Das Buch „Nach Auschwitz: Schwieriges Erbe DDR“ haben wir schon im Dezember besprochen. Jetzt kommen die Herausgeber auch nach Leipzig, um diesen durchaus brisanten Tagungsband im Conne Island vorzustellen und auch zur Diskussion zu stellen. Denn der Befund ist ziemlich eindeutig: Auch die DDR hat sich nie wirklich der Aufarbeitung jener zwölf Jahre gewidmet, die nicht nur die Teilung Deutschlands zur Folge hatten, sondern auch Berge unbewältigter Vorurteile.

Denn wer sich der eigenen Geschichte nicht stellt und – wie im Osten geschehen – so tut, als hätte man mit der NS-Zeit und allen ihren Folgen nichts zu tun, da man ja qua Selbstdeklaration „an der Seite der siegreichen Sowjetunion“ stünde, der wird die alten Gespenster nicht los. Sie überdauern. Es wird nicht diskutiert darüber, wie ein demokratisches Land zu einer faschistischen Diktatur werden konnte, wie Menschen in einem Vernichtungssystem zu Tätern werden konnten, wie sie mit ihrer Schuld in einer neuen Gesellschaft umgehen und was das Unausgesprochene eigentlich anrichtet, wenn es weggedrückt und unter den Teppich gekehrt wird.

Denn im Osten war es genauso wie im Westen: Beide Landesteile mussten mit Menschen wieder aufgebaut werden, von denen sich viele zuvor schuldig gemacht hatten, egal, ob als Soldaten, Mitläufer, Juristen, Verwaltungsbeamte … Man konnte sich keine neuen Menschen erfinden. Aber wie gesagt: Was passiert, wenn die eigene Geschichte einfach zensiert wird und man 40 Jahre lang so tut, als hätte man mit dem Nazi-Reich überhaupt nichts zu tun gehabt?

Genau das, was im Osten schon seit 1990 zu beobachten war. Denn schon damals wurde das Land von fremdenfeindlichen Aktionen und gewaltbereiten Auftritten neuer Nazis erschüttert. Rechtsradikale Parteien fassten Fuß und die Innenminister waren gezwungen, extra Polizei-Sokos zu gründen, die sich mit den neuen rechten Netzwerken beschäftigten. Was, wie wir heute wissen, wenig genützt hat. Wieder wurde die Beschäftigung mit „Auschwitz“ vertagt, Geschichte wurde abgehakt. Politik wurde so gemacht, als würde man mal wieder mit lauter frisch gebackenen Demokraten in eine schöne Zukunft wandern.

Aber sämtliche „Mitte“-Studien aus Leipzig, die mittlerweile Autoritarismus-Studien heißen, belegten akribisch, wie stark rechtsradikale Ansichten auch in der ostdeutschen Bevölkerung verankert sind. In DDR-Zeiten nie diskutiert und aufgearbeitet – von der Fremdenfeindlichkeit bis zur Abwertung von Minderheiten, einem manifesten Chauvinismus und fest verankerten Vorstellungen des Sozialdarwinismus. Der Lack war ab, das alte Denken immer noch da.

Und auch nach 1990 sahen die ostdeutschen Landesregierungen keinen Bedarf, diesen ganzen muffigen Restbestand aufzuarbeiten, gar zum wissenschaftlichen Projekt zu machen. Es schien mal wieder anderes viel zu wichtig. Eine echte Unterlassung.

Das thematisierte die Tagung, deren Ergebnisse im Tagungsband „Nach Auschwitz: Schwieriges Erbe DDR“ zu lesen sind.

Die Grundthese: „Spätestens seit dem Aufkommen der völkischen PEGIDA und der AfD ist erkennbar, dass politisches System und Gesellschaft der DDR aus dem Kontext des historischen Nationalsozialismus wie des gegenwärtigen Rechtsradikalismus genauso wenig herausgelöst werden können wie die alte und neue Bundesrepublik. Ein Klima ist entstanden, in dem bislang ignorierte oder verdrängte Konfliktlinien der deutschen Mehrheitsgesellschaft – wie der Umgang mit Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus – deutlich zutage treten.“

Und es fällt auf, wie leicht sich Wähler von solchen Ansichten wieder einfangen lassen – und wie wenig die liberalen Parteien dem entgegenzusetzen haben. Was auch daran liegt, dass allein grundgesetzlich gewährte Freiheiten (wie die Meinungsfreiheit) nicht garantieren, dass nicht wieder Konzepte der Ungleichwertigkeit um sich greifen.

Hat Deutschland überhaupt jemals über Ungleichwertigkeit diskutiert?

Augenscheinlich nicht.

Dazu hätte man sich tatsächlich intensiv auch mit Schuld und Verstrickung, Verantwortung und Aufklärung beschäftigen müssen. Man kann nicht einfach dekretieren, dass man mit jenem Stück Geschichte nichts zu tun haben will, wenn man nicht mal weiß, wie es in der eigenen Gesellschaft fortwirkt und was es anrichtet.

Das Buch fasst wesentliche Ergebnisse der Tagung „Nach Auschwitz: Schwieriges Erbe DDR“ vom Januar 2017 zusammen. Es versteht sich als ein Plädoyer für eine intensivere Hinwendung der Zeitgeschichtsforschung wie der politischen Bildung zur Untersuchung und Kritik der SED-Diktatur als einer von drei Nachfolgegesellschaften des Nationalsozialismus.

Im Gespräch mit Cornelia Siebeck werden die Herausgeber Enrico Heitzer, Martin Jander und Anetta Kahane den Sammelband am 24. Januar vorstellen. Sie nehmen mit dem Buch eine Diskussion auf, die mit dem Band 3 der Schriftenreihe des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung eröffnet wurde. Er war 1995 von Werner Bergmann, Rainer Erb und Albert Lichtblau unter dem Titel „Schwieriges Erbe: der Umgang mit Nationalsozialismus und Antisemitismus in Österreich, der DDR und der Bundesrepublik Deutschland“ veröffentlicht worden.

Termintipp: „Nach Auschwitz: Schwieriges Erbe DDR“, Buchvorstellung und Diskussion mit Enrico Heitzer, Anetta Kahane und Martin Jander. Moderation: Cornelia Siebeck, am Donnerstag, 24. Januar, um 19:00 Uhr im Conne Island, Koburger Straße 3 (Leipzig-Connewitz), Bus 70 (Koburger Brücke), Tram 9, 10, 11 (Connewitz Kreuz)

Nach Auschwitz: Warum die Geschichtsforschung zur DDR sich gründlich ändern muss

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