Und jetzt tauchen wir einfach ab. Ab ins frühe 19. Jahrhundert, wo sich nicht nur Neo Rauch zu Hause fühlt. Diesmal begegnen wir dort Thomas Fritzsch, Michael Schönheit und der Merseburger Hofmusik, die wir eigentlich im 18. Jahrhundert zurückgelassen hatten bei einem gewissen Carl Friedrich Abel, dem berühmtesten Gambenspieler seiner Zeit. Und dem letzten, wie die damaligen englischen Boulevardmedien berichteten, die „Morning Post“ und die „General Evening Post“. Aber: Das stimmte wohl (wie immer) nicht so richtig.

Auch wenn mit dem 1723 in Köthen geborenen Carl Friedrich Abel 1787 in London wohl tatsächlich der berühmteste Gamben-Virtuose aller Zeiten starb. Da kann man auch schon mal etwas übertreiben bei den Nachrufen. Da geht dann schon mal ein ganzes Zeitalter zu Ende und die beliebte Viola da gamba wird gleich mitbeerdigt.

Sie ist übrigens das Lieblingsinstrument von Thomas Fritzsch, der mit Einspielungen und Konzerten diesem einst stilbildenden Instrument einer wesentlich weniger hektischen Zeit als der unseren wieder Gehör und Aufmerksamkeit verschaffen will. Auch Abel ein bisschen, dessen Vater ja in Köthen in jener Hofkapelle musizierte, deren Kapellmeister einst Johann Sebastian Bach war. Grund genug, neugierig zu sein auf diesen Abel und sein Instrument.

Und Fritzsch forscht. All seine Veröffentlichungen auf CD, die er mit dem bekannten Pianisten und Organisten Michael Schönheit und der 1998 gegründeten Merseburger Hofmusik einspielt, sind Ergebnisse emsiger Forschungen in Archiven und Überlieferungen. Denn er will wissen, wie das Gamben-Zeitalter klang. Das ist auf einem halben Dutzend Scheiben mittlerweile aufgezeichnet. Doch auch Thomas Fritzsch war in seinem Musikerleben groß geworden mit der Legende, dass das Gamben-Zeitalter mit Abel zu Ende gegangen sei. Selbst der Herr Geheimrat Goethe hatte so etwas verlauten lassen.

Aber auch Goethe wusste so manches nur aus dritter Hand. Goethe irrte. Und dass er sich geirrt haben musste, darüber fand Fritzsch bei seinem eigentlichen musikalischen Ziehvater Aufklärung: Robert Schumann. Genau jenem Burschen, den wir ja nun mit hochemotionaler romantischer Musik in Verbindung bringen. Da passt doch der fast melancholische Klang der Gambe gar nicht hinein? Doch, stellt Schumann in einer seiner vielen kenntnisreichen Aussagen zur zeitgenössischen Musik fest – er war ja auch noch professioneller Musikkritiker.

Und er kannte die Musikwelt seiner Zeit. Und die Viola da gamba war nicht verschwunden. Wie auch? 100 Jahre lang hatten sich alle adligen und bürgerlichen Haushalte, die Wert auf Musikpflege legten, diese wohllautenden Instrumente zugelegt. In London wurden sogar noch neue gebaut. Die Gambe war also noch eifrig im Gebrauch, auch wenn sie als Instrument nicht mehr so ganz zum deutlich forcierteren Klangkörper der Romantik passte.

Was nicht bedeutet, dass man romantische Musik nicht auch mit der Gambe spielen kann. Denn genau das erlebt man nun auf dieser Scheibe, auf der Fritzsch lauter Originalpartituren zur Gambe aus dem 19. Jahrhundert oder die damaligen Bearbeitungen bekannter Stücke der Romantik für die Gambe einspielt. Darunter zwei bekannte Stücke von Mendelssohn Bartholdy und auch eins von Robert Schumann.

Und beim Zuhören tritt genau das ein, was man erwartet hat – man ist doppelt angenehm überrascht, hört das Vertraute und hört es doch in einem völlig anderen Klang, geradezu von der Musikfarbe zurückversetzt in ein vergangenes Jahrhundert. Und die Stücke verlieren nichts dabei.

Die Bearbeitungen selbst haben mittlerweile historischen Wert, denn sie erzählen natürlich davon, dass auch die Zeitgenossen Mendelssohns und Schumanns die zu ihrer Zeit beliebten Stücke zu Hause gern auf ihrer geliebten Gambe spielen wollten.

