Kirchenbauwerke gehören in Mitteldeutschland zu fast jedem Ort. Im Alltag sind sie bekannt als Wahrzeichen, Ortsmittelpunkt oder Orientierungsmarke, sie haben architektonisch, kunsthistorisch und regionalgeschichtlich vielfältige Bedeutung. Doch die Zukunft vieler Kirchen ist bedroht: Dutzende von ihnen haben ihre Funktion verloren, einige sind bereits spurlos aus dem Ortsbild verschwunden. Zeit zur Erinnerung an verschwundene Kirchen – und was mit ihnen unwiderruflich verloren gegangen ist.

Die Sankt-Nikolai-Kirche war eine Stiftskirche in Magdeburgs Altstadt. Das dem heiligen Nikolaus geweihte Gotteshaus wurde 1959 abgerissen.

Magdeburgs erste Nikolaikirche wurde von Wenden zerstört. Sie soll um das Jahr 1023 unter Erzbischof Humfried errichtet worden sein und hatte einen runden Grundriss. Sie diente als Baptisterium – also Taufkirche – des damaligen Doms und wurde beim Bau von Magdeburgs Dom um 1240 abgerissen, um an ihrer Stelle den südlichen Domturm zu errichten.

Das Nikolaistift erhielt 1310 als Ersatz ein größeres Grundstück im nordwestlichen Bereich des Domplatzes (damals: Neuer Markt). Bis 1360 entstand dort eine schlicht gestaltete Kirche aus Grauwacke-Bruchstein und behauenem Sandstein als größte Hallenkirche der Stadt.

Die Grüne Zitadelle Magdeburg von Friedensreich Hundertwasser am Standort der einstigen Sankt-Nikolai-Kirche. Foto: Doris Antony, CC BY-SA 3.0, Quelle: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=378220
Die Grüne Zitadelle Magdeburg von Friedensreich Hundertwasser am Standort der einstigen Sankt-Nikolai-Kirche. Foto: Doris Antony, CC BY-SA 3.0, Quelle: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=378220

Ihre Besonderheit: Sie blieb ohne Kirchturm. Eine zeitgenössische Abbildung von 1653 zeigt, dass sie früher einen Dachreiter hatte.

Das Hallengewölbe bestand aus drei gleich hohen Schiffen, die auf zwei Arkadenreihen mit je acht Pfeilern ruhten. Der Grundriss der Kirche war rechteckig. An der Nordseite der Kirche wurde ein Kreuzgang errichtet. 1540 beschädigte ein Brand Kreuzgang und Kirche.

Mit der Reformation wurde Sankt Nikolai evangelisch, erster Gottesdienst der Protestanten war am 6. Dezember 1573. Während der Erstürmung Magdeburgs im Dreißigjährigen Krieg am 10. Mai 1631 wurde auch Sankt Nikolai beschädigt.

Bei der Erneuerung 1654 entstand statt des ursprünglichen Gewölbes eine hölzerne Flachdecke. Gottesdienste gab es ab 1693. Doch hatte Sankt Nikolai keine eigene Kirchgemeinde, meist wurde sie für regelmäßige geistliche Gesänge genutzt. Der im Krieg beschädigte Kreuzgang verfiel zur Ruine und wurde 1724 abgerissen – die Kreuzgangstraße in diesem Bereich erinnert daran.

In der Zeit der französischen Besatzung diente die Kirche als Lazarett und Kaserne. Die Inneneinrichtung wurde entfernt, der Fußboden um 30 Zentimeter aufgeschüttet.

1810 wurde die Sankt-Nikolai-Kirche aufgegeben und das Stift aufgehoben. Ab dem 18. Jahrhundert an gab es eine wechselvolle Nutzungsgeschichte: als Familienbegräbnisstätte, Militärkrankenhaus, Kaserne, als Zeughaus und Lager.

So diente das Gotteshaus als Ersatz für das 1812 abgebrannte Zeughaus, der Umbau zum schmucklosen Zweckbau begann 1824. Nach Auflösung des Zeughauses diente es als Zeughausmuseum und später als Möbellager. 1938 gestalteten es die Nationalsozialisten als Weihestätte für die Bewegung des Nationalsozialismus und als Stahlhelmmuseum. An seinem wechselvollen Schicksal lässt sich das Auf und Ab in Magdeburgs Stadtgeschichte ablesen.

Die Westseite hatte eine Empore mit Orgel. Die jeweils acht Kirchenfenster an den Langseiten auf Nord- und Südseite waren als Fenster der Stifter gestaltet – mit Wappen Magdeburger Familien.

Modell der Sankt-Nikolai-Kirche Magdeburg. Foto: Olaf2, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org
Modell der Sankt-Nikolai-Kirche, Magdeburg. Foto: Olaf2, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org

Beim Luftangriff auf Magdeburg am 16. Januar 1945 wurde auch die Sankt-Nikolai-Kirche stark beschädigt, es blieben im Wesentlichen die Außenmauern erhalten. 1959 wurde sie gesprengt.

An der Stelle der Kirche entstand anschließend ein Wohnhaus in DDR-Plattenbauweise – gefolgt von der von Friedensreich Hundertwasser entworfenen „Grüne Zitadelle“ von Magdeburg 2005.
In deren Keller zeigt ein Saal geborgener Steine der Sankt-Nikolai-Kirche. Ein Bronze-Modell am einstigen Standort erinnert heutzutage an das Gotteshaus.
Eine Spur christlichen Lebens lebt in der „Grünen Zitadelle“ fort: Dort ist in der ersten Etage die evangelische Kindertagesstätte „FriedensReich“ zu Hause – mit Spielplätzen auf den Dachflächen.

Koordinaten: 52° 7′ 35,3″ N, 11° 38′ 0,8″ O

Quellen und Links:
https://de.wikipedia.org/wiki/Sankt-Nikolai-Kirche_(Magdeburg)
https://www.ek-md.de/kulturtourismus/kulturtourismus-verlorenekirche.html
https:/www.gruene-zitadelle.de/de/content/kita-friedensreich

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Redaktion über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar