Große Momente bedürfen keiner Worte. Nach dem letzten Ton hielt Herbert Blomstedt am Donnerstag lange inne, bevor er den Musikern gestattete, sich zu regen und die ersten „Bravos“ durch den Saal schallten. „Ein deutsches Requiem“ von Johannes Brahms markiert an diesem Wochenende nicht nur den Abschluss der Konzertserie, die das Orchester dem Altkapellmeister anlässlich seines 90. Geburtstags gewidmet hat. Der Abend zählt schon jetzt zu den Höhepunkten der laufenden Saison.

Nicht alles lief am Donnerstag perfekt. Aufgrund der Live-Übertragung im MDR Hörfunk begann das Konzert später als geplant. Shootingstar Siobhan Stagg, die von der Fachwelt unter anderem für ihre Interpretation des Brahms-Requiem hochgelobt wird, verschluckte mit ihrer lyrischen Sopranstimme im fünften Satz hörbar einige Konsonanten. Sei es drum. Wie so häufig bei Blomstedt stand nicht der Maestro, sondern die Interpretation im Mittelpunkt.

Mit vielen kleinen Gesten, ohne Blick in die Partitur und wie immer ohne Taktstock, führte der Schwede Gewandhausorchester, Gewandhauschor und Wiener Singverein bravourös durch das Werk. Ohne zu abstrahieren oder gar zu experimentieren verließ sich der Altmeister allein auf die Wirkung von Tempi und Melodik. Die Balance zwischen Orchester und Sängern stimmte in jedem Augenblick. Jedes Wort war bestens zu verstehen.

Herbert Blomstedt. Foto: Alexander Böhm
Herbert Blomstedt. Foto: Alexander Böhm

Mit Michael Nagy hatte das Gewandhaus einen Spezialisten für das deutsche Repertoire verpflichtet, der die anklagende Bariton-Partie nicht überzeichnete, sondern einfühlsam und auf den Punkt bringend interpretierte. Der große Chor, der den gesanglichen Ankerpunkt des Brahms-Requiems bildet, zeigte sich als wandelbar. Klangen die Stimmen im ersten Satz noch verhalten andächtig, schmetterten sie etwa im sechsten gewaltig und voller Dynamik durch den Saal. Insgesamt begeisterte Blomstedts Deutung des populären Werks das Publikum im restlos ausverkauften Saal. Bravos, Standing Ovations und ein langanhaltender Schlussapplaus sind die höchsten Ehren, die dem Maestro nach getaner Arbeit zuteil werden können.

Zum Dank für sein 47-jähriges Engagement beim Gewandhausorchester wird dem Schweden am Freitag die Ehrenmedaille der Stadt Leipzig überreicht. „Wir zeichnen damit eine Ausnahmepersönlichkeit aus, die nicht nur herausragende künstlerische Arbeit mit dem Gewandhausorchester leistet, sondern die Musikstadt Leipzig in der Welt beispielhaft repräsentiert“, schreibt dazu OBM Burkhard Jung im Programmheft. In den kommenden Wochen wird Blomstedt mit dem Gewandhausorchester auf Tour gehen. Zu den Stationen zählen London, Paris, Luxemburg, Wien, Tokio und Taipeh.

 

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