Wer am heutigen 23. November um 18 Uhr bei der Dreifach-Ausstellungseröffnung im Museum der bildenden Künste dabei ist, wird gleich im großen zentralen Ausstellungsraum im 3. Obergeschoss von einer brummenden Geräuschkulisse empfangen. Da tritt er nämlich schon mitten hinein in die Ausstellung „Selbstbeschreibung“ des HGB-Professors Michael Riedel. Und gleichzeitig in den von Oliver Augst komponierten Klangteppich.

Der Titel der ersten Ausstellung von Michael Riedel, geboren 1972 in Rüsselsheim, seit 2017 Professor für Malerei und Grafik an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig, ist das Wort „Selbstbeschreibung“ in phonetischer Schrift. zɛlpstbəˈʃʁaɪ̯bʊŋ versammelt in der großen Lichthalle im dritten Obergeschoss die für Michael Riedel typischen grafischen Bildwerke, die nun als Ausgangsmaterial für eine 27-stimmige Klanginstallation dienen, in der die Bilder lautstark zu Wort kommen.

Die Theorie hinter den Arbeiten von Michael Riedel

Seit Mitte der 1990er Jahre sind die Kommentarbedürftigkeit von Kunst und die in der Folge entstehenden unerschöpfliche Mengen an Textmaterial für Michael Riedel die Quelle, aus der er seine Bildsprache systematisch entwickelt. Von der aufgesetzten Papiertüte mit seinem Namen, die ihn als Künstler hinter der Selbstbeschreibung verschwinden lässt, hin zu zahlreichen Tonaufnahmen, die sein Künstlerdasein aufzeichnen und in Form von umfangreichen Transkriptionen lesbar machen.

Bis hin zum Überfluss an vorgefertigtem Beschreibungsmaterial, das durch den zunehmenden gesellschaftlichen Mitteilungsbedarf im World Wide Web generiert wird, ist es stets die Selbstbeschreibung des Kunstsystems, die Riedel künstlerisch aufgreift und als Werkereignis wiederholt und kommuniziert. Die Frage, ist das noch Kunst oder lediglich die Beschreibung von Kunst, die es nicht gibt, bleibt offen. Tatsache ist, dass das Riedel-Autonom in den letzten zwanzig Jahren die künstlerische Vorstellung von sich verselbstständigenden Produktionsmechanismen eindrucksvoll verwirklicht hat.

Was sieht man in der Ausstellung?

Bezeichnend für Riedels Arbeitsweise ist seine Poster-Produktion, an deren Beginn die Ankündigung eines Kunstereignisses steht, das sich aber nicht herstellen lässt. Das Poster selbst wird zum Ereignis, für das weitere Poster wiederum Werbung machen. Die Layouts der Poster verarbeiten Textmaterialien, die Riedels Laufbahn im Kunstbetrieb aufzeichnen, abspielen und damit vorantreiben.

Mit einfachen Befehlen eines Grafikprogramms werden die Texte durch unterschiedliche Schreibrichtungen, verdoppelte Buchstaben, satzsprengende Vergrößerungen von Schriftzeichen oder alphabetische Sortierungen an den Rand ihrer Lesbarkeit gebracht und in Auflage gedruckt. Zu Poster-Flächen addiert, verliert sich das Einzelposter auch noch im ornamentalen Geflecht. Es entsteht eine Form, die sich aus Formen zusammensetzt und stets, mit dem möglichen Anschluss als Prinzip, die Formgrenzen in vielseitige Übergänge verwandelt.

Deswegen lohnt sich in der Ausstellung der nahe Blick auf die Bilder/Poster an den Wänden, die teilweise hinter Schallwänden verschwinden. Erst so erkennt man die Wort-Buchstaben-Strukturen der Arbeiten, merkt, dass man in Grunde in einem großen Raum mit lauter sprachlichen Artikulationen steht.

Die Musik zu den Wort-Bildern

Michael Riedels vorangegangene Museumsausstellungen haben gezeigt, wie seine Werke angefangen haben mit unterschiedlichen Kompositionsstrategien selbst zu schreiben. Kunste zur Text 2012, CV (Curriculum Vitae) 2017 und Grafik als Ereignis (Die Signetische Zeichnung) 2018 haben den selbstreferentiellen Informationsgehalt vervielfacht und zu einer künstlerischen Masse anwachsen lassen.

Im Museum der bildenden Künste beginnen die Bilder nun zu sprechen und die Selbstbeschreibung zu beschreiben: zɛlpstbəˈʃʁaɪ̯bʊŋ. Die aus Lautsprechern ertönenden Stimmen sind das gesprochene Textmaterial der ausgestellten Layouts. Aus der Sammlung von Sounddateien, die Riedel mithilfe von Reader-Programmen in den letzten Jahren produziert hat, hat der Musiker und Komponist Oliver Augst einen achtstündigen Soundtrack arrangiert, der den Rhythmus der visuell ablaufenden Muster akustisch wiedergibt.

Das Ergebnis für den Besucher: ein Gesamtkunstwerk. Der Kreis schließt sich. Das Layout der Bildflächen speichert nicht mehr als grafisches Ereignis die Geräuschkulissen des Betriebssystems Kunst, sondern erzeugt selbst den Diskurs-Sound, der für neue Werkserien herangezogen werden kann. Eine Kunst der Gesellschaft, die sich der Selbstbeschreibung verschrieben hat.

Die Ausstellung wird gefördert durch die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen. Diese Maßnahme wird mitfinanziert durch Steuermittel auf der Grundlage des von den Abgeordneten des Sächsischen Landtags beschlossenen Haushaltes.

Die Ausstellung „Michael Riedel . zɛlpstbəˈʃʁaɪ̯bʊŋ“ ist vom 24. November 2019 bis zum 16. Februar 2020 im Museum der bildenden Künste zu sehen (und zu hören).

Eröffnung ist am Samstag, 23. November, 18 Uhr.

Eine Art künstlerisch aufbereiteten Online-Katalog samt Soundtrack findet man hier.

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