LEIPZIGER ZEITUNG/Auszug Ausgabe 80, seit Freitag, 26. Juni im HandelMilliarden D-Mark im Hinterhof der Sparkasse, smarte Westbanker, denen der Anblick bekittelter Ostkollegen den Schlips hochgehen lässt, ein Jahrmarktsbudenzauber an neuen Bankhäusern, die wie bunte Pilze aus der Alltagstristesse der noch existenten DDR herausschießen – das verrückte Jahr 1990 hat im untergehenden Realsozialismus auf deutschem Boden manch eine Überraschung parat.
Mit der „Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion“ am 1. Juli 1990 halten die Menschen die Westmark als offizielles Zahlungsmittel in der Hand – begehrtes Symbol von „Wirtschaftswunder“, Sicherheit und Wohlstand. Doch das ersehnte Geld hat auch so seinen Preis.
DDR: „Spielgeld“ und „Aluchips“
Wie jeder Staat besitzt auch die DDR eine Währung. Die DDR-Mark, seit 1964 „Mark der Deutschen Notenbank“ und 1967 in „Mark der Deutschen Demokratischen Republik“ umbenannt, hat ihre Ursprünge in der Teilung beider deutscher Staaten. Im Sommer 1948 besiegeln die Währungsreformen in West- und Ostdeutschland auch den wirtschaftlichen Bruch. Dass ein Gesamtzahlungsmittel für das besiegte Deutschland unrealistisch war, hatte sich lange angedeutet.
Denn die Westmächte geben mit Einführung der D-Mark in ihren Zonen auch das staatliche Preisregularium auf und ebnen den Weg in eine Marktwirtschaft. Im Osten dagegen stehen das Geld und die Finanzpolitik für die Idee eines neuen Weges und einer besseren Gesellschaftsordnung. Die Machthaber in der späteren DDR werden dieses Versprechen nicht einlösen.
Seit 1948 zentralisieren sie das Finanzwesen, ihre Notenbank wird der Weisung des Finanzministeriums unterstellt. Die Ostmark ist im Schatten ihrer westdeutschen Schwester zu einem zweitklassigen Dasein degradiert. Die Bevölkerung traut dem Zahlungsmittel kaum. Gegenmaßnahmen wirken bestenfalls im Ansatz. Dass die Münzen aus leichtem Aluminium hergestellt werden, macht die Produktion zwar weniger aufwendig, untergräbt jedoch das vertrauensbildende Gefühl, das schweres Münzgeld hervorruft. So spöttelt der Volksmund in der DDR von „Spielgeld“ und „Aluchips.“
Die Westmark als mächtige Nebenwährung
Vertrauen – das ist die Basis einer funktionierenden Währung: Vertrauen, dass sie durch eine gute Wirtschaftsleistung gedeckt wird, daher jederzeit in Güter getauscht werden kann und ihr Wert beständig bleibt, es also zu keiner übermäßigen Entwertung durch Inflation kommt. Fachleute sprechen von „harter Währung“ oder „Währungsstabilität.“
Das schafft die DDR nur bedingt. Auch der SED ist bewusst, dass Ungleichgewichte zwischen Warenangebot und Geldumlauf keiner Ökonomie guttun, doch in den Fallstricken der „Planwirtschaft“ erweist es sich als unmöglich, beide Größen in Einklang zu bringen. Einen korrigierenden, freien Wirtschaftsprozess gibt es nicht. Vielmehr sorgen das „Primat der Politik“ und die staatliche Stützung von Betrieben, deren Insolvenz es nicht geben darf, für einen unkalkulierbaren Finanzzufluss. Weder Qualität noch Menge der Güter können mithalten. Das fördert das Horten von Geld in Haushalten, die Entstehung von Korruption und Schwarzmarkt.
Mit dem Antritt Erich Honeckers 1971 und seiner forcierten Sozial- und Konsumpolitik gewinnt das Paradigma stabiler Preise als Gewähr für Ruhe im Land geradezu sakrosankten Charakter. Dennoch werden manche Waren teurer, was zwar den Kaufkraftüberhang abschöpft, aber das ursprüngliche Versprechen aushöhlt. Dazu kommt die Existenz der Westmark als starker Nebenwährung, mit der DDR-Bürger ab 1974 in Intershops einkaufen können. Die entstehende Zweiklassengesellschaft nimmt die SED in Kauf.
