Am 22. Juli vor 100 Jahren konnte man in Bayreuth nach zehnjähriger Pause nun endlich wieder den Spielbetrieb eröffnen. Dank der kritisch-analysierenden Berichte des Leipziger Musikwissenschaftlers und -kritikers Dr. phil. Adolf Aber in den Leipziger Neuesten Nachrichten (LNN) über die Bayreuther Festspielzyklen war die interessierte Öffentlichkeit stets gut informiert. Nach der Eröffnung mit den „Meistersingern von Nürnberg“ an jenem Dienstag erschien in den LNN zwei Tage später, am 24. Juli 1924, ein Artikel der Schriftleitung des Blattes mit für uns heute aufschlussreichen Informationen.
„Zur nunmehr erfolgten Eröffnung der Bayreuther Festspiele 1924 sei erinnert, inwiefern ein starker Anteil an ihrer Ermöglichung auf Leipzig fällt.
Der dortige geschäftsführende Vorstand der ‚Zentralleitung des Allgemeinen Richard-Wagner-Vereins‘ berief Ende Mai 1921 unter Vorsitz von Hofrat Richard Linnemann eine Versammlung von Freunden der Bayreuther Sache, in erster Linie von Vertretern der Richard-Wagner-Vereine verschiedenen Namens nach Leipzig, um im Einverständnis mit Siegfried Wagner und in Gegenwart des Ersten Bürgermeisters von Bayreuth, die in ihrem Weiterbestand gefährdeten Festspiele auf die wirtschaftliche Grundlage eines zu schaffenden Garantiefonds von mindestens drei Millionen zu stellen, der durch Patronatsscheine aufgebracht werden sollte.
Bereits Anfang Juni schritt man in Bayreuth selbst durch die Errichtung der ‚Deutschen Festspielstiftung Bayreuth‘, zur Verwirklichung der in Leipzig gefaßten Beschlüsse.
Der genannten Leipziger Zentralleitung fiel die Werbung für die Patronatsscheine und für sonstige freiwillige Beiträge zu, und dank reger Werbetätigkeit waren bis Ende 1922 schon 8 Millionen Mark eingegangen. Durch sofortige Ausführung der nötigen Erneuerungsarbeiten am Festspielhaus, Rücklagen von Edelvaluten und sonstige praktische Maßnahmen konnte den Wirkungen der Geldentwertung nach Möglichkeit vorgebeugt und so die notwendige geldliche Grundlage der diesjährigen Festspiele gesichert werden.“
Was liegt nun für uns näher, an zwei Leipziger zu erinnern, die sich mit ihrem Lebenswerk besonders dem Erbe Richard Wagners gewidmet haben: Adolf Aber und Richard Linnemann.
Gedenken an Adolf Aber – nicht nur journalistischer Begleiter der Festspiele in Bayreuth
Adolf Aber (*28.01.1893 Apolda; †21.05.1960 London) begann seine Laufbahn als Musikreferent der LNN im Jahre 1919. Hier nur auf Richard Wagner bezogen, brachte er seine erste Rezension über den „Fliegenden Holländer“ am 28. 04.1919. – Es folgte sein Urteil über „Hans von Bülow in seinen Briefen“, 1919 bei Breitkopf & Härtel erschienen, mit dem einleitenden Satz: „Endlich, 25 Jahre nach Bülows Tod, erscheint ein Buch, das geeignet ist, diese überragende Persönlichkeit nach Verdienst dem deutschen Volke bekannt und wert zu machen“.
Die LNN brachten seine Berichte von den Bayreuther Festspielen 1924, 1925, 1927, 1930 und 1931 als „Drahtmeldung unseres nach Bayreuth entsandten Musikreferenten.“ Jeder Rezension folgte ein Stimmungsbericht. Bemerkenswert ist gleich der erste von 1924: Außer den Berichten über die sechs Tage gab es noch einen Bericht über „Unmusikalisches aus Bayreuth“, d.h. was sich so auf den Straßen und in den Lokalen tat und bei Familie Wagner.
