Ein junger Mann, fahnenflüchtig, krank, arbeitslos und verschuldet, schöpft im damaligen Dorf Gohlis wieder Energie und Lebensmut – auch so lässt sich die Vita des berühmten Dichters Friedrich Schiller (1759-1805) erzählen, der den Sommer 1785 im heutigen Schillerhaus verbracht hatte. Die Wiedereröffnung der historischen Stätte im April ist nur eines von zahllosen Projekten, welche sich das Stadtgeschichtliche Museum für 2023 auf die Agenda gesetzt hat. Doch jüngste und gegenwärtige Krisen gehen an der Institution nicht ganz spurlos vorüber.
Knapp 420.000 Besucherinnen und Besucher nahmen 2022 an Formaten des Stadtgeschichtlichen Museums teil, bestaunten die Ausstellungen an fünf Standorten oder nutzten Outreach-Angebote. „Es war ein erstaunlich erfolgreiches Jahr“, resümierte Dr. Anselm Hartinger, seit 2019 Museumsdirektor, der am Dienstag gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen im Gohliser Schillerhaus die Bilanz für 2022 zog und zugleich Einblick in die Planungen für 2023 gab.
Gohliser Schillerhaus: des Dichters Erholungsort von existenzieller Krise
Und die sind durchaus umfangreich: Als Highlight gilt die Wiedereröffnung des seit September 2022 geschlossenen Schillerhauses in der Menckestraße 42 inklusive einer neuen Dauerausstellung unter dem Titel „Götterfunken.“ Gohlis war noch ein Dorf vor den Toren der Stadt, als Friedrich Schiller mit 25 Jahren zwischen Mai und September 1785 hier lebte.
Der junge Literat befand sich damals in einer existenziellen Krise, aus der ihm vor allem die Einladung von Gönnern um den Juristen und Autor Christian Gottfried Körner (1756-1831) nach Leipzig heraushalf. „Er guckt eigentlich in ein ziemlich schwarzes Loch“, erklärte Museumsmitarbeiter Steffen Poser die persönliche Situation Schillers, bevor dieser in der sommerlichen Frische nahe Leipzig wieder etwas Ruhe und Besinnung fand.
Folgerichtig entstand hier das berühmte „Lied an die Freude“, nicht vollständig, aber doch zumindest in einer ersten Fassung. Am Samstag, dem 1. April (10-18 Uhr), wird die neue Ausstellung im Schillerhaus eröffnen, der Eintritt ist an diesem Tag frei.
Künftig soll dann auch die Verbindung des Künstlers, Politikers und 1848er-Revolutionärs Robert Blum (1807-1848, hingerichtet) zu Schillers Wirken im gleichnamigen Haus deutlich aufgezeigt werden. Der Literat Schiller sei über die Zeit „zur Marmorfigur geronnen“, man wolle ihn mehr als Mensch und weniger als Dichter-Ikone präsentieren, so Mitarbeiter Steffen Poser. Das bislang unbeheizte Schillerhaus könnte auch zukünftig im Sommer als Kulturstätte und charmanter Begegnungsort dienen.
2023 gibt es sieben Spezialausstellungen und eine Buch-Neuauflage über die schwarze Szene in der DDR
Daneben klopfen schon bald die ersten von sieben Sonderausstellungen für 2023 an die Tür, die jeweils teils wenig beachtete Spezialthemen vermitteln sollen: „Hakenkreuz und Notenschlüssel. Die Musikstadt Leipzig im Nationalsozialismus“ (Böttchergäßchen, 27. Januar bis 20. August); „Leseland DDR“ (Böttchergäßchen, 15. März bis 18. Juni); Bach-Parcours (Intervention zu Johann Sebastian Bach im Alten Rathaus, ab 22. April); „Lange lieb ich dich schon“ (Erinnerung an den Komponisten Hanns Eisler, Altes Rathaus, 7. Juli bis 15. Oktober); „Tiefen/Lichter. Bildgedächtnis einer Stadt“ (Jubiläum der Fotoagentur punctum, Böttchergäßchen, 13. September bis 25. Februar 2024); „Leipzig im Heiligenschein. Mittelalterliche Kunst und Legenden zur Weihnachtszeit“ (Böttchergäßchen, 8. November bis 28. Januar 2024); „Farbenfrohe Weihnachtsfreu(n)de. Krakauer Krippen zu Besuch in Leipzig“ (Altes Rathaus, 28. November bis Februar 2024).