Während der Geldumlauf gegenüber dem Wirtschaftsergebnis in den siebziger und frühen achtziger Jahren immerhin begrenzt werden kann, wächst er in den späten achtziger Jahren erneut rasant. Der Schwarzmarktkurs gegenüber der Westmark erreicht Rekordniveau, das Land ächzt unter einem Schuldenberg und der Verbrauch an Gütern übertrifft die schwachen Produktionsmöglichkeiten. All das ist Ausdruck der gefährdeten Währungsstabilität, wie sogar die SED intern einräumen muss. Die Menschen vertrauen der Ostmark längst nicht mehr.
Bundesregierung am Zug
Um diese Einsicht kommt nach dem Mauerfall auch die neue DDR-Regierung um Hans Modrow nicht herum, die sich als Getriebene erweist. Der Teufelskreis aus Abwanderung gen Westen, Produktionsrückstand, verschärftem Mangel und neuem Exodus ist nur eines von vielen Problemen. Der Zufluss von D-Mark, etwa durch Pendler-Einkommen, vergrößert die Kluft zwischen Nachfrage und Warenangebot weiter. Modrow bittet die Bundesregierung um Hilfe. Die bekommt den Eindruck, die DDR stehe kurz vor dem Kollaps, und sieht sich zum Handeln veranlasst.
Ein damals knapp 45-jähriger Referatsleiter des Bundesfinanzministeriums legt im Januar 1990 per Vermerk dar, in welchem Ordnungsrahmen die Einheitswährung möglich wäre. Jahre später macht er auf ganz andere Weise Schlagzeilen. Er heißt Thilo Sarrazin.
Im Frühjahr 1990 stehen nach langen Verhandlungen zwischen Modrow, DDR-Staatssekretär Günther Krause und Bundeskanzler Helmut Kohl Modalitäten für eine Währungsunion fest. Sie sind keine perfekte Lösung, sondern ein Kompromiss. So will die Bundesregierung ihren Haushalt nicht überstrapazieren und den Geldumlauf begrenzen, andererseits aber sollen Einbußen für die DDR-Bevölkerung vertretbar sein. Gleichwohl warnen Ökonomen, die Umstellung von DDR-Guthaben im 1:1-Wechselkurs käme einem wirtschaftlichen Harakiri gleich.
Dennoch sollen Löhne und Gehälter in diesem Verhältnis umgerechnet werden, das Rentensystem möchte man mit Garantie der bisherigen Rentenhöhe anpassen. Für andere Verbindlichkeiten gilt ein 2:1-Kurs, sodass 2.000 Ostmark nun noch 1.000 Westmark ergeben.
Für altersgerecht gestaffelte Beträge von 2.000, 4.000 und 6.000 Ostmark bleibt es bei Privatpersonen aber beim 1:1. Die Folge: Allein in Dresden werden 1990 kurzerhand 200.000 neue Konten für Familienmitglieder vom Baby bis zum Greis eröffnet, um durch geschickte Verteilung des Sparguthabens maximal vom 1:1-Kurs zu profitieren.
Der brutale Wurf ins kalte Wasser
Am 18. Mai 1990 wird der Staatsvertrag von Bundesfinanzminister Theo Waigel und seinem ostdeutschen Amtskollegen Walter Romberg unterschrieben. Die Umstellung des Zahlungsmittels am 1. Juli 1990 läuft ohne Komplikationen. Dabei ist sie ein logistischer Kraftakt, denn rund 28 Milliarden Westmark und allein 750 Tonnen Münzen werden in die DDR geliefert. Die Polizei sichert die Transporte mit Blaulicht und Maschinenpistolen. Vor Läden und Banken bilden sich Schlangen.
Dennoch bleibt ein Kaufrausch aus, die Menschen in der DDR verhalten sich meist besonnen. Eine hohe Inflation entsteht nicht, wohl auch, weil einige Bürger die Möglichkeit der langfristigen Geldanlage entdecken. Das entzieht manche Westmark dem Wirtschaftskreislauf.
