Es ist eine ganz besondere Foto-Austellung, die am Dienstag, 5. Mai, im Museum der bildenden Künste eröffnet wurde: „Begegnungen“. Das sind faszinierende Schwarz-Weiß-Fotografien der Leipziger Fotografin Karin Wieckhorst. Eigentlich unpassende Fotografien für dieses Haus, in dem zumeist die Kunst-Fotografie dominiert. Doch in Wieckhorsts Fotos begegnet sich der Blick der Künstlerin mit dem dokumentarischen Moment.

Denn sie hat sich in einer der spannendsten Etappen der jüngeren Leipziger Geschichte darangemacht, Menschen zu fotografieren. Besondere Menschen. Oder mal so formuliert: das Besondere in jedem Menschen.

Wobei die erste Serie, die gezeigt wird, „Begegnungen in Ateliers“, diesen Moment schon im Ansatz zeigt. Denn in den späten 1980er Jahren hat die 1942 geborene Fotografin eine Reihe der wichtigsten unangepassten Leipziger Malerinnen und Maler fotografiert. Ein Projekt, das erst dadurch zustande kam, dass der Kunstwissenschaftler Christoph Tannert als Sekretär für Junge Kunst beim Zentralvorstand des Bundes Bildender Künstler gefeuert wurde. Da hatte er wohl zu vehement für die junge, unangepasste Kunst im Land gekämpft, wo sich die greisen Granden doch schon mit der rebellischen Leipziger Schule schwertaten.

Aber Tannert ließ sich nicht entsorgen, sondern veranstaltete fortan selbst Ausstellungen mit den Künstlerinnen und Künstlern, die er wichtig fand. Und Karin Wieckhorst fertigte eindrucksvolle Porträts all dieser kreativen Menschen an – zum Beispiel von Ina Gille und Hartwig Ebersbach, Angela Hampel, Neo Rauch und Christine Schlegel.

Alle Bilder voller Intensität, die heute einen Abschnitt der Leipziger Kunstgeschichte zeigen, der in der Rückschau ganz zwangsläufig zum Herbst 1989 gehört – so wie Judy Lybke und seine Galerie oder der „Leipziger Salon“. Abseits des staatlichen Ausstellungszirkus zeigten die von Wieckhorst porträtierten Künstler, wie reich künstlerische Sprachen sein können und wie sie mit ihrer Intensität dazu beitragen können, Menschen Mut zu geben und den Blick für das Wesentliche zu schärfen. Ein gutes Stück rebellischer Geist steckt natürlich auch darin.

Und immer wieder kommt auch das Atelier der Abgebildeten ins Bild – ihr Arbeitsplatz.

Aus der Serie "Frauenporträts": Silke Wagler, 1991 / 1992. Foto: Karin Wieckhorst
Aus der Serie “Frauenporträts”: Silke Wagler, 1991 / 1992. Foto: Karin Wieckhorst

Und noch etwas fällt auf – etwas, was man bei den großen Dokumentarfotografen der DDR immer wieder findet: Dieser frappierende Ernst verbunden mit Würde und Eigensinn in den Gesichtern der Fotografierten. Als würde dieses Land so kurz vor seinem Ende geradezu dazu herausfordern, jetzt Gesicht zu zeigen. Sich der Herausforderung zu stellen – voller Nachdenklichkeit und Selbstgewissheit. Das waren natürlich die Menschen, die dieses Jahr 1989 mit angeschoben haben. Menschen, die durchaus bereit waren, die Dinge zu ändern.

Und dann kam die „Wende“ (blödes Wort) und auch und gerade die Selbstbewussten und Eigensinnigen erlebten jetzt, wie der siegreiche Markt mit unangepassten Menschen umgeht. Manche fanden Zugang zu dieser neuen, schillernden Kunstwelt, andere zogen sich lieber zurück, weil ihnen dieser Zirkus so gar nicht lag.

Und dann waren da noch die Frauen, die jungen, selbstbewussten Frauen, die immer so gefeiert wurden als emanzipiertes Vorbild – und dann doch genauso behandelt wurden wie die karrierrekompatiblen Frauen aus dem Westen. „Frauenporträts“ heißt die Serie, die Karin Wieckhorst Anfang der 1990er Jahre anfertigte und die viele dieser selbstbewussten Frauen zeigt – nicht aufgebrezelt oder in Pose gestellt, wie das heute mit Frauen selbst dann noch gemacht wird, wenn sie erfolgreich und berühmt sind.

Eigentlich ging sie genauso vor wie bei ihren Künstlerporträts und zeigt die Frauen in ihrer Alltagsumgebung, den Blick selbstbewusst zur Kamera gerichtet, Frauen, die wissen, wie sie ihr Leben deichseln und die es auch selbst gestalten. Ganz sichtlich Frauen, die nicht das Versorgtseinwollen oder das Gefallenwollen ins Zentrum ihres Lebens gestellt haben, sondern die Selbstbehauptung: Das bin ich.

Das hat sich ja sehr geändert, wie wir wissen. Ein Markt, der Anpassung und Gefallenfinden zur Norm macht, der verändert auch Menschen. Und der entzieht wichtigen Aspekten der Emanzipation schlichtweg die Grundlage. Deswegen steckt in diesen Fotografien auch eine gehörige Portion unerledigter Geschichte, ein Stück Leipziger Geschichte, stark weiblich geprägt. Auch das hat Leipzig verloren, wenn man das so zuspitzen will, als die Stadt sich marktkompatibel machte.

Und so langsam schleicht sich auch der Gedanke ein, dass das Wichtigste an der gescheiterten DDR gar nicht war, was sie tatsächlich geworden ist, sondern was sich emanzipierte Menschen vorstellten, was daraus hätte werden können – auch ein wirklich selbstbewusster Gegenentwurf zum übersexualisierten Werbe-Bild des „erfolgeichen Menschen“, mit dem wir heute leben müssen. Und der bei genauerem Hinsehen so leer, so lieblos und zukunftslos ist.

Da ist den großen Fotografinnen und Fotografen des Ostens nach 1990 schlichtweg das Motiv abhandengekommen: der lebenshungrige Mensch, der das Ding mit dem aufrechten Gang wirklich als Lebensmaxime begriff.

So gesehen ist die kleine Ausstellung im Bildermuseum auch ein Bekenntnis.

Gezeigt werden die Fotos im Museum der bildenden Künste bis zum 2. September.

Der Katalog zur Ausstellung, herausgegeben von Alfred Weidinger, erscheint im E. A. Seemann Verlag. Der Band mit 198 Seiten, zahlreichen Abbildungen sowie einem Beitrag von Britt Schlehahn dokumentiert die beiden ausgestellten Serien vollständig und ist für 29,95 Euro im Buchhandel und an der Museumskasse erhältlich.

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