Seit Dienstag, 16. Oktober, ist im Stadtgeschichtlichen Museum eine Ausstellung zu sehen, die ihre Besucher daran erinnert, dass Erinnerungen nicht nur aus Bildern, Tagebüchern, Pokalen und all den anderen greifbaren Sammelstücken besteht, die so im Fundus eines Stadtmuseums landen, sondern auch aus Musik. Wer die richtige Scheibe rauspackt, kann Menschen ohne viel Aufwand in die Träume ihrer Jugend zurückkatapultieren. Eine, in der „Oh yeah!“ noch cool klang zum Beispiel.
Und zumeist fasst man diese prägende Musik unter dem Wort Popmusik: Jeder hört sie, ob bewusst oder nur nebenbei. Sie tönt aus dem Radio, untermalt Filme, begleitet beim Einkaufen und bringt die Menschen in Bewegung.
Doch Popmusik ist mehr als das. Mit ihr werden Erinnerungen wach, sowohl individuelle als auch kollektive: Der erste Kuss, die große Liebe, der Mauerfall und die letzte Fußball-WM. Popmusik ist in der Lage, zu berühren. Sie spiegelt das Lebensgefühl von Generationen wider, stiftet Identitäten und befindet sich im stetigen Wandel. Bevor sie sich etabliert, muss sie sich freilich oft gegen Widerstände behaupten.
Erst recht, wenn die Regierenden lieber sentimentale Schlager hören und die Jugend nicht nur kritisch beäugen, sondern eigentlich auch verachten. Denn so begegneten die alten Herren damals den Hippies, Rowdys und Beatniks. Wenn ein Land die „Caprifischer“ rauf und runter nudelt, haben die jungen Leute doch bitteschön nicht wie die Hottentotten (damals Originalsprech) herumzuzappeln.
Die Ausstellung geht den Fragen nach, welche Stile die Musik zu unterschiedlichen Zeiten in Ost und West prägten und wie sich Popmusik und gesellschaftliches Leben gegenseitig beeinflussten.
Und man kann – und muss – sich das Ganze auch anhören: Wie durch eine dreidimensionale Radiosendung führen zwei Moderatoren durch 90 Jahre deutsche Popmusikgeschichte. Mit Kopfhörern tauchen die Besucher ein in die ereignisreiche und vielschichtige Welt des Pop. An zahlreichen Soundstationen können sie sich einstöpseln und Radio-Spots sowie die Musik der Zeit erleben.
Das Herzstück der Ausstellung ist die Main Road. Anschaulich vermittelt sie den kulturellen Hintergrund der jeweiligen Popmusik-Epochen. Der musikalische Trip beginnt Mitte der 1920er-Jahre, als ausgelassen Charleston und Shimmy in den Berliner Nachtclubs getanzt wurde und Schallplatte und Grammophon den Sound populär machten.
Schlager wie „Veronika, der Lenz ist da!“ ließen Anfang der 1930er-Jahre die A-Cappella-Formation Comedian Harmonists zum ersten international erfolgreichen Pop-Export Deutschlands werden. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurden Swing und Jazz als „undeutsche“ Unterhaltungsmusik verboten. Während die Hitlerjugend zu Trommelschlägen marschierte, lebten die Anhänger der illegalen Swing-Jugend mit Swing-Musik und -Tanz eine oppositionelle Jugendkultur.
In den 1950er-Jahren hielt der „American Way of Life“ Einzug in Deutschland und Rock’n’Roll und Twist wurden zum Inbegriff des Lebensgefühls der Nachkriegszeit. Diesen auch in der DDR populären kapitalistischen Musikmoden suchte die SED-Führung unter anderem mit dem eigens kreierten, weniger hüftschwingenden Unterhaltungstanz „Lipsi“ zu begegnen.
