Ihr habt eine Gabe: gerichtet schamlos und exhibitionistisch zu sein. Wenn Ihr die Freiheit bekommt, zur allanfänglichen Frage gerufen worden zu sein – den Aufruf vernehmt, ja annehmt zur Freiheit über den affektiv protestierenden Gestus Eurer Künstlerseele hinauszusteigen und bis ins Absolute – über jede bloße Negation hinaus – bis ins Total des grenzsprengenden Spielens, das Eurer echten Lust an dem Tun, das ihr tatet und tut und immer tun wollen werdet, Euch getrieben und treibend neu und neu und immer und immer neu und neu zu erfinden wagt – dann ist es Euch auch möglich, den anderen Anfang selbst zu bestimmen.
Ergreift diese Freiheit: dann seid ihr unschlagbar. Wenn ihr spürt, dass ihr der offenen Rede nicht beschnitten werdet, des im Gesagten und Gespielten tatsächlich der Rede werten und des Spieles Spielendheit formendenden, gehuldigt und lebendig ein Weg ins Offene gebahnt wird, seid ihr im Rausch der Freiheit und werdet vermögender, ihr im Ausdruck eine Form zu geben. Im „Wurzeldunkel des gelebten Augenblicks“ (Bloch, Das Prinzip Hoffnung) findet jeglich Anfang der Möglichkeit nach statt – oder rein gar nichts mehr.
Dieses Garnichts des dunklen Augenblickes kann das Ereignis gebären – diese Freiheit zu Alles oder Nichts hat zur Bedingung moralinunverpestet und das heißt: unbewertet, unverurteilt, vorurteilsloses Vertrauen in das, was ihr je selbst seid: Metatropiker – Herren Eures Reiches des Zwischen, das Richtung verlangt, und zwar zunächst aus der Freiheit zum unbedingten Tun, aus der Empraxis Eurer wahrhaftigen Liebe zum Leben heraus, aus der Leibhaftigkeit des Zusammenfindens im Spielen, das zur Voraussetzung die Tat, den Anfang hat und sich wiederholt mit und in jedem Spiel, das Strukturen wiederholt und gleichzeitig je wieder und wieder neu stiftet.
Mit jeder einzelnen Wiederholung kann Euer Spiel, Eure Vorstellung davon und damit im Augenblick des Tuns verwirklicht, neu sein, Veränderung ganz grundlegender, bedeutender Art sein: stilisiertes „Schauspiel“, das – körperlich mit jeder Wiederholung aus dem Zwischen des körperüberdachten Wissens heraus – Sehnsuchtsherrschaftlichkeit gebiert und so immer mehr ist als es zuvor je sein konnte und mehr ist als ihr und Du und sie er und alle und ich und es und Welt und Geburt und Tod und Freund und Feind und … jedes beginntheoretische Alltagsinszenatorische mit Notwendigkeit übersteigt.
Der Mensch ist nicht einfach wesentlich Mensch, weil er triebgeleitet lacht (also einem ES LACHT MICH ausgeliefert ist) und weint (also einem ES WEINT MICH ausgeliefert ist), sondern weil dieses Lachen und Weinen zu einem Wissensprozess, einem Körpererkennen, gehört, das sich im Lachen und Weinen nach Sinn sehnt, den es theoretisch noch nicht begriffen hat – aus der Unsagbarkeit und Unerklärbarkeit kommt und wieder hineinverschwindet.
Dieses affektgeladene Weinen und Lachen ist Wissensüberschwemmung und durchrüttelt den Körperdenkapparat derart, dass er sich befreit aus der Not unbedingt sich erklären zu wollen und bis ins letzte Verstehen zu müssen – ein Zu-sich-Selbst-kommen im Selbstüberwinden des wurzeldunklen, ängstigenden Momentes. Ekstatische Selbstwahrnehmung, die im absolut Geheimen eigentliche Aufklärung, im tränenverschwommenen Schrei peu à peu sich zu verstehen lernt, Befriedigung des Erkenntnisstrebens für Momente erlebt – weil man sich echt, authentisch, selbst erlebt.
Vielleicht durch die eigene Erfahrung ein Teil des Wesens der gesamten Menschheit. Wenn Ihr Euch aus der Objekthaftigkeit befreit, die allzu oft der Blick der Anderen bedeutet, stiftet ihr den Anfang des Eigen-Sinnes, der unfiltriert Euch mit Euch selbst konfrontiert – lasst es nicht zu, dass die Forderung unverschämt wird, die der Blick der Anderen zu erzeugen imstande ist.
Forderungen sind nur sinnfundiert sinnvoll. Oder umgekehrt ausgedrückt: Lernt zu unterscheiden zwischen sinnlosem imperativem Geschwätz gegen Euch und dem, der Euch etwas in seiner Rede sagen will, der Worte nicht missbraucht, um Zerstreuung oder gar Intrigen zu sagen. Sinn ist, wenn Zusammenhang ist. Zusammenhang, der Euch ersichtlich in das Möglichkeitsfeld gelebter eigener Freiheitsmacht treibt.
Mein SEIN entwickelt, bildet sich in der „Hermeneutik des Subjekts“, das ihr auch seid. Einfach nur deshalb, weil ich Euch wahrnehme und ihr irgendwie an mir kleben bleibt. Geht es Euch nicht auch so? Wer magnetisiert so stark, dass SEIN teilbar erlebt werden kann? SEIN entsteht im Charakter Eures je besonderen Eigensinns – in der je eigenen und gemein-eigenen ISTIGKEIT verkörpert ihr das, was man im alten Griechenland philosophisch „parrhesia“ nannte – Wahr-Sprecher. Wahrredner – ganzkörperlich – leibhaftig.
Dann vollendet ihr im Spielen das Fragment hin zu seiner ISTIGKEIT (als Absolutem, Ganzen) und das Experiment, das immer ins Offene geht, wird verwandelt im Zauber sich selbst weltender Welten, sich verwesentlichen Wesens dessen, was Ihr seid.
Ihr steht damit exemplarisch DA im SEIN, das notwendig, die existenzielle Not wendend – jeden Hunger für einen Augenblick stillt, die Sehnsucht mit sinnstiftendem Ort für einen Augenblick zu sich kommen lässt, die Hoffnung für diesen Moment der Illusion verschwendend preiszugeben, sie sei tatsächlich angekommen – bis sie von der treibenden Suche des Sehnens nach Selbstüberwindung der Großen Sehnsucht wieder hinfortgerissen wird – im Werden unseres poesiewesentlichen (Da-)Seins.
Kurz ist die Sprache dann tatsächlich – verstanden als Leibesausdruck zu verstehen – aus dem „Nix verstehen“ ist ein Moment desekstatischen „Und ich verstehe doch … – NUN doch!“ geworden.
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