Und das war auch mehr als nur Liebe zu historischen Elementen. Denn so ganz fremd war die Viola da gamba auch der Romantik nicht, wie Thomas Fritzsch im kenntnisreich geschriebenen Booklet schreiben kann. Denn eine Spur führt zu einem Kapellmeister, den die meisten Heutigen nur als Autor phantastischer Märchen und Geschichten kennen: E. T. A. Hoffmann, der eben – ganz ähnlich wie Mendelssohn – ein Multi-Talent war als Zeichner, Musiker und Autor.

Und außerdem hatte er einen unerschütterlichen Gerechtigkeitssinn, was ihn ja bekanntlich gewaltig mit den preußischen Amtswaltern zusammenrasseln ließ. Und Thomas Fritzsch geht nicht ganz zufällig auf Hoffmanns „Nachtstücke“ ein, die 1816/1817 erschienen, und in denen das nächtliche Musizieren eine ganz zentrale Rolle spielt. Und kein Instrument war für diese Nachtmusiken geeigneter und beliebter als die Gambe. Genau hier trifft sich die Hausmusik des Gamben-Zeitalters mit der Faszination der Romantiker für die Nacht, die Träume und die Phantasie.

Gut möglich, dass viele Liebhaber der Gamben-Musik auch begeisterte Leser der „Nachtstücke“ waren, wobei Hoffmann ja seine berühmteste Musiker-Phantasie schon früher geschrieben hatte: die „Kreisleriana“ (1810/1814), die ja bekanntlich Robert Schumann 1838 zu seiner „Kreisleriana“ anregte, die freilich ein Klavierzyklus ist, kein Gamben-Zyklus.

Es stimmt natürlich, dass mit Abel die hohe Zeit der Gambenmusik tatsächlich zu Ende ging. Das Instrument verlor seine zentrale Rolle, der gesamte Klangkorpus der moderneren Musik veränderte seine Tonfarbe. Trotzdem blieb das Instrument bei vielen Musizierenden beliebt, wurden auch neue Stücke – nun schon eindeutig im romantischen Geist – für die Gambe komponiert. Auf der CD zu hören sind zum Beispiel Stücke von Jaeschke, Guhr und Chwatal.

Lauter Stücke, auf die auch der Freyburger Thomas Fritzsch erst wirklich aufmerksam wurde, nachdem ihm Robert Schumann die Augen geöffnet hatte. Seit er begonnen hat, die Spuren der Viola da gamba in der Musik und in alten Archiven zu suchen, erfreut er die Welt mit immer neuen Entdeckungen. Manchmal sieht das wirklich so aus, als wäre das einst so beliebte Instrument durch ein Naturereignis vom Erdboden verschwunden gewesen.

Aber tatsächlich erging es der Gambe wohl genauso wie anderen historischen Musikinstrumenten: Als sich das Tempo, die Hörgewohnheiten und der Musikgeschmack des Publikums änderten, wanderten sie aus den Konzertsälen ab, wurden aber im privaten Kreis (der durchaus auch eine kleine Gesellschaft oder ein musikalischer Salon sein konnte) weiter gespielt und fanden noch weit ins 19. Jahrhundert hinein Liebhaber und Komponisten, die sich ihrer annahmen.

Nur aus dem Fokus der Medien verschwanden diese Instrumente. Bis in den letzten Jahren ambitionierte Musiker begannen, mit der „alten Musik“ auch die dazugehörigen Instrumente wiederzuentdecken. Und auch Fritzsch ist stolz, auf Gamben aus dieser Zeit spielen zu können. Und wenn man sich hineinhört, spürt man eigentlich mit allen Fasern, wie wohltuend es ist, sich auf diesen Ton einer vergangenen Zeit einzulassen, die noch nicht im Stakkato lebte und die Abende nicht vor wild flackernden Bildschirmen verbrachte, sondern doch lieber beim gemeinsamen Musizieren mit Instrumenten, die wie gemacht waren für die nachdenkliche Stimmung am Ende eines Tages.

„The 19th-Century Viol“, Coviello Classics, Darmstadt 2019, COV92001

Thomas Fritzsch und Freunde haben die Gamben-Sonaten und Trios aus Schloss Ledenburg eingespielt

Thomas Fritzsch und Freunde haben die Gamben-Sonaten und Trios aus Schloss Ledenburg eingespielt

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