Das Zeitgeschichtliche Forum in Leipzig ist nicht einfach ein Museum, es ist ein Ort der Begegnung, der Diskussion und des hautnahen Erlebens von Geschichte. Am 9. Oktober 1999, exakt 10 Jahre nach der für den Erfolg der friedlichen Revolution entscheidenden Montagsdemonstration in Leipzig, wurde es eröffnet. Seitdem hat es seinen Platz in der politischen und kulturellen Landschaft in Leipzig. Am 9. Oktober 2024 wurde das gefeiert und etwa 160 Gäste waren erschienen.

Nach der Eröffnung durch den Moderator Raban Schuster sprach Maria Bering, die Abteilungsleiterin „Erinnerungskultur“ bei der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Sie richtete ganz herzliche Grüße von der Staatsministerin für Kultur und Medien Claudia Roth aus, die leider verhindert war, und wies auf die gespaltene Gesellschaft hin.

„Zugleich müssen wir aber mit Sorge feststellen, dass vielen Menschen in Ostdeutschland offenbar gerade nicht nach Feiern zumute ist. Völlig unabhängig davon, ob berechtigt oder nicht, treibt sie das Gefühl um, mit ihren persönlichen Fragen, Problemen und Sorgen nicht gehört oder im schlimmsten Fall sogar abgehängt zu werden vom Rest der Gesellschaft. Statt demokratischer Mitgestaltung ist da teilweise ein tiefes Misstrauen gegen ‚die da oben‘ gewachsen, das von Populisten unterschiedlichster Couleur dankbar aufgegriffen wird.“

Frau Maria Bering, die Abteilungsleiterin „Erinnerungskultur“ bei der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Foto: Thomas Köhler
Maria Bering, die Abteilungsleiterin „Erinnerungskultur“ bei der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Foto: Thomas Köhler

Sie betonte weiter die Rolle, die Einrichtungen wie dem Zeitgeschichtlichen Forum zukommt.
„Darum geht es im zeitgeschichtlichen Forum Leipzig. Sich selbst als Bürgerin oder Bürger Deutschlands aus der Geschichte heraus zu verstehen und zu verorten. Eine Ansprechstelle zu haben, an der man auch über Enttäuschung und Verunsicherung offen reden darf, im kritischen Diskurs mit anderen.

Diese Möglichkeit der aktiven Auseinandersetzung mit der deutschen Einheit, ihren Voraussetzungen und Folgen als historischem Ereignis, aber vor allem eben auch als persönlichem Ereignis, ist eine unschätzbare Bereicherung für die deutsche Kulturlandschaft, die es gar nicht genug zu würdigen gilt.“

Im darauffolgenden Talk sprachen Professor Dr. Harald Biermann, Präsident der Stiftung Haus der Geschichte, der bereits bei der Gründung dabei war und Dr. Uta Bretschneider, die seit 2020 Direktorin des Zeitgeschichtlichen Forums ist, über die Entstehungsgeschichte, die Entwicklung und den heutigen Stand im Forum. Wir haben die beiden später befragt.

Herr Professor Biermann, Sie haben uns erzählt, dass viele Menschen, als Sie hier anfingen, gesagt haben: Jetzt kommen die Wessis und wollen uns unsere Geschichte erzählen. Dann haben Sie diesen Spruch gemacht: Ich habe ja auch über Bismarck geschrieben und kannte ihn nicht. Ist es besser, ohne große Emotionen und Befindlichkeiten Geschichte zu erzählen?

Das ist immer besser. Es gibt ja den schönen Satz: Wir schreiben Geschichte sine ira et studio (ohne Zorn und Eifer), also ohne emotionale Beteiligung und mit Gleichmut. Das ist eigentlich die absolute Voraussetzung für gute Geschichtsschreibung. Natürlich haben Zeitzeuginnen und Zeitzeugen ein großes Potenzial, was man als Historiker auch gerne hebt.

Der Historiker, die Historikerin muss natürlich in ruhiger Abwägung mit den Quellen, in intensiven Studien der bereits herrschenden Forschungslage seinen oder ihren Weg finden. Da ist eine möglichst neutrale Grundhaltung von allergrößter Bedeutung.