„Das wäre denn alles soweit sehr schön und gut. Aber es gibt auch einige Dinge aus Bayreuth zu melden, die weniger erfreulich sind. Alle diese Dinge hängen mit dem Versuch einer kleinen, aber leider im Hause Wahnfried sehr einflußreichen Gruppe zusammen, Bayreuth zu einer politischen Angelegenheit zu machen. Keineswegs etwa nur in dem Sinne, daß man die Wiederaufnahme der Festspiele als ein Zeichen neuer nationaler Erstarkung betrachtet wissen will; denn das ist zweifellos eine einfache Tatsache, über die jeder Deutsche nur freudigste, stolze Genugtuung empfinden muß. Man geht aber hier weiter und schiebt die ganze Angelegenheit regelrecht aufs ‚Hitler-Gleis‘.
Die Pfeiler der Gartenmauer von Villa Wahnfried sind übersäet mit Hakenkreuzen, und an einigen prangt die Inschrift ‚Heil Hitler!‘ Aber man findet offenbar absichtlich den Scheuerlappen nicht, der das Haus von diesem Geschmier säubern könnte. Es fehlt gottlob nicht an besonnenen Leuten, die Siegfried Wagner über das Bedenkliche des neuen Bayreuther Kurses aufzuklären versuchen; darunter sind gerade die ältesten Festspielbesucher, die hier weiter nichts als künstlerische Erbauung suchen und denen diese ‚Nationalsozialisierung‘ Bayreuths ein Gräuel ist.
Aber ob sie der Vernunft zum Siege verhelfen werden, ist zum wenigsten für diesen Augenblick zweifelhaft. Denen aber, die aus Verärgerung über die politischen Hanswurstiaden einzelner Hitzköpfe nun überhaupt gleich den Stab über Bayreuth brechen wollen, muß man sagen, daß sie damit nur eine Dummheit durch die andere ersetzen. Man darf nicht vergessen, daß diese Gegend um Bayreuth wochenlang das Sammelbecken für den famosen ‚Zug nach Berlin‘ gewesen ist.
Glaubt man wirklich, daß die dadurch hier entstandene Atmosphäre von heute auf morgen zu entgiften sein wird? Man lasse die Zeit ruhig ihren Lauf nehmen; sie wird auch diese Wogen wieder glätten.“
Wie wir Nachgeborenen es längst heute besser wissen, war der Spross jüdischer Eltern wie viele seiner Zeitgenossen einer Illusion erlegen. Adolf Aber emigrierte 1933 gemeinsam mit seiner Frau Elisabeth Mignon, Tochter des Rauchwarenhändlers Eugen Platky, nach London. Ab 1936 arbeitete er im Londoner Verlag Novello & Co. und bemühte sich um die Förderung deutscher Musik im Ausland.
Zu seinem 65. Geburtstag wurde Adolf Aber mit dem Großen Verdienstkreuz durch Bundespräsident Theodor Heuss ausgezeichnet. Aus gleichem Anlass empfing Königin Elisabeth II. ihn und seine Ehefrau. 1992 benannte seine Geburtsstadt Apolda eine Straße nach seinem Namen.
Im folgenden Jahr – am 6. Juni 1925 – sprach Adolf Aber auf dem 1. Kongress der Deutschen Musikgesellschaft über „Das Problem der Stilbühne bei den Werken Richard Wagners“, worüber dann die LNN zwei Tage später berichtete.
1932 wurde das Richard-Wagner-Gedenkjahr 1933 vorbereitet und begonnen mit einer Neuinszenierung der „Meistersinger von Nürnberg“. Adolf Aber rezensierte diese „erste Wagner-Inszenierung im Wagner-Gedenkjahr“ am 3/4. Oktober 1932 als „verheißungsvollen Auftakt“. Am 18. November 1932 kann man von ihm eine ähnlich tiefschürfende Rezension: „Im Zeichen des Wagner-Gedenkjahres. ‚Tristan und Isolde‘. Neuinszenierung im Neuen Theater“ in den LNN lesen.
