Warum berichtet nur keiner, wundert sich Buchprofessor Siegfried Lokatis. Mit der Ausstellung "Inselwelten" haben die Leipziger Buchwissenschaftler im Frühjahr eine Ausstellung hinbekommen, die eindrucksvoll die Geschichte einer einmaligen Buchreihe zeigt: die Insel-Bücher. Eine Reihe, die in diesem Jahr immerhin ihren 100. Geburtstag feierte.

Im Grundkonzept gibt es die Reihe bis heute, auch wenn sich einige Details und vor allem die verwendeten Schrifttypen deutlich modernisiert haben. Die Grundausstattung der Reihe funktioniert noch immer. Und bei weit über tausend erschienenen Titeln kann man im Programm mittlerweile ganze Themenfelder klassisch vertreten finden.

So auch das Thema Reformation. Am Mittwoch, 31. Oktober, ist ja wieder Reformationstag. Am 31. Oktober 1517 sandte Dr. Martin Luther aus Wittenberg seine berühmten 95 Thesen an den Erzbischof von Mainz und Magdeburg, Albrecht von Brandenburg. Ein Ereignis, das Wikipedia einfach mal so unter “Religion” einsortiert, obwohl es eindeutig zuerst einmal unter Wissenschaft gehört, auch wenn das im technikgläubigen 21. Jahrhundert mittlerweile seltsam klingt. Doch Luthers 95 Thesen waren allesamt wissenschaftlich gedacht und nahmen – auch wenn sie sich auf den ersten Blick “nur” mit dem Ablasshandel beschäftigten – das erstarrte dogmatische Denken der Kirche seiner Zeit aufs Korn. Seine Thesen wollte er diskutiert und disputiert haben, wie das damals so üblich war.

Weniger üblich war, dass einer nach der Disputation immer noch eine Änderung der erstarrten Gegebenheiten fordert. Also gehört der Thesenanschlag auch unter “Geschichte”. Denn mit so viel Unverfrorenheit veränderte Dr. Martin Luther aus Wittenberg den Lauf der Geschichte, machte den Menschen in seinem Tun wieder selbstverantwortlich vor seinem Gott. Was ein gewaltiger Fortschritt war gegenüber der etablierten Ablasshandelei, mit der sich Mancher sein Gewissen reinkaufte.

Die Frage ist heute so aktuell wie damals. Wie heißt es doch so schön in These 42? – “Man soll den Christen lehren: Dem Armen zu geben oder dem Bedürftigen zu leihen ist besser, als Ablass zu kaufen.” Oder These Nummer 92: “Darum weg mit allen jenen Propheten, die den Christen predigen: ‘Friede, Friede’, und ist doch kein Friede.”Und weil die “Inselwelten” am 5. November wieder eröffnen, gibt es – weil das jetzt aktuell ist – auch ein Insel-Reformationsplakat: “reformiert”. Darauf diverse Insel-Bändchen, die dem Leser einige der von Luther übersetzten Bücher aus der Bibel nahe bringen, dazu weitere einzelne Lutherschriften, Büchlein zu Bach, zu Hutten, Meister Eckhart, Dürer und Cranach, was schon ein hübscher kleiner Überblick über die Zeit der Reformation ist. Es gibt zwei Bändchen zu Kirchenbauten in Naumburg und Freiberg. Und es gibt mittendrin den berühmten Kontrapunkt: Zeichnungen von Käthe Kollwitz zu Thomas Müntzer und dem Bauernkrieg.

Der ja bekanntlich Ergebnis des Lutherschen Protestes war. Damit muss einer, der so mutig protestierte, immer rechnen – dass ein anderer noch eins draufsetzt und damit Gehör findet. Oder Anhänger, die sich von ihm mitreißen lassen, weil sie überzeugt sind, dass es an der Zeit ist, die alten Verhältnisse umzustürzen. Was Luther dann bekanntlich ja doch zu weit ging. Er wollte disputieren, keine aufrührerischen Massen.

Die Leipziger Buchwissenschaft unter Professor Siegfried Lokatis eröffnet am 5.November die Ausstellung “100 Jahre überstanden! Inselwelten” in der in der Hainstraße 11 (Hinterhof, 3. OG) wieder. Um 19 Uhr sind Bücherfreunde in die Räume des buchwissenschaftlichen Archivs in der Hainstraße eingeladen.

Die Ausstellung der Leipziger Buchwissenschaft präsentiert Buchkunst und Kuriositäten, für Kinder und Kenner, aus Ost und West.Für neugierige Besucher sind Unikate zu entdecken, die zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentiert werden. Ihre ganz eigene Geschichte erzählen die Insel-Bücher des Schriftstellerehepaars Angela und Karl-Heinz Steinmüller. Die bekannten Science-Fiction-Autoren aus der DDR schufen in der Haut der Insel-Bücherei faszinierende Kuriosa. Ihre versteckten Originalmanuskripte sind in der Ausstellung zu bewundern.

Leser und Liebhaber werden außerdem wieder in ein verschlungenes Labyrinth gesamtdeutscher Geschichte mitgenommen. Das Buch vom Nichts und die größte Insel-Buch-Sammlung der Welt werden präsentiert. Aber auch die Abgründe der Buchzerstörung offenbaren sich dem Besucher mit dem “Termitenbuch”.

Das buchwissenschaftliche Archiv befindet sich in der Hainstraße 11. Die Ausstellung ist vom 5. November bis 21. Dezember wochentags von 14 bis 18 Uhr geöffnet. Und weil ein paar Leute sich mittlerweile das Ende des Maya-Kalenders am 21. Dezember 2012 als neues Ende der Welt ausgeguckt haben und mit den ewigen Ängsten der Menschen mittlerweile wieder richtig viel Geld verdienen, kann man eigentlich damit rechnen, dass es zum Ausstellungsfinale auch ein Plakat mit Inselbändchen zum Weltuntergang geben wird.

Vernissage für die Wiedereröffnung der Ausstellung “Neue Inselwelten” ist am Montag, 5. November, 19 Uhr. Die Öffnungszeiten der Ausstellung: Mo-Fr. 14-18 Uhr.

Bestellen kann man die bisher erschienenen Insel-Plakate übrigens auch – für 10 Euro, Studierende 8 Euro.

www.uni-leipzig.de

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