Herr Dr. Harald Biermann, Präsident der Stiftung Haus der Geschichte. Foto: Thomas Köhler
Dr. Harald Biermann, Präsident der Stiftung Haus der Geschichte. Foto: Thomas Köhler

Wenn Sie jetzt, nach 25 Jahren, zurückschauen, hat sich die Einstellung Ihnen gegenüber geändert?

Wir sind mittlerweile hier in Leipzig ein voll akzeptiertes Haus. Es gibt überhaupt niemanden aus der Stadtgesellschaft, der da irgendwelche Vorwürfe macht. Es gibt immer wieder Menschen, die sich nicht gesehen oder nicht repräsentiert fühlen, aber das sind im Grunde Einzelschicksale, die tun uns zuweilen auch leid.

Aber im Großen und Ganzen haben wir eben nur eine begrenzte Fläche und einen begrenzten Raum, überhaupt Dinge darzustellen. Ich glaube, unsere Interpretation sowohl der DDR-Geschichte, der Unterdrückungsgeschichte, als auch der Widerstandsgeschichte und neuerdings der Transformationsgeschichte nach 1990 erfreut sich hier großer Beliebtheit und ist eine solide Grundlage für alle weiteren Diskussionen.

Über die Nachkriegsgeschichte, die Geschichte der Teilung, der Wende und der Nachwendezeit gibt es wahrscheinlich schon einige Kilometer Bücher und andere Publikationen. Da könnte man ja fast annehmen, das ist alles auserzählt. Ist das so?

Nein, es ist natürlich nicht auserzählt, weil es zwei Dinge gibt, die sozusagen ein Signum, unserer Arbeit sind. Erstens, wir erzählen Geschichte über Objekte und da gibt es immer wieder neue Objekte, die ganz unvermittelt auftauchen, an die niemand mehr gedacht hat. Mit diesen neuen Objekten verbinden sich oft auch persönliche Geschichten.

Das ist eben die ganz große Stärke dieses Museums, eigentlich aller unserer Museen, die wir haben, in Bonn, in Leipzig und in Berlin, die persönliche Geschichten mit herausragenden Objekten verbinden. Und da gilt es auch 35 Jahre nach der Friedlichen Revolution immer noch Geschichten zu heben, und wir sammeln weiter, wir arbeiten weiter, ich glaube für die nächsten 25 Jahre haben wir genug zu tun.

Vielen Dank und viel Erfolg für die nächsten 25 Jahre.

Die Runde mit den Mitarbeiter/-innen des Zeitgeschichtlichen Forums. Foto: Thomas Köhler
Runde mit den Mitarbeiter/-innen des Zeitgeschichtlichen Forums. Foto: Thomas Köhler

In der nachfolgenden Runde kamen, stellvertretend für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Dr. Anne Martin (wissenschaftliche Mitarbeiterin), Cornelia Thiere (Besucherdienst) Bettina Kath (Restauratorin) und Raphael Bergmann (Volontär) zu Wort.

Es wurden viel Anekdoten, wie die über Wolfgang Mattheuers Verärgerung über das am „Jahrhundertschritt“ angeschlossene Fahrrad, den Ford Granada von Wolf Biermann, das Tagebuch von Udo Lindenberg und vieles andere erzählt. Die Entstehungsgeschichte des Forums, vermischt mit Anekdoten aus dem persönlichen Erleben, war nicht nur unterhaltsam.

Dr. Uta Bretschneider gab uns im Interview Auskunft über Ihr persönliches Erleben der vier Jahre als Direktorin.

Frau Dr. Bretschneider, zuerst Glückwünsche zum 25-Jährigen. Sie sind jetzt vier Jahre hier. Wie haben Sie das erlebt und wie sieht die Zukunft aus?

Mein Start war 2020 im April, genau zwei Wochen nach dem Lockdown, und ich bin in ein leeres Haus gekommen. Keine Gäste, keine Kolleginnen, keine Kollegen. Das war ein ganz schön schwieriger Start, kann ich sagen. Aber das hat auch ganz viel Energie freigesetzt und wir haben in den letzten vier Jahren ganz viel verändert am Haus, verbessert, verschönert, umgebaut. Wir haben neue Bereiche der Begegnung geschaffen, die unseren Forumscharakter noch mehr lebendig werden lassen.

