Das Gewandhausorchester meldet sich mit amerikanischen Klängen aus der Sommerpause zurück. Zum Saisonstart gab`s am Freitag eine Uraufführung von Sean Shepherd. Yo-Yo Ma interpretierte Schostakowitschs 1. Cello-Konzert und Bernsteins „Three Meditations“ aus „Mass“. Außerdem stand Bartóks Orchesterkonzert auf dem Programm.
Dass das Gewandhausorchester die zweite Boston-Woche binnen drei Monaten begeht, hat terminliche Gründe. Am kommenden Samstag ist das Boston Symphony Orchestra in der Messestadt zu Gast. Der Auftritt im Gewandhaus ist Teil der intensiven Partnerschaft zwischen den beiden Klangkörpern, die 2015 im Zuge der Verpflichtung von Andris Nelsons vereinbart worden war.
Ein Bestandteil der Kooperation ist die gemeinsame Beauftragung von Komponisten, Werke zu komponieren, die von beiden Klangkörpern interpretiert werden. Den Auftakt in dieser Kompositionsserie machte der US-Amerikaner Sean Shepherd. Der 39-Jährige aus Reno, Nevada zählt zur jüngeren amerikanischen Komponistengeneration, die in die Fußstapfen von Bernstein, Gershwin und Co. getreten ist. Seine Werke werden von den großen Orchestern Nordamerikas gespielt.
„Express Abstractionism“, so der Titel der Koproduktion, bewegt sich binnen 15 Minuten in hohem Tempo durch verschiedene Stimmungen und Atmosphären. Shepherd ließ sich beim Komponieren von den Arbeiten expressionistischer Maler wie Wassily Kandinsky, Lee Krasner oder Gerhard Richter inspirieren.
Herausgekommen ist ein assoziatives Raum-Klang-Kunstwerk für großes Orchester, das den Musikern höchste Konzentration abverlangte, um die mannigfaltigen Formen und Farben akkurat an- und übereinander zu fügen. Ein berauschendes Hörerlebnis, mit dem sich Teile des Publikums spürbar schwertaten. Immerhin spendete der ganze Saal dem Komponisten wohlwollenden Beifall.
Höhepunkt des Abends war der Auftritt von Yo-Yo Ma. Der Star-Cellist, ein Weltbürger mit chinesisch-französischen Wurzeln und amerikanischem Pass, gehört zu den ganz Großen seines Fachs. Mit dem Gewandhausorchester spielte der 62-Jährige zunächst Schostakowitsch. Gleich im ersten Satz des 1. Cello-Konzerts präsentierte der Virtuose sein kraftgeladenes Spiel, das ihn sichtbar an den Rand der Erschöpfung trieb. Das Zusammenspiel zwischen den dunklen Streichern des Orchesters und dem zart dahinschmelzenden Cello war ein wahrer Genuss.
Als Kontrastprogramm zum schweren Schostakowitsch hatte Nelsons Bernstein angesetzt. Der Auszug aus dem Musical „Mass“ klang wie eine Mischung aus Schostakowitsch und „West Side Story“. Zum Schluss servierte Nelsons noch einmal schwere Kost. Bartóks Orchesterkonzert ist mit seinen vielen Stimmungs- und Tempowechseln wahrhaftig kein Werk, das zum Mitsummen einlädt. Das Gewandhausorchester durfte seine hohe individuelle Klasse ausspielen, um aus den tonalen und atonalen Einfällen Bartóks ein großes Ganzes zu formen. Dem Publikum gefiel das Resultat. Die Konzertgäste spendeten anhaltenden Beifall.
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