Erstmals feierte das Leipziger Schauspiel mit seinem Zuschauern im Rahmen einer Premiere den Rutsch ins neue Jahr. Auf dem Programm stand Bertolt Brechts "Dreigroschenoper", die Künstler der drei großen Kulturhäuser Gewandhausorchester, Oper und Schauspiel gemeinsam auf die Bühne brachten. Ein umjubelter Erfolg.
“Erst kommt das Fressen, dann die Moral.” Das Schauspiel Leipzig nahm die Brecht’sche Weisheit beim Wort. Das Premierenpublikum kam am Silvesterabend in den Genuss eines köstlichen Wandeldinners. Das Angebot kam trotz teurer Tickets an. Die Vorstellung war restlos ausverkauft.
“Es ist ein Versuch”, sagte Enrico Lübbe in seiner Begrüßungsansprache. “Wenn heute Abend noch nicht alles so klappt, wie wir uns das vorstellen, dann sehen Sie uns das nach.” Die Panne war unüberhörbar. Die Stimme des Intendanten klang krächzend aus den Boxen. Es sollte die einzige des Abends bleiben.
Der stellvertretende Opern-Musikdirektor Anthony Bramall hat die Gesangstalente des Leipziger Ensembles zum Leben erweckt. Herausragend Anna Keil, die sich als rebellische Polly Peachum auch in den hohen Tonlagen wohlfühlt. Bramall interpretiert Kurt Weills Kompositionen als kraftvolle, stakkatohafte Schlachtgesänge gegen den Kapitalismus.
Das Gewandhausorchester spielt werkgetreu. Keine Doppelbesetzungen. Keine Arrangements frei Schnauze. Alles, was instrumental in der Partitur steht, kommt genau so zur Aufführung. Eine sinnliche Delikatesse, die dem erfahrenen Brecht-Konsumenten nicht allenortens geboten wird.
Regisseur Phillip Tiedemann, ein ausgewiesener Brecht-Experte, dessen Chemnitzer Inszenierung Lübbe mit in die Messestadt gebracht hat, bringt “Die Dreigroschenoper” als plakatives Figurenspiel zur Aufführung.
Tiedemann historisiert im Sinne Brechts, indem er verschiedene Verfremdungseffekte einsetzt. Das Orchester sitzt nicht im Graben, sondern auf der Hinterbühne. Die Gesichter der Akteure sind übertrieben fahl geschminkt. Brechts Regieanweisungen und Szenenüberschriften werden von einem Marktschreier mit Megfaon in den Saal gebrüllt.
Der Abend ist ein Paradebeispiel für das epische Theater. Allerdings schreibt Tiedemann Brechts Theaterkonzeption nicht fort, wendet sie nur stumm an. Keine Chöre im Sinne Einar Schleefs. Keine sinnliche Selbstentblößung wie in Heiner Müllers legendärem “Arturo Ui”. Keine Videoprojektionen wie bei Sebastian Baumgarten. Dem Regisseur fehlt einfach der Mut zum Wagnis. So gesehen gleicht die Inszenierung einer zeitgemäßen Stadttheater-Marotte.
Der Zuschauer darf sich trotzdem auf kleine szenische Highlights freuen. So bezahlt Maceath das Bestechungsgeld an den Gefängniswärter zeitgemäß per Kreditkarte. Intelligentes Bühnenbild: Überdimensionale Buchstaben, die anfangs den Schriftzug “Die Dreigroschenoper” bilden. Im Laufe des Abends werden die Klötze hin und her geschoben, umgekippt und übereinander gestapelt.
Schauspielerisch ist der Abend ein Hingucker: Grandios Anna Keils Auftritt bei Intonierung der “Seeräuber-Jenny”. Ebenso stark: Dirk Lange als edler Räuber Maceath. Die Leistung des Abends erbringt Andreas Herrmann, der mit Jonathan Peachum den Prototypen des gierigen Kapitalisten der goldenen Zwanziger verkörpert. Natürlich stilecht mit Zylinder, Frack und Trillerpfeife.
Das Ensemble erntete tobenden Applaus. Trotz provinzieller Inszenierung, die zwar ob ihres künstlerischen Entwicklungsstands leicht angestaubt wirkt, Brechts antikapitalistische Botschaft jedoch zu transportieren weiß und den Geschmack weiter Teile des Leipziger Schauspielpublikums trifft. Gleichzeitig erbringen die drei großen Kulturinstitutionen der Stadt den Beweis, dass sie gemeinsam ansprechendes Theater produzieren können.
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