Die erste Aufführung auf der großen Bühne des Schauspielhauses Leipzig ist nach den manchmal populistischen Grabenkämpfen rings um gewesene und kommende Intendanten pur als Theaterstück zu bewerten. Eines der ersten zudem, die Suche nach dem neuen Schauspiel hat begonnen. Es ist nicht von Lübbe oder Hartmann, sondern von einem, der nichts mit der Debatte um das ehemalige Centraltheater zu tun hat. Und diese erste Inszenierung, ob von Lübbe nun bewusst so gewählt oder nicht, ist gutes Handwerk. Doch berühren kann sie nicht.

Wirtschaftlich scheint der Neustart gelungen: Das Haus ist ausverkauft und viele hoffen vergeblich an der Abendkasse auf eine Karte. Das Publikum gemischt und erwartungsfroh. Die Bühne schimmert silbern-schwarz und zur Hälfte füllt Wasser den Raum, in dem der Held von Venedig steht: Othello.

Ein edler Charakter, immer wieder in Frage gestellt, weil er ein Schwarzer ist, eröffnet in Leipzig das Stück Shakespeares um Intrige, Moral und Tod.

Jago, der von Othello nicht zum Leutnant beförderte Fähnrich betritt die Bühne, das scheinbar pure Böse trifft auf sein moralisches Gegenstück. Der gerissene Intrigant aus Hass führt ab jetzt durch die Handlung. Seine Eifersucht, sein verletzter Stolz werden stückgetreu auch in der Leipziger Inszenierung zum Hauptdarsteller von mitreißender Konsequenz.

Die Inszenierung von Christoph Mehler ist ästhetisch gelungen, das Bühnenbild wundervoll und sie kommt ohne große Effekte und Überladung aus. Doch fehlt am Premierenabend die Spannung, es ist keine Interpretation zu erkennen. Bis auf die modernere Sprache, die modernen Anzüge, den herausragend von Mathis Reinhardt gespielten Jago und das Theaterspiel an sich, könnte man auch einfach das Buch zuhause lesen. Die Aufführung ist verständlich, die Dramaturgie stringent, aber all dies scheint die Emotionen zu erdrücken.
Ein paar Lacher, ein bisschen Nacktheit für die Jungen, der Konflikt zwischen alter und neuer Welt, die brillante Fähigkeit Jagos wirklich alles zu seinem Vorteil zu gestalten treibt das Stück voran. Doch der Umbruch des Othello, des Gutmütigen, der zum Besessenen, von Eifersucht zerfressenen Mörder wird, passiert fast nebensächlich. Und kommt fast ohne sichtbare Wandlung des Innenlebens der namensgebenden Figur aus. Aber vielleicht soll das auch so sein, denn wie Michel de Montaigne sagt: “Zu Anfang haben wir unser Tun in der Hand; es ist in unserer Gewalt; aber dann, wenn die Sache läuft, führt sie die Zügel und nimmt uns mit, und wir haben zu folgen.” Auf dem Felde ist Othello der Mann, welcher dennoch nur schwer daran glauben kann, geliebt zu werden. Eben das macht ihn nun zum hilflosen Passagier einer Überfahrt, welche Jago lenkt.

Bleibt also Jago als tragender Pfeiler der Inszenierung. Dieser weiß was in der Tiefe der Menschen außer Güte, Zuwendung und Liebesfähigkeit ebenfalls an schwarzer Tiefe wohnt. Diese versteht er zu wecken, auch und vor allem bei seinem Gegenspieler. Dazu benötigt Jago nur ein paar Lügen und die Erkenntnis, woran das Glück des Feldherren Othello wirklich hängt. Es ist der seidene Faden eines Taschentuches und das Herz einer Frau. Desdemona verliert das mütterliche Erbstück Othellos und dieser nimmt es fast schon als willkommenen Beweis, er würde nicht aufrichtig geliebt. Und will von seinem Irrglauben auch nicht abgebracht werden, ab jetzt tut er selbst alles um Recht zu behalten. Endlich vollkommen überzeugt, erwürgt er Desdemona, die es selbst als Opfer Jagos nicht mehr schafft dem Wahn Einhalt zu gebieten.

Die erste Aufführung im Schauspielhaus wagt nicht viel. Ohne viel Fantasie wird das Drama William Shakespeares auf dem Silbertablett serviert. Das Publikum applaudiert begeistert und verharrt unerhoben doch auf den Sitzen. Das rückbenannte Schauspiel Leipzig sucht erneut die Balance zwischen Provinz- und Metropolentheater. Etwas mehr Risiko wäre sicher fruchtbar.

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