Kirchenbauwerke gehören in Mitteldeutschland zu fast jedem Ort. Im Alltag sind sie bekannt als Wahrzeichen, Ortsmittelpunkt oder Orientierungsmarke, sie haben architektonisch, kunsthistorisch und regionalgeschichtlich vielfältige Bedeutung. Dutzende Kirchen werden heutzutage anders als ursprünglich genutzt, so auch in Sachsen-Anhalt in Köthen.
Die Martinskirche in Köthen in Anhalt ist ein technisch und architektonisch herausragendes Bauwerk, das auf der höchsten Stelle – dem einstigen Galgenberg – in Hohenköthen errichtet wurde und mit dem 55 Meter hohen Kirchturm das Ortsbild entscheidend prägt. Sie entstand zwischen 1912 und 1914 als evangelische Kirche und gehört in Sachsen-Anhalt zu den bedeutendsten Bauwerken des Jugendstils.
Sie ist ein Sakralbau zwischen Historismus und Moderne mit Elementen des Jugendstils und Eklektizismus, hat eine elliptische, überkuppelte Emporenhalle mit einer Kuppelhöhe von neun bis 15 Meter sowie zwei direkt angebaute Häuser für Pfarrer und für Kirchdiener. Das Bauwerk steht unter Denkmalschutz und als Baudenkmal im Denkmal-Verzeichnis (Erfassungsnummer 094 17547).
Architektonisch gilt die Martinskirche zu Köthen als das größte und bedeutendste sakrale Architektur-Denkmal des frühen 20. Jahrhunderts in Sachsen-Anhalt, mit der Funktion als Landmarke der Region sowie als stadtbildbeherrschender Zentralbau mit eindrucksvoller Silhouettenwirkung.
Die Kirche steht südöstlich der Altstadt von Köthen zwischen der Franzstraße im Norden, der Bahnhofsstraße im Osten und der Leipziger Straße, die das Areal zum Dreieck formt. Damals wuchs Köthen nach Südosten: Ein Gründerzeitviertel entstand zu Anfang des 20. Jahrhunderts, damals fast selbstverständlich mit eigener Kirche.
Deren Architekt war Friedrich Gothe (1872–1951): Er entwarf das Kirchenschiff als Rundkuppelbau, an das er an der Ostseite Kirchturm, Pfarrhaus und Kirchdienerhaus anfügte. So entstand ein V-förmiger Grundriss.
Die 96 Quadratmeter große Rundkuppel der Martinskirche besteht aus Eisenbeton und ruht in 15 Meter Höhe auf vier Säulen – eine damals eindrucksvolle bautechnische Besonderheit. Markant und eigenwillig gestaltet ist die Haube des Chorturms.
Die ursprüngliche Fassade ist bis heute erhalten. 1964 wurde die Kirche umgebaut und erhielt frische Farbe. Über die Jahrzehnte des Lebens an und um diese Kirche ist nichts Herausragendes überliefert.
1985 wurde die Martins-Kirchgemeinde mit der von St. Jakob vereinigt, der Sakralbau wurde seitdem nicht mehr für Gottesdienste gebraucht. 1986 übernahm die Stadt Köthen das Gebäude-Ensemble, mit Verantwortung und Respekt für die historische Bausubstanz und um die Erhaltung des Baudenkmals zu sichern.
Doch was anfangen mit diesem Bauwerk? Jobcenter, ortsansässige Bildungs-Gesellschaft, ein Architekturbüro und die Stadt Köthen ersannen gemeinsam ein Konzept für die denkmalgerechte Nutzung des ehemaligen Pfarrhauses und Kirchenschiffs.
Ab 2006 sanierten Jugendliche und ältere Arbeitssuchende substanzschonend und fachgerecht die Martinskirche. Im Mai 2011 wurden das Bleiglasfenster mit der Lutherrose sowie eine multifunktionale Lichtanlage eingeweiht. Im einstigen Kirchdienerhaus sind ein Jugendclub und in den Kellerräumen ein Studentenclub zu Hause.
Seit November 1997 steht die kommunale Jugendbegegnungsstätte Martinskirche Kindern und Jugendlichen offen. Es gibt Möglichkeiten für Tischtennis, Speedhockey, Billard und Dart sowie zum gemeinsamen Kochen und Backen.
Im Mai 2010 wurde in sanierten Räumen des ehemaligen Pfarrhauses der Martinskirche der Internationale Studentenclub (ISC) eröffnet – als Freizeit-Angebot für deutsche und ausländische Studenten der Hochschule Anhalt.
Der Club hat eine Bar, einen Billardraum und eine Lounge. Ein zusätzlicher Raum steht für kleinere und mittlere Events wie Disko, Konzerte und Lesungen zur Verfügung. Auch sind Billard-, Skat- und Kickerturniere sowie Jamsessions, Musik- und Sprachabende möglich.
Seit 2001 findet in der Martinskirche jährlich der Internationale Studententag des Landesstudienkollegs der Hochschule Anhalt statt: Dann laden Studierende aus 45 Staaten ein, ihre Heimatländer mit deren Traditionen und Kulturen näher kennenzulernen.
Feine, zarte Klänge waren in diesem Jahr ein weiterer Höhepunkt der Martinskirche Köthen – als Konzertsaal der diesjährigen Köthener Bachfesttage: Am 19. September 2021 erklangen Sonaten für Solo-Violine, komponiert von Johann Sebastian Bach.
Das kirchliche Inventar in der einstigen Martinskirche ist komplett verschwunden, viele Gegenstände haben nach 1985 in anderen Kirchen ein neues Zuhause gefunden. Denkmalgerecht wiederhergestellt sind Teile der originalen Verglasung und die Lutherrose.
Die ursprüngliche, erhaben-beeindruckende Raumwirkung im Inneren – sie hat alle Veränderungen der Zeit überdauert.
Koordinaten: 51° 44′ 51,5″ N, 11° 59′ 12,2″ O
Quellen und Links:
https://de.wikipedia.org/wiki/Martinskirche_(K%C3%B6then)
https://www.koethen-anhalt.de/de/martinskirche/martinskirche.html
https://web.archive.org/web/20140325121611/http://www.inf.hs-anhalt.de/~volkmar/Martinskirche/martin.html
https://www.hs-anhalt.de/international/interkulturelle-begegnungen/interkulturelle-begegnungsorte/internationaler-studentenclub.html
Nächste Folge: Immanuelkirche in Prester
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