Wie sich ein Amateurorchester auf den Weg macht, im ehrwürdigen Gewandhaus zu spielen. Das Ziel: Musikalische Meisterwerke auf hohem Niveau. Das Leipziger Lehrerorchester (LLO) gibt am 25. Mai um 17 Uhr sein Frühjahrskonzert. Grund genug, einmal nachzufragen, wie weit die Proben fortgeschritten sind und was es eigentlich bedeutet, im traditionsreichsten Amateurorchester der Musikstadt Leipzig zu spielen.
Auskünfte geben der Dirigent des Leipziger Lehrerorchesters (LLO) Gerd-Eckehard Meißner, die Bratschistin Britta Rottländer und der Klarinettist Wieland Kärger. Die Fragen stellte die Cellistin Katharina Kleinschmidt beim Probenwochenende in der Landesmusikakademie auf Schloss Colditz.
Das LLO spielt wieder im großen Saal des Gewandhauses. Auf dem Programm stehen die Karelia-Ouvertüre von Sibelius, das grandiose Cello-Konzert von Dvořák und die 1. Sinfonie von César Franck. Geprobt wird seit Dezember. Wo stehen wir heute?
Rottländer: Es fängt gerade an, richtig Spaß zu machen. In der tollen Akustik der Landesmusikakademie hört man plötzlich Zusammenklänge, die man vorher nicht mitbekommen hat.
Meißner: Wir sind noch nicht da, wo wir hinkommen wollen. Heute lasse ich bei der Probe noch einiges durchgehen, was in den nächsten Proben dann nicht mehr geht. Wir müssen noch weiterarbeiten, damit wir ein wirklich hohes Niveau erreichen.
Die Leute denken, du stehst da und fuchtelst als Dirigent nur herum …
Meißner: Es ist ein bisschen mehr. Wenn man beginnt, ein Werk auseinanderzunehmen, fängt man bei null an. Ich baue von Anfang an alles auf. Das geht von Strichen los über die Töne bis zum Rhythmus.
Wenn du dich in einem Wort beschreiben müsstest: Bist du eher Löwenbändiger oder ein Zauberer, der ein Kaninchen aus dem Hut zaubert?
Meißner: Ich bin jedenfalls kein Diktator. Wir haben zum Glück einen langen Probenprozess. Ob ich nun ein Löwenbändiger bin, weiß ich nicht. Ich muss natürlich gewisse Fäden zusammenhalten.
Ah, ein Marionettenspieler! Was macht Ihr anderen beiden denn beruflich?
Rottländer: Ich bin Gynäkologin.
Kärger: Ich bin Zahnarzt. Das ist eine interessante Koinzidenz, Medizin und Musik. Irgendwie läuft das häufig zusammen, auch im Lehrerorchester.
Eckehard, du wiederum bist gelernter Musiker, hast Geige studiert, daneben Klavier und Dirigieren. Wie funktioniert die Zusammenarbeit zwischen einem Profi und Amateuren? Nervt dich das manchmal, wenn es beim 100. Mal immer noch nicht klappt?
Meißner: Es fällt manchmal schwer, als Orchesterleiter ruhig zu sein. Aber ich habe ein System des Aufbaus. Wenn man ein Haus baut, fängt man nicht mit Tapezieren an. Man muss erst einen Grundstock haben. Und dann kommt die Feinarbeit. Ich hätte heute bei der Probe, die zwei Stunden gedauert hat, nur einen halben Satz proben können. Und den dann ausgefeilt.
Aber ich weiß, eine Woche später ist die Hälfte wieder weg. Einerseits können nicht immer alle. Andererseits gibt es vom Niveau her große Unterschiede. Da unterstützen mich der Konzertmeister und die Stimmführerinnen und Stimmführer sehr. Ansonsten würde ich auch manchmal verzweifeln, ganz klar.
Kärger: Am Anfang spielt man die Stellen langsam, weil die Töne noch nicht sitzen. Da muss man Geduld haben, die Eckehard Gott sei Dank hat. Für uns als Musiker finde ich ganz angenehm, dass man dieses Polster hat, als Laie mal daneben hacken zu können.
Rottländer: Deswegen haben wir ja Medizin studiert.
Wenn Eckehard als Zahnarzt arbeiten würde, wäre es wahrscheinlich auch nicht so toll.
Kärger: Was ich wirklich an Eckehard beeindruckend finde, ist, dass er alles hört, was falsch läuft, aber ruhig weiter probt, obwohl er noch nicht zufrieden ist. Und ich sitze manchmal da und denke, mein Gott, das ist jetzt schon 50 Mal gesagt worden! Ich habe unter anderen Dirigenten gespielt – da lief das nicht so harmonisch …
Rottländer: Da fliegt schon mal der Taktstock durch den Saal.
