Zuletzt saßen sie unter Palmen, jetzt haben sich Julius Fischer und Christian Meyer die Bommelmütze aufgesetzt und den Rauschebart umgebunden. Jetzt ist Weihnachtszeit. Vielleicht da draußen noch nicht, wo das Herbstlaub lodert im frischem Gelb. Aber drinnen in nervösen Stuben geht ja die Panik um: Was schenken wir denn dieses Jahr unseren Lieben? Na was wohl? Eine Scheibe.

Noch eine zu den tausend anderen Weihnachtsscheiben mit Knabenchören, Schlagersängern, Folkern, Bluesern und Metallern? Natürlich doch. Denn diese hier fehlt ganz bestimmt. Denn zumindest auf der Bühne haben diese beiden Burschen aus dem sächsischen Abendgrund sichtlich keine Anfälligkeit für falsche Romantik, süßliche Wattebauschigkeit und dieses ganze professionelle Herz-Gedudel übrig, das für gewöhnlich Radio- und Fernsehkanäle zuflutet und die Musikkonserven füllt. Dieses ganze verlogene Gesäusel, das einem zwei Wochen lang auf allen Kanälen die Illusion zu geben versucht, man sei von lauter Engeln, Friedfertigen und Gebefreudigen umgeben.

Man muss gar kein Weihnachtskonzert der beiden Burschen besucht haben, die sich so frech „The Fuck Hornisschen Orchestra“ nennen, um die Gewissheit zu bekommen, dass das, was heutzutage als Weihnachtsfest vermarktet wird, nichts anderes ist als eine riesige Verkaufsorgie, angezündet mit falscher Volksromantik und süßlichem Liedgebimmel, das schon vor 150 Jahren lächerlich klang.

Und was machen die beiden draus? Sie demontieren es mit Lust und Laune, pressen den ganzen melancholischen Grundton heraus, rappen und folken die alten Texte auf moderneres Tempo und drehen die Texte durch den Fleischwolf. Denn natürlich sind auch die Heile-Welt-Bilder von Hüttchen und Wäldern, Schnee und Engelein schlicht nur Zuckerguss, der schon 1850 nicht der Wirklichkeit entsprach. 2016 erst recht nicht. Es ist nicht heimelig unter Tannenbäumen. Vom Drumherum muss man da gar nicht reden.

Aber die Beiden wollen ja trotzdem Spaß machen. Also kommt das Ganze auch nicht mit Zeigefinger und Weihnachtsmannattitüde daher, sondern genauso, wie man die Fuck Hornisschen kennt: mit fröhlicher Freude am Reimen, Versingen und Sich-selbst-Kopieren. Denn den „Tannen“-Sound kennt man auch schon von ihrem „Palmen“-Lied und den roboterhaften XMS-Song von ihrem XBV-Song.

Das XMS weist schon darauf hin: Vor allem nehmen sie die heutige Heile-Welt-Romantik in der Vermarktung dieses Ramsch-und-Rausch-Festes aufs Korn, samt den falschen Märchen, die drumherum erzählt werden – zum importierten Santa Claus genauso wie zum importierten Rentier-Rudel. Nur dass ihr Rudolf diesmal fix und fertig ist: Das Rentier macht schlapp.

Die beiden Sänger kennen ihre Welt, wissen, wie das bei ihnen in Jugendtagen ablief und wie es ringsum heute anderswo abläuft, wie alles sich versucht, mit teurem Schnickschnack zu beglücken, aber die eigentlichen Verachtungsmechanismen weiter intakt bleiben. Warum sollte ein Teenager, den die Eltern das ganze Jahr über für ungehorsam und blöd erklärt haben, auf einmal am Weihnachtsabend andere Eltern erwarten dürfen? Das glaubt doch kein Schwein. Eher glaubt man, dass sich viele Eltern genauso benehmen und die Etiketten einer von Elite und Leistungsstress geprägten Gesellschaft auch auf ihren Nachwuchs kleben: Bist eben dumm! Fertig.

Frage nur einer die Psychotherapeuten im Land, wie weit das ausgreift. Manchmal melden Krankenkassen ja Zahlen zu besonders „gestressten“ Schülern im Land. Aber da repariert man nur an Symptomen herum. Unsere Gesellschaft leidet bis hinunter zum Bodensatz an einer Verachtung für Menschen, die das Hasenrennen nicht (mehr) mitmachen wollen. Diese Verachtung beherrscht unsere Schulen und immer mehr Familien.

