Die Nikolaikirche Leipzig und die Thomaskirche Leipzig sind weithin bekannt. Darüber hinaus gibt es über so manche Kirche der Messestadt Wissenswertes und Besonderes zu berichten. Heute im Porträt: die Kirche St. Gabriel in Leipzig-Wiederitzsch. St. Gabriel ist die römisch-katholische Kirche in Leipzigs Stadtteil Wiederitzsch.
Als sie erbaut wurde, war Wiederitzsch ein selbstständiger Ort. Die Kirche der Katholischen Pfarrei St. Georg Leipzig Nord im Dekanat Leipzig hat die Adresse Georg-Herwegh-Straße 22, 04158 Leipzig.
Diese sogenannte Zeltkirche wurde – als eine der ersten Kirchen in der DDR überhaupt – mit Betonfertigteilen errichtet. Das Gotteshaus steht im Umfeld von Einfamilienhäusern und Gärten. Aufgrund seiner außergewöhnlichen Architektur steht es unter Denkmalschutz.
1942 zog ein katholischer Priester nach Wiederitzsch, gab für die wenigen katholischen Kinder im Ort in seiner Wohnung Religionsunterricht und hielt im nahen Krankenhaus St. Georg, später auch in der evangelischen Kirche, Gottesdienste. Nach 1945 wuchs wegen Flucht und Vertreibung die Zahl der Katholiken, es wuchs der Wunsch nach einer katholischen Kirche in Wiederitzsch.
Anfangs standen nur Holzbaracken als Kapelle und Gemeindezentrum zur Verfügung. Pläne für einen Neubau aus Betonfertigteilen in den 1960er Jahren wurden staatlicherseits abgelehnt und auf eine Barackenreparatur verwiesen. Erst der Nachweis, dass dies teurer und viel knappes Bauholz benötigen würde, führte zum Umdenken.
1968 begann der Bau nach Plänen des Architekten Peter Weeck (* 1937) aus Halle (Saale). Dieser hatte Kontakt zu Bauingenieur Herbert Müller, dem Entwickler der Hyperbolische Paraboloidschale (kurz: HP-Schale) aus Beton. Diese nutzte Weeck für das Dach der Kirche – und damit erstmals für einen Kirchenbau in der DDR. Die künstlerische Gestaltung übernahm Dresdens Bildhauer Friedrich Press. Die fruchtbare Zusammenarbeit führte zu einer „geistvollen Synthese aus bauender und bildender Kunst“. Am 21. März 1970 weihte Bischof Otto Spülbeck die Kirche St. Gabriel.
St. Gabriel ist ein turmloser Bau. Zwischen zwei dreieckigen, etwa zwölf Meter hohen Klinkerwänden, die die Ost- und die Westwand des Kirchenraumes sind, erstreckt sich nach Norden das Dach bis zum Boden. Es besteht aus acht Stahlbeton-HP-Schalen in Form von nach dem Innenraum kassettierten Halbröhren.
Die Kirche hat einen rechteckigen Grundriss: Der Altarraum findet sich im Osten, nach Süden ist ein schmaler Funktionsbau mit Nebenräumen und dem Kirchenzugang angegliedert.
In Größe und Gestalt ist die Kirche mit Anbau und Pfarrhaus so in die umliegende Gartensiedlung eingebunden, dass sie kaum auffällt. Der Sakralbau ist vom steilen Pultdach aus den doppelt gekrümmten und kassettierten Spannbetonschalen (HP-Schalen) geprägt. Das Relief auf der Giebelwand zur Straßenseite bezieht sich auf das Patrozinium St. Gabriel. Nach Süden wird die Gebäudelangseite über dem eingeschossigen Funktionsbau von einer durchgehenden Profilglaswand abgeschlossen.
Der Innenraum, im Profil einem Dreieck ähnlich, ist von abstrakten Reliefgestaltungen geprägt. Altar und Tabernakel wurden aus Sichtbeton, die Bestuhlung aus hellem Holz gefertigt.
Ungewöhnlich für den DDR-Kirchenbau dieser Zeit: Die Kirchenbänke sind nicht am Boden befestigt, sondern verschiebbar. Es gibt eine sogenannte freie Bestuhlung hufeisenförmig um den Altarbereich.
Die Südseite bildet eine zur Raumbeleuchtung dienende Profilglaswand. Diese ruht auf einem vorgelagerten eingeschossigen Funktionsbau mit dem Zugang zur Kirche. An den Funktionsbau schließt sich nach Süden das eingeschossige Pfarrhaus an. Die Dachneigung beträgt 38 Grad, die Glaswand weicht um 10 Grad von der Senkrechten ab.
Mit dem dreieckigen Querschnitt symbolisiert der Kirchenraum „das Zelt Gottes unter den Menschen“. Seine Grundfläche beträgt etwa 15 Meter mal 12 Meter. Er ist farblich vom Grau der Kassettendecke und vom Rot der Ziegelwände geprägt. Altar und Tabernakel aus Sichtbeton stehen in der Südostecke auf der um eine Stufe erhöhten Altarinsel.
Der künstlerische Schmuck der Kirche besteht aus abstrahierenden Reliefs aus behauenen Ziegeln zur Thematik „Der wiederkommende Christus“: an der Außenwand die „Verkündigung Mariens durch den Engel Gabriel“ und innen der „Einzug Jesu in Jerusalem auf einem Esel“.
Über dem Altar symbolisierte der Künstler „Das Lamm vor dem Thron Gottes, der wiederkommende Christus“ nach der Offenbarung des Johannes.
Architekt Peter Weeck und Bildhauer Friedrich Press schufen die gestalterisch überzeugende Konzeption. Weeck entwarf – angelehnt an den damaligen Kirchenbaustil des Zeltmotivs – den unauffälligen, turmlosen Sakralbau mit jenem Dach aus HP-Schalen, die für den Industriebau entwickelt waren.
Dieser wurde von den staatlichen Genehmigungsbehörden genehmigt – auch weil er dem Anspruch der offiziellen Architekturgestaltung jener Zeit entsprach, möglichst viele serienmäßig hergestellte Bauteile zu verwenden – und mit baubezogener Kunst zu „sozialistischen Gesamtkunstwerken“ zu gestalten.
Die klare Lichtführung mit Tageslicht von der Seite und die von Press zum Thema „Der wiederkommende Christus“ plastisch gestalteten Klinkerwände geben dem Innenraum seine eindrucksvoll sakrale Stimmung.
St. Gabriel zu Wiederitzsch fand bereits bei der Errichtung in Fachkreisen viel Aufmerksamkeit. So wurde das Gotteshaus im Buch „Kirchbau heute“ (Leipzig und München 1969) vorgestellt und gelobt: „Hier wird mit den neuesten Elementen der Bauindustrie der DDR ein moderner Kirchenbau geschaffen, eine Bauplastik, die ihresgleichen in unserem Raume nicht hat.“
Ein Foto des Rohbaus, das die Fertigteil-Dachkonstruktion zeigt, schmückte den Buchtitel.
Das kupferbeschlagene Holzkreuz, das am oberen Ende der Westwand angebracht war, wurde im Jahr 2020 entwendet.
Koordinaten: 51° 23′ 53,8″ N, 12° 22′ 59″ O
Quellen und Links:
https://de.wikipedia.org/wiki/St._Gabriel_(Leipzig)
https://www.strasse-der-moderne.de/kirchen/leipzig-wiederitzsch-st-gabriel/
https://leipzig-st-gabriel.de/gemeinde-st-gabriel/
https://www.kirche-leipzig.de/gemeinde/wiederitzsch-st-gabriel/
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