Viel deutet darauf hin, dass sich die Realeinkommen in der DDR kurzfristig verbessern – bei denjenigen, die in Beschäftigung stehen. Doch für die Wirtschaft des Ostens bedeutet die Währungsunion den brutalen Wurf ins kalte Wasser, den Fachleute prognostiziert hatten. Die DDR-Regierung schätzt kaum ein Viertel der Ostbetriebe als rentabel ein und selbst das ist noch eine optimistische Rechnung.
Schon im Juni 1990 melden sich etwa 100.000 Menschen arbeitslos, die industrielle Produktion bricht ein. Dies ist einem Mangel an Arbeitskräften, Material und Vorleistungen geschuldet, aber auch dem westlichen Konsumgüterangebot, das die DDR-Konkurrenz aussticht. Im August 1990 erreicht die industrielle Leistung noch die Hälfte ihres Vorjahresniveaus, Kurzarbeiterregelungen übertünchen die sich ausbreitende Erwerbslosigkeit. Die Wegzüge aus der DDR steigen im Sommer 1990 erneut an, womit die Bundesrepublik eines ihrer Ziele, den Stopp der Abwanderung, zunächst verfehlt.
„Ein höchst radikaler Akt“
Letztlich liegen mehrere Ziele bei der Währungsunion im Konflikt: Stabilität der D-Mark, Konkurrenzfähigkeit ostdeutscher Unternehmen, begrenzte Belastung des Bundeshaushalts und Akzeptanz der Bevölkerung für den Schritt. Alles ist nicht zu haben. Abstriche macht die Bundesregierung bei den ersten Punkten.
Bleibt die Frage: Hätte es eine Alternative gegeben? Die gibt es im Lauf der Geschichte immer, zumal sie stark von Zufällen und Kontingenzen abhängt. Doch Wissenschaftler neigen oft dazu, die Schocktherapie als notwendig anzusehen – zumindest im Kern.
Dennoch ist Kritik berechtigt. Hilfen für Unternehmen hätten eher und gezielter platziert werden müssen, Eigentumsfragen wurden nicht immer sauber geklärt, und die Umrechnung von Kreditposten früherer DDR-Betriebe machte für diese eine Belastung durch das Phänomen vermeintlicher Altschulden aus. Ignoriert wurde, dass es sich unter den Bedingungen der „Planwirtschaft“ bei Krediten um Buchungen handelte, die mit einem Kredit im Sinne des Kapitalismus nichts zu tun hatten. Denn aus ihnen ergab sich kein Anspruch auf Vermögenswerte des Schuldners, wie sie ein Gläubiger zur Sicherheit normalerweise fordert.
Zur Wirklichkeit gehört aber auch, dass die Umwandlung einer sowjetisch geprägten „Planwirtschaft“ kaum ohne Fehler zu bewältigen war. Das entschuldigt nicht alles, kann aber die Fakten in eine vernünftige Proportion stellen. Anders als 1948 handelte es sich bei der monetären Aufgabe zwar um die Umstellung in einem überschaubaren Gebiet, das aber realwirtschaftlich unter dem jahrzehntelangen Verschleiß der eigenen Substanz litt.
Demgegenüber waren Maschinen, Anlagen und Fabriken selbst 1945 oft intakt und einsatzfähig, anders als es das falsche Narrativ kompletter Zerstörung suggeriert. So fiel der Anschluss damals ungleich leichter – auch das ist eine banale Wahrheit um den Mythos des „Wirtschaftswunders.“
In einer Schrift von 1964 heißt es, eine solche Transformation könne nur Erfolg haben, wenn die Veränderungen in „einem höchst radikalen Akt“ vollzogen werden. Das mag nicht ganz verkehrt sein – und doch hätte geschickteres Handeln den Aufprall wohl sanfter machen können. Vielleicht.
Das letzte, verrückte Jahr der DDR und der Weg zur Einheit (3): Streiks, Sozialprotest und der steinige Weg der aufgeholten Modernisierung
Machtgefälle im Kopf. Die neue „Leipziger Zeitung“ Nr. 80 ist da: Was zählt …
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Bereits erschienene Zeitreisen auf L-IZ.de
Der Leipziger Osten im Jahr 1886
Der Leipziger Westen im Jahr 1886
Leipzig am Vorabend des I. Weltkrieges 1914
Einblicke in die Jüdische Geschichte Leipzigs 1880 bis 1938
Der I. Weltkrieg – Leipzig im letzten Kriegsjahr 1918
Leipzig in den „Goldenen 20ern“
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