In der Beat-Ära der 1960er-Jahre kam die Pilzkopf-Frisur in Mode, Radio Bremen strahlte mit dem „Beat-Club“ die erste deutsche TV-Sendung für junge Leute aus und die Friedensbewegung legte den Grundstein für die heutige Outdoor-und Festivalkultur. Mit verfremdeten Stimmen und elektronisch erzeugten Klängen brachen avantgardistische Bands wie CAN und Kraftwerk ab Ende der 1960er-Jahre die üblichen Songstrukturen und -längen auf, während Ton Steine Scherben, eine der ersten deutschen Rockbands, mit sozialkritischen Texten auf raue Rhythmen rockte.
In den 1980er-Jahren gaben die Neue Deutsche Welle und der Punk den Ton an: Nena und Trio schafften mit „99 Luftballons“ und „Da Da Da“ den internationalen Durchbruch; mit ZK und Soilent Grün gründeten sich die Vorgängerbands der Toten Hosen und der Ärzte. Im Osten 1983 vom DDR-Regime als dekadente Subkultur zerschlagen, konnten Punk-Bands wie Müllstation, Schleim-Keim und Zwitschermaschine dort zunächst nur im Untergrund agieren.
Über die 1990er-Jahre, in denen Techno, Euro-Dance und Deutschrap gleichzeitig in den Hitparaden waren, führt die Reise schließlich in die Gegenwart, in der Musik nicht länger zum Anfassen ist, sondern in schillernder Vielfalt digital in Clouds existiert.
Zu jedem der Zeitabschnitte bietet die Ausstellung einzigartige Objekte, Radio- und Filmbeiträge sowie Soundstationen mit passenden Musiktiteln. Dabei werden nicht nur Hits präsentiert: Auch Vergessenes und Kurioses wie den von Trio-Frontmann Stefan Remmler eigenhändig verzierten Anzug oder den skandalösen „Liebe ist für alle da“-Fankoffer von Rammstein gibt es zu entdecken.
Entlang der Main Road säumt die Sound Lounge den Ausstellungsrundgang und lädt zum Hören und Relaxen ein. Sie ergänzt die Klangerlebnisse der Main Road durch 60 weitere Songs – von Marlene Dietrich bis Helene Fischer. Also aus jener rosaroten Welt, in der der Pop wieder zum Schlager wird – und damit wieder kompatibel zur konservativen Heimat-Politik.
Erinnerungen werden auch beim Anblick der zahlreichen Plakate, Platten- und CD-Cover im Backstagebereich wieder lebendig. Der Streifzug durch die Geschichte der Popmusik wird schnell zu einer Zeitreise durch die eigene Vergangenheit.
Insgesamt können mit dem Kopfhörer 90 Musiktitel sowie weitere 90 Radio- und Filmbeiträge auf einem Rundgang durch die Ausstellung entdeckt werden! Auf diesem Trip begegnen die Besucher mehr als 140 Interpreten aus Deutschlands popkultureller Musikvergangenheit.
Das Begleitprogramm zur Ausstellung bietet auch denjenigen, die sich aktiv in Sachen Popmusik selbst versuchen möchten, vielfältige Möglichkeiten, wie musikalische Aktivführungen, verschiedene Musikworkshops für Familien und Ferienkinder, mehrere musikalische Zeitreisen durch die DDR.
„Oh Yeah!“ – Eine multimediale Ausstellung über 90 Jahre Popmusik in Deutschland, Ausstellung im Haus Böttchergäßchen vom 17. Oktober 2018 bis zum 12. Mai 2019
Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag, Feiertage 10-18 Uhr, am 24.12. und 31.12. geschlossen.
Eintritt: 5 €, ermäßigt: 3,50 €, Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre frei
Ausstellungskooperation: OH YEAH! Popmusik in Deutschland entstand nach einem Konzept des Museums für Kommunikation in Bern und unter der Federführung des Focke-Museums, Bremen, in enger Zusammenarbeit mit Radio Bremen und dem Berliner Gestaltungsbüro gewerkdesign.
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