Wir haben neue Seminarräume für die Bildungsarbeit, wir haben die Wechselausstellungsfläche, in der wir kleine Galerieausstellungen machen können und wir haben ein neues Ausstellungsende, welches sich mit dem deutsch-deutschen Zusammenwachsen in der langen Dauer beschäftigt. Und das ist natürlich an diesem heutigen 9. Oktober wichtiger denn je, so ein Thema im Haus zu haben.

Dr. Uta Bretschneider, Direktorin des Zeitgeschichtlichen Forums. Foto: Thomas Köhler
Dr. Uta Bretschneider, Direktorin des Zeitgeschichtlichen Forums. Foto: Thomas Köhler

Sie erzählen ja Geschichte, die eigentlich gerade passiert ist oder passiert. Was ist das Besondere daran?

Das ist quasi die DNA des Hauses, kann man sagen. Und das ist mir in diesem Jubiläumskontext nochmal bewusst geworden, dass die erste Dauerausstellung 19999 nur zehn Jahre nach der Friedlichen Revolution und dem Protest der 70.000 eröffnet wurde. Das ist eigentlich Wahnsinn, denn selten sind Museen so nah dran an der Geschichte wie dieses.

Und da sind wir jetzt wieder mit dem neuen Ausstellungskapitel, was wir im letzten Jahr eingeweiht haben. Da sind wir eben mitten im deutsch-deutschen Zusammenwachsen, das ja auch noch nicht fertig ist, sondern noch passiert. Insofern finde ich das total spannend, dass wir sammelnd, forschend, vermittelnd und bildend unterwegs sind, aber sehr nah dran an dem, was gerade passiert ist.

Das Haus wird gut angenommen hier in Leipzig, wenn ich auf die Zahlen schaue. Wie geht’s weiter?

Wir haben natürlich die Herausforderung, dass wir in diesen politisch schwierigen Zeiten weiter politisch-historische Bildung machen wollen, dass wir ein offenes Haus sein wollen, dass wir aber natürlich auch besser werden wollen in ganz vielen Dingen.

Im Bereich Inklusion, im Bereich Nachhaltigkeit, da müssen wir ganz viel lernen, da müssen wir ganz viel machen. Wir wollen unsere Dauerausstellung aktuell halten, was auch gar nicht so einfach ist, in so ein festes Gefüge hineinzugehen und Sachen zu verändern.

Wir wollen aber auch diese deutsch-deutschen Themen ganz stark machen und unseren unique selling point, eigentlich die Musealisierung dieses Themas, noch nach draußen tragen und ganz viel dazu machen. Und wir haben viel vor in Sachen Veranstaltung. Wir wollen natürlich ein anderes Publikum noch ansprechen, was uns vielleicht bisher noch nicht so auf dem Schirm hat, vor allem auch junge Menschen einladen ins Gespräch zu kommen.

Und wir wollen in Zeiten knapper werdender Ressourcen weiter alle Angebote kostenfrei anbieten und so ein offenes Haus sein.

Dann wünsche ich viel Erfolg für die nächsten 25 Jahre. Ich hoffe, wir sehen uns dann wieder.

Allein die musikalische Untermalung durch das Duo Stiehler/Lucaciu aus Leipzig, hätte schon den Besuch gelohnt. Antonio Lucaciu spielte nicht nur auf dem Saxofon, er gab dem Publikum auch nachdenkliche Worte auf den Weg. Worte über das Wir, die Trennung in der Gesellschaft und Orte der Begegnung. Zur Freude der Gäste spielte das Duo nicht nur die eigenen Kompositionen, sondern begann mit seiner Interpretation von „Als ich fortging“ von Dirk Michaelis.

Der Abend klang mit einem Empfang im Museumsfoyer aus, Gäste und Mitarbeiter nutzten die Zeit, um in den Austausch zu kommen. Es gibt viel zu feiern für das Zeitgeschichtliche Forum in Leipzig und es gibt viele neue Aufgaben. Man kann nur viel Erfolg dabei wünschen.

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