Der Börsenverein rief – und 24 kamen. Nicht ganz so viele Verlage wie in manchen Jahren zuvor, aber die drei Jahre Corona-Zeit haben auch die Verlage in Mitteldeutschland gebeutelt, manche an den Rand der Existenz getrieben. Und so fiel auch das traditionelle Gespräch des Börsenvereins vor der Leipziger Buchmesse zweimal aus – genau wie die Buchmesse, die es sogar dreimal erwischte.
Die geht in diesem Jahr mit neuem Termin, aber mit viel Hoffnung wieder an den Start. Samt Lesemarathon, der auch für die Verlage aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen eine unersetzliche Gelegenheit ist, ihre Autorinnen und Autoren vorzustellen und natürlich die aktuellen Buchpublikationen. Und natürlich ist das die so wichtige Gelegenheit, mit dieser scheinbar selten gewordenen Spezies wieder zusammenzukommen, die noch Bücher liest.
Was passt in 3 Minuten?
Oder hört. Denn Hörbuchverlage wie der Lagato Verlag aus Leipzig gehören längst zum Normal-Programm der Buchmesse. Wo man nicht lesen kann, kann man meist gut zuhören – beim Bügeln daheim, beim Straßenbahnfahren mit Kopfhörern oder auf langen Autofahrten.
Da darf es auch mal mehr sein als ein Kinderhörspiel: Brandaktuelles wie das Hörbuch zu Sawsan Cheblis Buch „Laut“ (in dem sie die üblich und übel gewordene Hate Speech in Deutschland thematisiert) oder das mahnende Buch „Vom Verschwinden der Arten“ von Kathrin Böhning-Gaese und Friederika Bauer. Hier machen die beiden Autorinnen ihren Lesern und Leserinnen klar, dass das durch die Menschen verursachte Artensterben viel folgenreicher für das Überleben der Menschheit sein wird als der Klimawandel.
Lagato wurde übrigens 2005 in München gegründet und verlagerte 2017 seinen Verlagssitz nach Leipzig. 2022 bekam der Verlag aus der Uhlandstraße den Sächsischen Verlagspreis.
Da so viele Verlage der Einladung des Börsenvereins gefolgt waren, gab es für jeden auch nur knappe 3 Minuten Redezeit, um die wichtigsten Titel aus dem Verlagsprogramm vorzustellen. Was nimmt man da? Denn es gab ja auch noch die Jahre 2021 und 2022 nachzuholen, in denen die Verlage in den drei Bundesländern natürlich weiter Bücher produzierten.
So wie Palomaa Publishing, ein junger, erst 2020 gegründeter Leipziger Verlag, der es sich zur zentralen Aufgabe gemacht hat, „Frauen und nicht-männlichen Personen eine Bühne zu geben“. Zum Beispiel mit einem Titel wie „Auch gut!“, der sich mit den gesellschaftlichen Rollenmustern beschäftigt, mit denen Frauen heute (immer noch) ein schlechtes Gewissen gemacht wird und Druck aufgebaut wird, damit sie ins „patriarchal konstruierte Frausein“ passen.
Für so ein anspruchsvolles Programm gab es 2022 auch den Sächsischen Verlagspreis.
Umkämpfte Vergangenheit
Und wer dachte, die Verlage aus dieser beschaulichen Region würden eben nur Regionales produzieren, war schon da eines Besseren belehrt. So konnte der Mitteldeutsche Verlag den anspruchsvollen Fotoband des Ostberliner Fotografen Thomas Billhardt „Berlin-Alexanderplatz“ vorstellen.
Der Leipziger Universitätsverlag hat ein sehr bedenkenswertes Buch aus ferner Vergangenheit wieder aufgelegt: „Vom besonderen Unglück tüchtigerer Minderheiten“. Nebst Titeln wie Rainer Eckerts „Umkämpfte Vergangenheit“ (zum Umgang mit der DDR-Geschichte) und Peter Gutjahr-Lösers „Hinter den Kulissen“, zur Umbruchsgeschichte der Universität Leipzig in den 1990er Jahren.
Auf einmal war das Wörtchen da, das sich durch viele der vorgestellten Titel des Frühjahrs 2023 zog: Freiheit. Freiheit im Umgang mit der Gegenwart. Freiheit im Beziehungsgeflecht der Geschichte. Und der eigene Mut zur Freiheit – wie in „Der erste Schritt“ von Pija Lindenbaum, ein Buch, das der Klett Kinderbuch Verlag vorgestellt hat. Aber auch in der schon 2022 erschienenen Geschichte „Ellie & Oleg“ geht es eigentlich um Freiheit (und ihre Grenzen).
Oder in Andreas Heidtmanns „Plötzlich waren wir sterblich“, das gerade eben im Verlag Faber & Faber erschien.
Um Freiheit geht es natürlich auch in dem vom Lehmstedt Verlag neu aufgelegten Buch von Ralf Zerback über Robert Blum „Einigkeit und Recht und Freiheit“. Oder im zweisprachigen Debütband der sorbischen Lyrikerin Źilka. Ein Achtungszeichen, wie der Domowina Verlag betont, in einer Zeit, da das Niedersorbische als Sprache von Aussterben bedroht ist. Und damit natürlich auch die Schönheit dieser Sprache.
Was „Gesellschaft“ so erwartet
Und selbstredend hat auch der Roman von Sylvia Frank „Nur einmal mit den Vögeln ziehn“ aus dem Mirabilis Verlag eine Menge mit Freiheit zu tun.
„Das Buch schildert die Hoffnungen und Träume, die Erwartungen und Enttäuschungen, den Wunsch nach Selbstverwirklichung und das Scheitern an der Realität, die Rebellion gegen Systeme und die Suche nach dem eigenen Weg, gepaart mit dem steten Gefühl, alles in diesem einen Leben erreichen zu müssen. – Ein fiktiver Roman, beruhend auf wahren Ereignissen.“
Es lässt uns nämlich nicht los. Und auch Bücher leben eben von Unruhe, von Träumen und dem Wunsch nach dem richtigen Leben, in dem einem nicht immerzu andere sagen, wo es lang geht. Und auch in der scheinbar völlig auf Spaß getrimmten Welt von heute hört das ja nicht auf, wie Liza von Flodder in ihrem 2022 im Claus Verlag erschienenen Buch „Momrave“ erzählt.
„Es erzählt vom Clubnebel, klebriger Muttermilch und der Einsamkeit dazwischen. Darüber, was es heute heißt, Mutter zu sein: in einer Gesellschaft, die sagt, dass Kinderkriegen der Sinn des Lebens ist und gleichzeitig Kinder und Mütter unsichtbar macht.“
Da darf man erst einmal Luft holen. Es ist so. Und etliche Leute, die sich für tolerant und lebenslustig halten, sorgen eben trotzdem dafür, dass andere sich bitteschön an die (ungeschriebenen) Regeln halten, die es den einen eben schön leicht machen, alles unter Kontrolle zu haben. Und den anderen das Leben sauer machen und die Wahlmöglichkeiten beschneiden.
Das hätte man zwar nicht gedacht, nach den drei Jahren Corona-Aus-Zeit. Aber so eine Auszeit regt nun einmal auch an, sich über das dabei wichtigste Thema Gedanken zu machen: Was eigentlich ist Freiheit? Und warum tun sich so viele Menschen so schwer damit?
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