Ein nur stilles Gedenken gab es in Leipzig so ziemlich am Jahresende 1823. Damals vor hundert Jahren, also 1723, war das altehrwürdige und längst baufällig gewordene Peterstor, am Südende der Petersstraße neben der Peterskirche (die selbst bis 1886 dort noch stand) gelegen, als letztes der vier Stadttore einem von M. D. Pöppelmann entworfenen, dem Barockstil ähnelnden Neubau gewichen und im genannten Jahr eingeweiht worden. Danach konnte es ohne Gefahr wieder passiert werden.

Wie auf der Abbildung erkennbar, war über dem Torbogen eine Inschrift auf Latein eingelassen. Sie lautete übersetzt: „Unter der Regierung des besten Fürsten, der Vaters des Vaterlandes, Friedrich August’s, König von Polen und Churfürsten zu Sachsen, wurde dieses baufällige und vom Alter entstellte Tor zur Zierde der Stadt erneuert im Jahre Christi 1723.“

Damals konnten sich wohl Tageblatt-Redakteur Ernst Müller und Zeitgenossen nicht vorstellen, dass sich die Zeiten grundlegend ändern würden, hofften sie doch, dass das Tor „noch lange eine Zierde der Stadt bleiben, und, wie jetzt, so auch nach 100 Jahren wieder, unter der Regierung eines besten Fürsten, eines Vaters des Vaterlandes – eines Friedrich August – das Säculum feiern!“ würde.

Zugleich aber gab es persönliche Erinnerungen. Da fiel es einem „Greise“ ein, „daß dasselbe während dieser langen Zeit wohl mancherlei Freude und Leid erfahren haben möge und daß es wohl interessant genug seyn müßte, die merkwürdigen Fata, von denen es Zeuge gewesen, von ihm erzählen zu hören; zumal wenn es seine Erfahrungen mit der Freimüthigkeit mittheilte, die alten deutschen Knasterbärten sonst eigen war, und auch wohl jetzt hier und da noch eigen seyn mag.

Was in neuerer Zeit, der ich alter Mann, der ich eine bessere gekannt, wohl die bleierne nennen möchte, bei und unter diesem Thore vorgefallen, und wie besonders 1813 eine Menge größere und kleinere Kugeln auf dasselbe abgefeuert worden sind, ohne ihm eben sonderlichen Schaden zu thun, das ist ja heute noch Jedem von uns frisch genug im Gedächtniß; dagegen werden aber nur wenige von meinen jetzigen Zeitgenossen wissen, woher es die beiden derben Narben, die man rechter Hand, unterhalb des äußeren Bogens, und im Innern oberhalb der Einnahme erblickt, empfangen hat, weshalb ich hier ein paar Worte aus meiner Hauschronik darüber mittheilen will.

Das Peterstor in Leipzig, gemalt 1859 von Carl Werner (1808-1894). (Abb. gemeinfrei).
Das Peterstor in Leipzig, gemalt 1859 von Carl Werner (1808-1894). (Abb. gemeinfrei).

Es war am Reformationsfeste 1760, gerade unter der Frühkirche, als die Preußen, nach der Schlacht bei Torgau, die Stadt Leipzig mit ihrem nachbarlichen Besuch beehrten. Da aber eben 300 Kaiserliche in ihr zu Gaste waren, denen dieser Besuch etwas ungelegen kam, so wurden die Thore wacker verschlossen gehalten, bis Friedrichs Krieger den Einlaß etwas nachdrücklich begehrten und unter anderen auch das stattliche Peterstor durch ein paar Stückschüsse gar häßlich anschnarchten. Zum Glück war die Sache bald abgethan, so daß weiter keine Böllerei nöthig war und St. Peters Pforte mit den beiden unsanften Complimenten weg kam. Die Kaiserlichen begehrten nicht weiter den Einzug der Preußen zu hindern, und der große Schrecken, der die Bürger ergriffen und, was ich mich noch recht gut zu erinnern weiß, denn ich war zu der Zeit ein Knabe von 13 Jahren, die frommen Hausmütter und Jungfrauen aus den Kirchen gescheucht hatte, legte sich bald wieder, so daß es, trotz des vielen Zuspruchs, doch recht ruhig und friedlich in der Stadt zuging. Eine der vorhin genannten Kugeln, 30 Pfund am Gewicht, drang bis mitten in die Petersstraße zum Munckeltschen Hause vor, in welchem sie noch heute zum Denkmal jenes Ereignisses aufbewahrt wird.“

Das Peterstor stand noch als letztes der vier Haupttore bis zum Jahre 1860. Bei Straßenbauarbeiten im Sommer 2013 sind einige Reste des Tores gefunden worden. Aus diesem Anlass ist damals bereits über den Fund und dessen zeitgeschichtliche Einordnung in dieser Zeitung am 2. August 2013 berichtet worden.

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