Die „Marienbader Elegie“, Goethes bedeutendstes lyrisches Alterswerk ist jedem, der im Literaturunterricht aufgepasst hat, wenigstens dem Namen nach noch in Erinnerung. Die 23 Strophen schrieb der Dichter nach seiner auf wenige Sommerwochen der Jahre 1821 bis 23 begrenzten Liaison mit Ulrike von Levetzow nieder. Diese, „eine Leipzigerin von altpreußischer Herkunft“, wie sie sich selbst bezeichnete, 1823 erst 19 Jahre alt, schließt damit den Reigen der Goethe-Freundinnen, den Käthchen Schönkopf, ebenfalls eine gebürtige Leipzigerin, einst eröffnete.

Ulrike, geboren am 4. Februar 1804 in Leipzig und erzogen in einem französischen Mädchenpensionat in Straßburg, kannte Goethe und sein Werk gar nicht, als sie ihm 1821 in Marienbad im Palais ihres zukünftigen zweiten Stiefvaters begegnete. Sie sahen sich bald öfter und es entwickelte sich eine tiefe Sympathie, zumal Ulrike, seit frühester Kindheit auf ihren Großvater fixiert, nun auch für Goethe bald ein „liebes Töchterchen“ wurde.

Goethe erklärte ihr viel, erzählte ihr von seinen Dichtungen, schenkte ihr sein soeben aus Weimar eingetroffenes Buch „Wilhelm Meisters Wanderjahre oder die Entsagenden. Erster Teil“. Als Ulrike beim Lesen merkte, dass da noch was Früheres gewesen sein müsste, erzählte ihr Goethe den Inhalt der „Lehrjahre“. Die Levetzow bedauerte später, dass sie sich nicht Goethes Erzählung aufgeschrieben habe.

Großes Aufsehen erregten beide, als sie ganz vertraut miteinander auf der Marienbader Kolonnade spazieren gingen. Die Folge: Man redete und schrieb Briefe darüber, die Kunde drang bis nach Weimar und war hier wie dort bald Stadtgespräch. Aus dem Ärgernis für Ulrike erwuchs für uns Nachgeborene Gutes: Ulrike beschrieb zur Klarstellung ihrer Beziehung zu Goethe einige Blatt Papier mit autobiografischen Aufzeichnungen. Eine Art Poesiealbum gibt Aufschluss, dass Ulrike etwa 15 Verehrer hatte, aber zeitlebens ehe- und kinderlos blieb.

Baronin Ulrike v. Levetzow, nach dem Tod ihrer Mutter im Jahre 1868 nun Gutsherrin auf Trebivlice, zeigt sich bei Antritt ihres Erbes aus dem Nachlass ihres Stiefvaters II, des Grafen Franz v. Klebelsberg, sehr großzügig gegenüber dem Nationalmuseum Prag und der Kirche.

Ihre Ehelosigkeit begründend, erzählt sie Ludwig Stettenheim am 19. Oktober 1897 von einem Gespräch mit ihrer Mutter, als diese sie einmal fragte: „Du hättest damals doch den Goethe heiraten sollen“; darauf antwortet Ulrike ihr: „Ja, wenn man Goethe gekannt und seiner Belehrung und Unterhaltung sich erfreut hat, dann kann einem auch so leicht und bald kein anderer Mann wieder gefallen.“

Ulrike von Levetzow durchlebte mit ihren 15.592 Lebenstagen fast das gesamte 19. Jahrhundert – bis etwa 1823 (abgesehen vom Aufenthalt in Straßburg) in Deutschland, danach bis 1899 in Böhmen, in Trebivlice. Betrachtet man das Ganze aus ihrer Sicht und respektiert diese Frau als eigenständige historische Persönlichkeit, so ist ihre Begegnung mit dem Dichterfürsten auch nur eine Episode, allerdings eine ebenso nachhaltige wie im Leben des J. W. v. Goethe, wenn auch auf andere Art.

So wie sich Johann Wolfgang v. Goethe bis in seine letzten Tage an seinen Marienbader Erinnerungen still erfreut, bewahrt Ulrike ihre Erinnerungen bis zuletzt und dazu eine lebenslange Achtung vor Goethe. Diese drückt sich aus in der Abwehr jeglicher unseriöser rufschädigender Neugier auf ihre kurze Beziehung. Zugleich unterstützt Ulrike von Levetzow materiell und ideell das öffentliche Andenken an Goethe. Sie starb am 13. November 1899 in Treblivlice, verbrachte die meiste Zeit ihres Lebens dort, wo sie gestorben ist und gehört ebenso zum deutschen wie zum tschechischen Kulturerbe!

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Vom Autor ist das Buch: „Goethes Fräulein in Böhmen Ulrike von Levetzow. Eine Leipzigerin von altpreußischer Herkunft“ erschienen. Sax-Verlag, Markkleeberg, 176 Seiten, 25 Abbildungen, ISBN 978-3-86729-050-0

 

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