Geplant ist ferner eine aktualisierte Neuauflage des lange vergriffenen Standardwerks „Leipzig in schwarz“ über die Geschichte des Wave-Gotik-Treffens (WGT). Es soll rechtzeitig zum WGT 2023 erscheinen.
Corona war ein massiver Einschnitt und wirkt bis heute
Und auch damit nicht genug: Viele Ausstellungspläne und -ideen, etwa zur Leipziger Messe oder der schwierigen Transformationszeit Leipzigs in den Neunziger- und Nullerjahren, befinden sich in der Mache, erklärte Museumsdirektor Hartinger. „Wir sind in einem riesengroßen Umbauzyklus.“ Dazu zählen auch die Sanierung des Hauses „Zum Arabischen Coffee Baum“, die Zukunft des Sportmuseums und, abhängig vom städtischen Haushalt, das Capa-Haus. Gleichfalls wird perspektivisch darüber nachgedacht, die Verliese im Keller des Alten Rathauses zugänglich zu machen.
Doch ganz problemlos geht das bei allem Enthusiasmus nicht vonstatten. So reichen die aktuellen Besucherzahlen noch immer nicht ganz an das Niveau der vorpandemischen Jahre 2018/19 heran, räumte Hartinger ein. Zudem habe sich auch das Verhalten der Menschen verändert, die oft kurzfristiger kämen, weniger auf Gruppenreisen setzten und wählerischer bei den Angeboten geworden seien. Obgleich es während der Pandemie seit 2020 immer viel Unterstützung durch die Stadt gab, konstatiert Hartinger: „Die Mentalitätseinschnitte sind erheblich.“
Hinzu kommt, dass Corona auch die Kooperation des Museums etwa mit Schulprojekten und freien Trägern zunächst hatte einbrechen lassen. Nicht alle Dellen sind ganz beseitigt. „Wir sind mitten in einem großen Transformationsprozess, wo Corona viel Beschleunigung hereingebracht hat.“ So stellen auch der Ausbau der Angebote geführter Touren unter freiem Himmel und nicht zuletzt die Digitalisierung weite Zukunftsfelder für das Stadtgeschichtliche Museum dar.
Nachhaltige Museumskultur gegen Krisen?
Überdies seien in der aktuellen Situation und der Klimakrise auch Maßnahmen von Nachhaltigkeit und Energieeinsparung ein drängendes Thema – geplant ist unter anderem ein Tank am Völkerschlachtdenkmal, um aufgefangenes Regenwasser sinnvoll zu nutzen. Ebenso werde bei Baumaßnahmen und Logistik stärker auf Nachhaltigkeit geachtet.
Nicht zuletzt bedeute die Personalgewinnung für das Museum, gerade in der essenziell wichtigen Hintergrundarbeit von Transport bis Reinigung, derzeit ein Sorgenkind. Direktor Hartinger gab sich dennoch zuversichtlich.
Protagonisten vom Sockel holen
Und immerhin wurden schon viele Projekte erfolgreich bewältigt, wie etwa die Sanierung und Wiedereröffnung des historischen Festsaales im Alten Rathaus vergangenes Jahr. Vielleicht sind es auch und gerade die nur allzu menschlichen Geschichten, die man wieder verstärkt in den Fokus rücken muss – angefangen bei Thomaskantor Johann Sebastian Bach und seinem ständigen Ärger mit dem Leipziger Rat bis hin zu Friedrich Schiller und seiner Existenzangst, aus der er einst wie durch ein kleines Wunder in Gohlis herausfand – jedenfalls ein Stück weit.
Denn: Es gibt keine langweilige Geschichte, sondern nur langweilige Darstellungen. Man darf gespannt sein, wie es weitergehen wird.
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