Es klingt fast fröhlich, wenn Fischer und Meyer über das Thema singen. Aber die Fröhlichkeit trügt. Wer genau hinhört, hört den Sarkasmus heraus. Für diese Art mit Weihnachtsromantik angemalter Auslese-Gesellschaft haben sie nichts übrig. Also nutzen sie ihre Begabungen, um dem goldenen Schaf das Fell abzuziehen, diesem ganzen – oft genug christlich übersüßten – Weihnachtsgesinge. Und sie können es. Sie tun zwar oft so, als könnten sie keinen Ton treffen und sich keinen Vers merken. Aber wenn die beiden nur wollten, könnten sie schon morgen als Folkgruppe auf Tour gehen. Was sie in „Oh Holy Night“ und in „Silent Night“ erst recht beweisen. Fast ist man geneigt, sich das zu wünschen. Aber dann käme wohl eine zweite Sands Family heraus. Und diese ewige Botschaft, dass man doch nur den richtigen Glauben finden müsse, dann würde man auch eine schöne, marienselige Weihnacht bekommen.

Aber: Nichts ist ihnen heilig. Schon gar nicht die Missionierung im Weihnachts-Lied-Gewand. Die es ja nicht nur in immer frischen Importen Made in USA oder aus Irland gibt, sondern auch aus heimischer Suppentüte. Wozu nicht nur das borstige Lied vom Tannenbaum gehört, sondern auch diese Glöckchen-Klimper-Lieder à la „Es ist für uns eine Zeit angekommen“ oder „Wenn ich ein Vöglein wär“. Ist zwar eher ein Frühlingsliebeslied, wird aber in der Hornisschen Variante ein fröhlich-freches Weihnachtslied: „Wenn ich ein Glöcklein wär“. Wenn die Beiden in der Adventszeit im direkten Duell gegen die ganzen Hitparaden der Weihnachts-Volksmusik antreten könnten, man wüsste nicht, wer die besseren Zuschauerquoten hätte – die mit dem alljährlich neu aufgebügelten Gejammer verstimmter Jodelspezialisten oder eben Fischer und Meyer, deren Lieder immer neue Kurven nehmen, von der Bahn schlittern, und sich doch immer wieder in der Wirklichkeit einfinden.

Da eben, wo das Kindlein unterm Herzen von Maria („Maria durch ein’ Dornwald ging“) eben den richtigen Namen fürs Leben bekommt: Kevin. Kevin wird zum Erretter der Welt. Wer denn sonst?

Wer die ganzen Weihnachts-Schmonzetten liebt, wird vielleicht ein bisschen hin- und hergerissen sein: Soll man sich seine Gefühlsduseligkeit aus langen MDR-Abenden mit plappernden Goldlocken bewahren, quasi das Heile-Welt-Gefühl (das ja bekanntlich aus sächsischen Schnitzstuben kommt) hinüber retten ins nächste Jahr? Oder ist es nicht viel herzerfrischender, wenn man sich mit dem Fuck Hornisschen Orchestra hinüberschaukelt und swingt in eine Zuversicht, die aus einer ganz anderen Gefühlskiste kommt? Dieser komischen satirischen, die die Kevins so nimmt, wie sie sind, und gar nicht daran denkt, die Welt drei trantütige Tage lang in „güldnen Schein“ zu tauchen. Warum auch? Ist das Leben selbst nicht genug? Braucht es Glöckchen und Lichterlein, um einmal im Jahr wieder so etwas Ähnliches wie ein Mensch zu werden und mal wieder komische Ich-bin-ein-guter-Mensch-Gefühle zu bekommen?

Wer es ein ganzes Jahr lang nicht packt, zu seinem Leben eine unverkrampfte Beziehung zu finden, der wird es auch zu Weihnachten nicht schaffen. Wenn das mal keine Botschaft ist. Aber The Fuck Hornisschen haben – auch wenn auf der Bühne Vieles wie reine Blödelei aussieht – eben doch eine Botschaft. Und ihre Späße sind ernster gemeint, als es sich anfangs anhört. Aber sie sind auch ehrlich gemeint. Es ist ein gewaltiges Augenzwinkern, was die Beiden da als schmonzettiertes Weihnachtsprogramm veranstalten. Und wer Glück hat, erlebt eins ihrer Konzerte in nächster Nachbarschaft. Oder man hat schon eins erlebt, denn damit sind sie seit 2011 unterwegs. Und für die Anderen gibt es den sarkastisch-heiteren Weihnachtsspaß auf transportabler CD. Vielleicht sollte man ihn einfach einpacken, wenn es zum Pflichtprogramm bei den lieben Eltern und anderen Anverwandten geht.

Da kann man dann gegenhalten, wenn die lieben, lieben Alten wieder holdselig werden und die Platte mit der erzgebirgischen Weihnacht auflegen wollen. Man muss sich ja wehren können. Und das hier ist ausgezeichnete Munition gegen das selige Gejammer in der Weihnachtszeit.

The Fuck Hornisschen Orchestra „Weihnachtsschmonzette“, Voland & Quist, Dresden und Leipzig 2016, 14,90 Euro

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