Verblichene Inschriften entziffern, mit der Lupe jedes kleine Detail in Augenschein nehmen und in verstaubten Archiven nach Hinweisen suchen – Provenienzforschung kommt dem Detektivberuf in vielen Hinsichten schon recht nah. Nur dass hierbei keine Täter/-innen gestellt, sondern die Wege eines Gemäldes oder einer Skulptur nachvollzogen werden. Aber auch hier führt die Spur in einigen Fällen zu alten Verbrechen: in der NS-Zeit wurde jüdischen Personen und anderen verfolgten Gruppen ihr gesamter Besitz entzogen. So auch ihre Kunst.

Um zum einen den eigenen Bestand besser kennenzulernen, zum anderen aber auch solches NS-Raubgut identifizieren zu können, hat das Stadtgeschichtliche Museum in Leipzig die Provenienzforscherin Lina Frubrich engagiert.

Seit 2019 widmet sie sich den Erwerbungen zwischen 1933 und 1945, prüft insgesamt 323 Kunstwerke auf möglichen unrechtmäßigen Erwerb. Frubrich stellte ihre Ergebnisse am 30. Januar auf der Fachtagung „Provenienzforschung“ vor. In der Alten Handelsbörse am Naschmarkt fanden sich viele Expert/-innen und Interessierte zusammen, um über verschiedene Themen im Rahmen der Provenienzforschung ins Gespräch zu kommen.

Frubrich erzählte, dass sieben der untersuchten Objekte eine sehr bedenkliche Herkunft hatten. Vier weitere werden als ebenfalls kritisch eingestuft. Die Provenienzforscherin verwies besonders auf einen Fall, der ihr immer noch Kopfschmerzen bereitet. Ein Gemälde von Friedrich Kaiser, 1870 gemalt. Es hat keinen Titel, zu sehen ist jedoch die Schlacht bei Sedan – ein düsteres Bild tut sich vor dem Betrachtenden auf. Zwischen Rauch und Chaos.

Das Titelblatt der LEIPIZGER ZEITUNG, Ausgabe 110. Foto: LZ
Das Titelblatt der LEIPZIGER ZEITUNG, Ausgabe 110. Foto: LZ

Anscheinend hing das Gemälde einst in der Sammlung des Verbandes deutscher Kriegsveteranen in der Hainstraße 31. Laut verschiedener geschichtlicher Quellen führte die Geheime Staatspolizei damals mehrere Razzien im Vereinshaus durch. „Irgendwann löste sich der Verband dann, wahrscheinlich nicht ganz freiwillig, auf“, so Frubrich.

Danach gibt es keine Informationen darüber, wie das Gemälde in das Stadtgeschichtliche Museum kam. Außerdem stelle sich die Frage, ob in diesem Fall eine Rückgabe möglich wäre? An wen? Und war der Verein eventuell doch dem Nationalsozialismus zugetan? Die Quellenlage ist zu dünn.

Das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste fördert nun einen weiteren Forschungszeitraum, in dem Lina Frubrich solchen und anderen Fällen weiter auf den Grund gehen kann. So soll ein Schwerpunkt in diesem Jahr eine Sammlung von rund 4.000 Fotoglasplatten sein. Geschossen von Hermann Walter, einem Waisenkind. Das Fürsorgeamt in Leipzig übergab die Fotografien später dem Stadtgeschichtlichen Museum. Auch der Pianist Franz Rupp, dessen Frau Jüdin war, sowie das Mobiliar des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy werden unter die Lupe genommen.

Die Ergebnisse werden laut Frubrich im 2. Halbjahr 2024 vorgestellt. Bis dahin können Interessierte in dem Buch „Vergessene Rück(an)sichten“ über die bisherigen Ergebnisse der Provenienzforschung am Stadtgeschichtlichen Museum lesen. „Provenienzforschung ist für uns ein zentraler Bestandteil einer kritischen Sammlungsgeschichte, die ganz viel zeithistorisches Material zu den Verstrickungen und Spielräumen der Beteiligten bereitstellt.

Es war uns deshalb wichtig, die Ergebnisse des Projekts nicht allein in einem wissenschaftlichen Arbeitsbericht darzustellen, sondern auch eine gut lesbare Publikumsveröffentlichung vorzulegen, die gleichermaßen Einblicke in die Stadt- und Museumsgeschichte ermöglicht“, erklärt Dr. Anselm Hartinger, Direktor des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig.

„Vergessene Rück(an)sichten – Provenienzforschung am Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig“ ist für 8,50 Euro im Stadtgeschichtlichen Museum erhältlich.

Der Artikel „Mit Kopfzerbrechen in die zweite Runde“ erschien erstmals am 24. Februar 2023 in der aktuellen Printausgabe der Leipziger Zeitung (LZ). Unsere Nummer 110 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops sowie bei diesen Szenehändlern.

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