Auch der Kalender für alle, für die das ganze Jahr lang Weihnachten ist, ist wieder erhältlich: Ludwig Güttlers Festkonzert für 2014. Was nicht nur mit den berühmten Kirchen und Kathedralen zu tun hat, die dieser Kalender zeigt und wo Güttler schon eindrucksvolle Konzerte gab oder berühmte Komponisten wirkten. Es liegt natürlich auch an Güttlers Trompete.
Denn damit spielt er ein Instrument, das auf diese Weise eigentlich nur bei festlichen und weihnachtlichen Konzerten zu hören ist. Und es ist mit einem Kapitel der Musikgeschichte ganz zentral verbunden: dem Barock. Das war eine Zeit der großen Prachtentfaltung an europäischen Fürstenhöfen, eine Zeit, in der sich selbst kleine Fürstentümer ein Theater, eine Hofkapelle und die entsprechenden Kapellmeister hielten. Vieles, was wir heute aufs engste mit erlebter Kirchenmusik verbinden, ist eigentlich ursprünglich Hofmusik.
Was natürlich einen wie Güttler auch zum Wiederentdecker macht. Denn mit der veränderten Musiklandschaft haben sich nicht nur die Aufführungsorte, das Publikum und das Instrumentarium geändert. Vieles, was jetzt nicht mehr in den neuen Musentempeln des aufstrebenden Bürgertums auf Zustimmung traf, verschwand in den Archiven. Wenn es nicht ganz und gar verschwand. Die zeitweilige Missachtung, die Johann Sebastian Bach erlebte nach seinem Tod, widerfuhr anderen seiner Zeitgenossen und Vorgänger noch viel massiver.
Und so nutzt Güttler seine Konzerte natürlich auch, um vergessene Komponisten wieder hörbar zu machen. Das scheint auf den ein oder anderen in diesem Kalender vermerkten Komponisten gar nicht zuzutreffen, auf Henry Purcell zum Beispiel, der gleich im Januar zusammen mit der Westminster Abbey gewürdigt wird. Aber sein Nachruhm begründete sich lange Zeit auf seinem Vokalwerk. Seine genialen Kompositionen für Trompete fanden den Weg in die Musik der Gegenwart praktisch erst, als Musiker wie Benjamin Britten, Pete Townshend und The Who sich eifrig bei dem genialen Engländer bedienten.
Und auch Wilhelm Friedemann Bach, der im Juni zusammen mit der Marktkirche in Halle ins Bild kommt, und Dietrich Buxtehude, der im Juli zusammen mit St. Marien in Lübeck gewürdigt wird, waren lange Zeit “Verschollene”. Bis Solisten und Ensembles der Gegenwart die Faszination ihrer Musik für sich entdeckten. Wenn die Leipziger immer wieder vom fast vergessenen Johann Sebastian Bach reden, dann sind sie – wie so oft – einer der vielen Legenden aufgesessen, mit denen einige Leute fette Schlagzeilen produzieren. Auch in der Musik gibt es Wellenbewegungen, verändern sich Rezeptionsgewohnheiten und Gewichte.Nur aus einer Sicht war Bach “abgetaucht”: aus der der modernen Kanonisierung von Künstlern, wie sie auch das 18. Jahrhundert so noch nicht kannte. Irgendwann haben ein paar Musikwissenschaftler und Theoretiker damit begonnen, eine Art starren Himmel der Genies für jede Kunstrichtung zu konstruieren. Ein bisschen nach dem Vorbild der “Sieben Weltwunder” aus dem alten Griechenland (von denen es heute praktisch nur noch die Pyramiden in Ägypten gibt) oder den Sieben Weisen, die Platon mal aufgelistet hat.
Und Generationen von Schülern plagen sich seitdem mit dem Auswendiglernen von Biografien und Zeitaltern und Namen, als wäre Kunst in Schubladen zu pressen. Aber genau das wird ihnen beigebracht. Und genau das verstellt ihnen natürlich fürs Leben auch den Blick auf den Reichtum der Künste, auf all die Verleugneten, Weggeblendeten, Kleingemachten der Kunstgeschichte. Statt Neugier schürt deutscher Schullehrstoff Vorurteile.