Meißner: Die Proben finden nach dem Arbeitstag statt. Die feinere Arbeit mache ich deshalb am Anfang der Probe und lasse es die letzte halbe Stunde ein bisschen laufen. Auch beim Probenwochenende habe ich das gemerkt. Siebeneinhalb Stunden sind lang, das wäre für Berufsorchester gar nicht möglich. Ihr dagegen macht das mit.
Bei den Profis wird überhaupt weniger geprobt: Die Berufsorchester brauchen bei weitem nicht so viele Proben, weil sie durch ihr Studium viele Feinheiten beherrschen und nur die Besten durch ein Probespiel in ein Orchester kommen. Wir machen keine Probespiele, nach einer Probezeit entscheiden die Stimmführer/-innen und Mitspieler/-innen, ob der „Neuling“ bleiben darf.
Ihr kriegt am Anfang der Probenphase mitgeteilt, was wir spielen. Ist euch das schon mal so gegangen, dass ihr was auf dem Pult hattet und fandet es totalen Käse?
Kärger: Ja, klar.
Was machst du dann?
Kärger: Na, spielen. Das ist doch keine Frage. Die Musik wird auch schöner, wenn man sie dann kann und die Nuancen hört.
Am 25. Mai ist das Konzert im Gewandhaus. Da sitzt das LLO auf dem Podium, mit 1.000 bis 1.500 Menschen im Publikum. Was ist das für ein Gefühl?
Rottländer: Ich freue mich jedes Mal sehr darauf. Gewandhaus ist ein sehr klingender Name. Allein, wenn man durch die Gänge geht und die Bilder von Mendelssohn oder irgendwelche Plakate sieht – das fühlt sich ganz anders an als in irgendeiner Stadthalle.
Kennst du diese Ehrfurcht auch, Eckehard?
Meißner: Auf jeden Fall. Wenn man da vorne steht und weiß, wer da vorher schon alles dirigiert hat …
Kärger: Ich bin massiv aufgeregt vor den Konzerten. Obwohl ich das schon seit Jahrzehnten mache. Als Bläser hat man Respekt vor Stellen, die man hundertmal in der Probe richtig gespielt hat. Dann spielt man im Konzert und denkt, kommt da jetzt ein Fis oder ein F? Und schon ist die Stelle vorbei und man hat danebengegriffen.
Das hängt nicht nach?
Kärger: Man muss sehr auf den Moment konzentriert sein. Dann vergisst man es. Und wie gesagt, mir hat noch keiner das Ohr abgerissen, weil ich was falsch gespielt habe.
Meißner: Man ärgert sich wahrscheinlich hinterher mehr als während des Konzertes.
Rottländer: Die Leute kommen nicht ins Konzert, um zu gucken, ob da jemand Fehler macht. Sie wollen schöne Musik hören und uns beim Spielen sehen. Wenn wir die Freude ausstrahlen, die wir an der Musik haben, ist das das Wichtigste.
Kärger: Mein Anspruch ist es, das Publikum zu überraschen, wie gut wir sind, wie gut es klingt. Dass die Leute sagen: Mensch, das war ein Laienorchester, das hörst du ja überhaupt nicht! Deswegen übe ich auch und versuche, möglichst perfekt zu spielen.
Meißner: Ich bin ja mittlerweile seit fast 40 Jahren Orchesterleiter des Lehrerorchesters. Am Anfang waren wir ein kleines Kammerorchester. Wir sind zum Glück immer mehr geworden, auch Jugendliche kommen jetzt öfters zu uns. Und wir haben so tolle Bläser/-innen und Streicher/-innen.
Inzwischen können wir uns das leisten, große Literatur zu spielen, Weltliteratur, die den Leuten gut gefällt. Der Sibelius ist eine herrliche Musik. Man spürt die Weiten, die Wälder, die Seen. Und das Cello-Konzert von Dvorak ist ein wunderbares Stück für alle.
Kärger: Und Konstanze Pietschmann ist eine super Cellistin. Ich freue mich sehr auf sie.
Wer sollte sich das Konzert nicht entgehen lassen?
Kärger: Wir sprechen Musikinteressierte an, die gute Musik in einem berühmten Saal hören möchten. Im Gewandhaus, im großen Saal, ein Konzert zu hören, ist ein Erlebnis. Allein der Klang in diesem Raum!
Meißner: Die einmal da waren, kommen meistens wieder. Auch mein Zahnarzt, der möchte jedes Mal kommen. Und den Dr. Kärger hören.
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Konzert des Leipziger Lehrerorchesters (LLO), Samstag, dem 25. Mai, 17 Uhr, Gewandhaus zu Leipzig, Großer Saal.
Das Programm:
Jean Sibelius – Karelia-Ouvertüre, op. 10
Antonín Dvořák – Cellokonzert h-Moll, op. 104
César Franck – Symphonie d-Moll, FWV 48
Solistin: Konstanze Pietschmann – Violoncello
Dirigent: Gerd-Eckehard Meißner
Eintrittskarten: Tickets zu 16 € (erm. 10 €), Abendkasse: 17 € (erm. 11 €)
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