parsifal darf die Sympathien des Publikums einheimsen, bis die von Klingsor gestohlene Waffe wieder dort ist, wo sie hingehört. Mut zur Ordnung verdient Anerkennung. Es ist nur ein anderer Begriff für „Erlösung dem Erlöser“. Oder, wie es ein Mönch mal sagte: „Halte Ordnung, denn sie hält dich!“
Grell-bunte Blumenmädchen im Schlaraffenland
Wie in den Vorjahren gestalteten Kinder in einem Wettbewerb die Kostüme, die Siegerentwürfe des Oberkasseler Comenius- und des Gerresheimer Marie-Curie-Gymnasiums wurden in den Bayreuther Werkstätten den Sängern auf den Leib geschneidert.
Einfach grell und bunt zeigen sich die Blumenmädchen-Kostüme in Klingsors Zaubergarten und Schlaraffenland mit riesengroßen Blüten. Im Bühnenbild von Anneliese Neudecker ist sonst gerade noch Platz für zwei Wachtürme und den Gral als einen besonders wichtig präsentierten Stein, wenig größer als eine Faust.
Hier wird es eng für die Darsteller, um nah dran zu sein am Publikum. Szenische Verwandlungen gehen unheimlich schnell, und die Gralsritterrunde verkörpern ein paar Statisten.
Tristan Braun ist als Regisseur noch Regie-Student in Berlin. Er kennt als Sohn einer Sängerin das Leben im und um das Festspielhaus seit Kindheits-Sommertagen und verkörpert nun zusammen mit der Festspielchefin Katharina Wagner einen Generationenwechsel in der Wagner-Pflege. Für die nur 10 Vorstellungen gibt es immerhin eine DVD.
Wenn man an dieser Bayreuther Kinderoper etwas bemängeln kann, dann nur, dass es so wenige Vorstellungen gibt und sich nicht noch mehr „große Kinder“ ins Publikum einschleichen können. Nur zu gut sind da die von Beginn an praktizierten DVD-Aufzeichnungen der jeweiligen Werke in ihren Fassungen und Besetzungen.
Die Wagners und die Märchen
Richard Wagner mischte, ver- und bearbeitete in seinem Werk Mythen, Märchen, Fabeln, Legenden und Symbole. Detektive sind längst am Werke gewesen, um die versteckten Märchenfiguren zu enttarnen.
Spiel mit märchenhaftem Material hatte sich von Richard auch auf seinen Sohn Siegfried vererbt, der ganze Scharen von Figuren in der Oper „An allem ist Hütchen Schuld“ platzierte. Spielerischer Umgang auch mit den Werken des Vorfahren hat sich bis zu Katharina Wagner vererbt, die zwar die Oper für Kinder erfand, als sie in die Chefetage des Bayreuther Festspielhaues einzog, aber selbst noch nicht als Regisseurin eine solche Kinderoper gearbeitet hat.
Erinnerungen an Geborgenheit
„Es war einmal…“ im sprichwörtlichen und übertragenen Sinne lebendig zu halten, hat sich ausgerechnet mit der Pflege von Märchen und Erinnerungen neu bewährt, was manchen überraschte. In der Zeitschrift „Deutsche Sprachwelt“, Ausgabe 60, Sommer 2015, wurde ein therapeutisches Modellprojekt zu Märchen und Demenz beschrieben.
Regelmäßige wöchentliche Besuche von einer Märchenfee sollen von einer Zuhörerin mit den Worten „Endlich ist mal einer auf die Idee gekommen, Märchen zu erzählen!“ gewürdigt worden sein. Fachleute fabulieren dann von Möglichkeiten erneuten Zugangs zu Erinnerungen an die Kindheit, an Geborgenheit und Sicherheit. Als Favorit beim betagten und erfreuten Patienten-Publikum sollen sich die „Bremer Stadtmusikanten“ erwiesen haben, „die in einer neuen Gemeinschaft wieder eine Aufgabe und Bedeutung finden“. „Sehnsucht nach Renaissance“ war der Zeitungsartikel überschrieben, Zwischenüberschrift: Märchen sind wie Medizin. Angeregt wurde das Projekt vom Deutschen Zentrum für Märchenkultur gGmbH.
Vielleicht ist das die größte Generationenaufgabe, Märchen erzählen zu erlernen. Lesen und Zuhören eingeschlossen. Und die Vorstellungskraft möglicher Veränderungen…
Keine Kommentare bisher