Am 30. Dezember 1932 lädt Carl Goerdeler zur Gründung des „Richard-Wagner-Denkmal-Vereins“ in das Neue Rathaus ein. Zu den Gründern bzw. Mitgliedern gehören unter anderen Max Brockhaus, Richard Graul, Gerhard Hübler und Walter Tiemann. Über die Gründung erscheint von Adolf Aber der Bericht: „Richard-Wagner-Denkmal-Verein in Leipzig gegründet“ in den LNN vom 31. Dezember 1932.
Im Festspiel-Führer zum Leipziger Richard-Wagner-Gedenkjahr 1933, erschienen im Verlag Kistner & Siegel, steht der Aufsatz von Adolf Aber: „Bayreuth und sein Meister in der Literatur.“ –
Am 13. Februar 1933 wird des Todestages von Richard Wagner ganzseitig in den LNN gedacht. Für Adolf Aber ist es ein „Heiliges Vermächtnis.“ Er berichtet über die „Wagner-Gedächtnisvorstellungen im Neuen Theater“: „Rienzi unter Brecher.“
Die letzten drei Rezensionen von Adolf Aber in den LNN sind folgende: „Leipziger Wagner-Festspiele. ‚Der fliegende Holländer‘ unter Schillings“ (14. Februar 1933), „Leipziger Wagner-Festspiele. ‚Tannhäuser‘ unter Knappertsbusch“ (20. Februar 1933) und „Leipziger Wagner-Festspiele. ‚Lohengrin‘ unter Neubeck“ (6. März 1933).
Gedenken an Richard Linnemann – seine organisatorische Tatkraft brachte den Erfolg
Der Musikverleger/Musikalienhändler Walther Richard Linnemann (*05.11.1874 Leipzig; †05.04.1932 Leipzig) gehörte zu einem am 22. Mai 1883 erstmals zusammengetretenen Komitee zur Errichtung eines Denkmals für Richard Wagner, das sich mit einem von 50 namhaften Persönlichkeiten unterzeichneten Aufruf an die Öffentlichkeit gewandt hatte. Im Jahr 1900 wurde Linnemann auch wegen seiner großen organisatorischen Begabung zum Leipziger Ortsvertreter des „Allgemeinen Richard-Wagner-Vereins“ gewählt, 1913 dann zum Vorsitzenden der „Zentralleitung des Allgemeinen Richard-Wagner-Vereins“.
Zur Richard-Wagner-Jahrhundert-Feier in Leipzig am 22. Mai 1913, die gegen 10.30 Uhr mit der Grundsteinlegung des von Max Klinger geschaffenen Wagner-Denkmals begann, eingeleitet mit dem Huldigungsmarsch von Richard Wagner, gespielt von der Kapelle des Infanterie-Regiments Nr. 7, und nach der Festrede des Vorsitzenden des Denkmal-Komitees Friedrich Dodel, wurde in den Grundstein eine Urkunde versenkt, mit unterzeichnet von Walther Richard Linnemann.
In seiner im Februar 1926 vorgelegten Skizze seines Lebens, die Gerhard Menz im „Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel“ am 9. April 1932 wiedergegeben hat, gibt er an, die ‚Deutsche Festspiel-Stiftung, Bayreuth‘ ins Leben gerufen und durch diese die Wiederaufnahme der Bayreuther Bühnenfestspiele, nach zehnjähriger Pause, 1924 wieder ermöglicht zu haben.
In diesen Zeiten hatte sich Linnemann über viele Jahre eine der damals bedeutendsten privaten Wagner-Sammlungen angelegt: etwa 1.500 Bände Wagnerliteratur und mehrere hundert Musikwerke, Handschriften, Kunstblätter, plastische Darstellungen und Programme von Wagner und dem Bayreuther Kreis.
Walther Richard Linnemann selbst legte im August 1930 auf einer Tagung des Allgemeinen Deutschen Wagner-Vereins in Bayreuth sein Amt als Präsident aus gesundheitlichen Gründen nieder. Er wurde 58 Jahre alt und starb am 6. April 1932 in Leipzig.
Im Festspiel-Führer zum Leipziger Richard-Wagner-Gedenkjahr 1933 ist ein im Nachlass des Leipziger großen Wagner-Sammlers Richard Linnemann gefundener kurzer Huldigungsgruß an Cosima Wagner enthalten.
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