Das ist zwar schön fürs Marketing. Fürs Leipziger Marketing auch, denn mit Bach hat Leipzig ja nun auch nach Einschätzung der Musikfachwelt den Größten aller Großen. Und mit Mendelssohn, Wagner und Robert Schumann noch gleich drei aus dem Himmel der Ganz-Großen. Im Jahr 2013 zeigt sich zwar nun die Wagner-Gemeinde erfreut, dass ihr Held nun wieder im Rampenlicht steht.
Aber was ist mit den anderen? Aus diesem Kalender zum Beispiel: Wilhelm Friedemann Bach, einem der berühmten Söhne Johann Sebastians, der in Leipzig genauso seine “Lehrzeit” erlebte wie später Richard Wagner? – Er gehört nicht zu den Kanonisierten. Und Heinrich Schütz genauso wenig, der eng mit Bad Köstritz und Dresden verbunden ist. Er wird im April so nebenbei gewürdigt, wenn Ludwig Güttler drei Stücke von Moritz Landgraf von Hessen-Kassel spielt, der für Schütz zum Mäzen wurde, selbst aber augenscheinlich ebenfalls talentiert war.
Das Feld, das Güttler erkundet, ist erstaunlich reich bestellt und der Genießer von CD und Kalender lernt dabei Komponisten kennen wie Tylman Susato, Guiseppe Torelli, Jean Babtiste Loiellet de Gant oder Petronio Franceschini … Güttler erzählt in kurzen Passagen, wie die von ihm aufgestöberten Musiker in ihrer Zeit wirkten, in welchem Umfeld ihre Musik zu hören war, welche Rolle die Trompete spielte, die ja eine große Bandbreite abdeckt von feierlichem Jauchzen bis hin zu flottem Jagdschmettern. Das Wörtchen virtuos fällt – was für Güttler das Zentrale dabei ist: Am meisten liebt er jene Stücke, in denen die Trompete ihre Stärke als solistisches Instrument zeigen kann. Das wirkt zuweilen spielerisch, manchmal tänzerisch, oft auch von ungebremsten Emotionen getrieben.
Festkonzert 2013: Ludwig Güttler erweckt die Musik (fast) verschollener Barockkomponisten zum Leben
Vielleicht sollte man in Leipzig wirklich …
Ein Festkonzert für 2012: Mit Ludwig Güttlers Trompetenklängen durch Kirchen, Dome und Klöster
Wer bei St. Benno einen Kalender bestellt …
Die unsereins oft ja nur noch zu Weihnachten zulässt. Die letzten 300, 400 Jahre waren auch Jahre einer zunehmenden Bändigung der Gefühle. Der scheinbar errungenen Freizügigkeit steht im Grund ein ebenso gewachsenes Feld der unterdrückten Gefühle gegenüber. Man merkt es immer dann, wenn sich all die Leute mit ihren kantenlosen Charakteren, die sich in Verantwortungspositionen hinaufschlawinert haben, anfangen, “die Dinge regeln zu wollen” für das sonst nie und wohlweislich nicht gefragte Volk. Der Dünkel der Emotionslosen, die dem Volke dann gleich noch hochemotionale Denkmäler hinsetzen wollen, in denen nicht ein Zipfel Emotion mehr steckt. Wie das Freiheits-und-Einheits-Denkmal.
Das kann man dann eine amtliche Angst vor Emotionen nennen (die übrigens ja schon in der Ausschreibung steckt).
Da kann man nur noch um Hilfe rufen.
Oder sich das Güttlersche Festkonzert auflegen. Über eine Stunde lang trompetete Emotion. Das ist eine Wohltat in so verklemmten Zeiten.
Ludwig Güttler “Festkonzert 2014. Große Komponisten: verschollen – vergessen – wiederentdeckt”, Kalender mit CD, St. Benno Verlag, Leipzig 2013, 19,95 Euro
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