Kirchenbauwerke gehören in Mitteldeutschland zu fast jedem Ort. Im Alltag sind sie bekannt als Wahrzeichen, Ortsmittelpunkt oder Orientierungsmarke, sie haben architektonisch, kunsthistorisch und regionalgeschichtlich vielfältige Bedeutung. Doch die Zukunft vieler Kirchen ist bedroht: Dutzende von ihnen haben ihre Funktion verloren, einige sind bereits spurlos aus dem Ortsbild verschwunden. Zeit zur Erinnerung an verschwundene Kirchen – und was mit ihnen unwiderruflich verloren gegangen ist.
Immer wieder wundern sich Touristen, wenn sie sich in Bad Muskau auf dem Kirchplatz umsehen: „Wo ist denn hier die Kirche?“ Ein Kirchplatz ohne Kirche – was anderswo für Kopfschütteln sorgen würde, ist in Bad Muskau Wirklichkeit. Ernüchternde Wirklichkeit seit mehr als 60 Jahren.
Grundsteinlegung für die evangelische Kirche im spätgotischen Stil war 1605, Kirchweihe am 19. Mai 1622. 1643 von schwedischen Soldaten in Brand gesetzt, wurde sie bis 1646 wieder aufgebaut, fiel 1766 erneut in Schutt und Asche.
Bis 1782 erstand sie leicht verändert: Das zuvor schlanke Turmoberteil mit doppelter Laterne wurde damals vereinfacht wiederaufgebaut, der Kirchturm bekam ein flaches Zeltdach.
Am Ende des Zweiten Weltkriegs brannte das Gotteshaus im April 1945 aus. Erhalten blieben die starken Umfassungsmauern, Sakristei, Patronats-Loge, das Gewölbe des Mittelschiffes und der Chor. Die Frage war: wie sollte es weitergehen?
Bis Mai 1948 gab es zwischen der Kirchenleitung und Sachsens Amt für Denkmalpflege Gespräche über den Wiederaufbau der Stadtkirche, doch diese blieben ergebnislos. Im Januar 1952 wurde die Stadtkirche enttrümmert sowie loses Gesteinsmaterial beseitigt. Noch immer war offen, wie es weitergehen würde.
Dann kam der 28. Juli 1958, dieser Montag wurde für die evangelische Kirchgemeinde in Muskau (die Zusatzbezeichnung „Bad“ kam erst 1961 zum Ortsnamen hinzu) zum schicksalhaften Tag: Der Gemeindekirchenrat kam zu der gleichermaßen sachlich wie resignierenden Feststellung, dass weder die Kosten für den Wiederaufbau noch die Kosten für den Abriss der beschädigten Kirche aufgebracht werden könnten.
Nur Monate später schuf der Rat des Kreises Fakten: Er, der weder Grundstücks- noch Gebäude-Eigentümer war, ordnete insgeheim den Kirchen-Abbruch an – eigenmächtig und als Affront zum Ministerium für Kultur, das den Abriss abgelehnt hatte. Doch das erfuhr die Kirchgemeinde erst im Februar 1959 und auch nur mündlich.
Noch später wurde bekannt: Der Rat des Kreises hatte für seine Entscheidung grünes Licht vom Rat des Bezirkes Dresden und auch vom Zentralkomitee der SED in Berlin bekommen – was für die ortsansässigen Genossen eine Rücksprache mit dem fachlich zuständigen Institut für Denkmalpflege Dresden somit entbehrlich machte.
Staatlicherseits wurde ab 16. März 1959 die Sprengung vorbereitet, in einem Kirchendokument heißt es dazu ohnmächtig: „Da der Abriss bereits im vollen Gange ist, muss bedauerlicherweise die Kirchgemeinde der staatlichen Macht weichen.“ Am 25. März 1959 nahmen Muskaus Christen mit dem letzten Gottesdienst Abschied von ihrer Stadtkirche.
Es brauchte drei Wochen, um das offenbar sehr robuste Bauwerk dem Erdboden gleichzumachen: An vier Tagen zwischen dem 3. und dem 24. April 1959 donnerte das Grollen der Sprengladungen durch den Ort. Die Räum-Arbeiten und Abtransport der Kirchentrümmer dauerten bis Januar 1960.
Fast 337 Jahre diente die Stadtkirche vielen Generationen regelmäßig zum Gottesdienst sowie zu Ostern, Pfingsten und Weihnachten als Stätte festlicher Begegnung. Sie war vertrauter, heimatlicher Ort für Taufe und Konfirmation, für Trauung und Heimgang Hunderter Bürger in und um Muskau. Sie war Stätte für gemeinsame Hoffnung, Zuversicht, Freude und Leid.
Im Jahr 1973 entschloss sich die Kirchengemeinde Bad Muskau und verkaufte das Grundstück auf dem Kirchplatz, wo das Gotteshaus gestanden hatte. Der historische Kirchengrund wurde „Eigentum des Volkes“ – so die damalige offizielle Bezeichnung zur DDR-Zeit – und der Rat der Stadt Bad Muskau der Rechtsträger.
Seit einigen Jahren ist der Kirchplatz in Bad Muskau nun auch offiziell ein Platz des Erinnerns und der Mahnung. Dort, wo einst die stolze Kirche stand, steht ihre Miniatur-Ausgabe, ergänzt von erklärenden Text-Tafeln. Ein Holzkreuz gedenkt der auch als „Deutsche Kirche“ bekannten Stadtkirche.
Muskau hat 1959 mit der Sprengung seiner Stadtkirche mehr als nur ein herausragendes Bauwerk am Kirchplatz verloren.
Quellen und Links:
https://kirchensprengung.de/kirchensprengung-erinnerung
https://www.saechsische.de/plus/kirchplatz-ohne-kirche-aber-bald-mit-kreuz-3012277.html
https://www.lr-online.de/lausitz/weisswasser/kirchen-engel-gegen-speck-und-eier-getauscht-36121226.html
Nächste Folge: Nikolaikirche Zeitz
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