Am Brühl wird gebuddelt. Die sächsischen Archäologen haben hier ihre Arbeit aufgenommen und erkunden wieder einmal ein richtig altes Stück Leipziger Stadtgeschichte. Denn zwischen dem Gebäudekomplex mit dem Forum am Brühl und dem Harmelin-Haus in der Nikolaistraße soll ein weiterer Hotelneubau entstehen, mit Tiefgarage. Die jahrzehntealte Baulücke verschwindet und auch für das 3.000 Quadratmeter große Wandbild von Michael Fischer-Art läuten die Glocken.

Gemalt hat es der Künstler, der lange Zeit auch sein Atelier im „Forum am Brühl“ hatte, aus Anlass des 20. Jahrestages der Friedlichen Revolution. Sein im Comic-Stil gemaltes Bild des Mauerfalls ist längst zu einer der Ikonen im Leipziger Stadtbild geworden, auch wenn es seinerzeit eigentlich nur entstand, um der von Autos zugeparkten Baulücke mehr Leben einzuhauchen und dabei auch ein bewegendes Zeitthema ins Bild zu setzen.

Das Bild hat Ute Elisabeth Gabelmann, die bekannteste Leipziger Piratin, so berührt, dass sie mit einem Antrag im Stadtrat versucht, das große Wandbild zu retten: „Michael Fischer-Art ist zweifelsohne eine der bekanntesten und international renommiertesten Leipziger Künstler. Das von ihm geschaffene Wandbild prägt seit zehn Jahren das Bild der Innenstadt entscheidend mit, ist riesiger Touristenmagnet und Sendbote für eines der wichtigsten Ereignisse in der Stadtgeschichte Leipzigs“, stellt sie in ihrem Antrag fest.

„Aufgrund der geplanten Bebauung der jetzigen Brachfläche droht das Wandgemälde zu verschwinden. Offenbar haben die Bauherren weder eine Sicherung des Gemäldes noch dessen Verlagerung angedacht. Der Künstler wurde von diesen Fakten überrascht. Bereits häufig in den letzten Jahren mussten vertraute Bestandteile des öffentlichen Raumes – seien es Gebäude oder andere Landmarken – der üblichen Investorenbebauung weichen.“

Ihr Standpunkt: „Ein Investor trägt mit seinen Entscheidungen auch Verantwortung für das Stadtentwicklungs-Geschehen in Leipzig und sollte hier mit Augenmaß und zum Wohle aller handeln. Die Vernichtung von kulturellen Werten, von künstlerischem Schaffen und identitätsstiftenden Kunstwerken kann nicht im Sinne der Stadt Leipzig sein.“

Und so beantragte sie: „Der Oberbürgermeister wird beauftragt, im Einvernehmen mit Baudezernat, Kulturdezernat, dem ausführenden Künstler, dem Beratungsgremium ,Kunst am Bau‘ sowie dem Eigentümer eine Lösung zur dauerhaften Sicherung des Wandbildes zwischen Brühl und Richard-Wagner-Straße herbeizuführen. Bis zu einer endgültigen Lösung darf das Wandgemälde bei beginnenden Bauarbeiten weder beschädigt noch verändert werden; es dürfen keine vollendeten Tatsachen geschaffen werden, die diesem Antrag entgegenstehen.“

Aber wie sichert man ein Wandbild, das auf Hauswänden aufgetragen wurde, die zwangsläufig hinter dem Hotelneubau verschwinden?

Ums Verschwinden geht es natürlich auch bei den archäologischen Arbeiten an historischem Ort. Der Brühl gehört zu den ältesten Leipziger Straßen. Ausgrabungen an der Baustelle der „Höfe am Brühl“ brachten teilweise Bauschichten aus der Gründungsphase Leipzigs um das Jahr 1000 zum Vorschein. Erstmals urkundlich erwähnt wurde der Brühl 1420. Er war über Jahrhunderte ein Ort mit Gasthäusern, in denen vor allem die Fuhrleute zu den Leipziger Messen abstiegen. Das betrifft auch den Abschnitt, an dem jetzt die Archäologen versuchen, in die Tiefe vorzudringen.

Für das ausgehende 18. Jahrhundert verzeichnet die Stadtchronik von Friedrich Gottlob Leonhardi an dieser Stelle zum Beispiel den Gasthof „Grüner Kamm“ und den Gasthof „Hufeisen“, der gleich sinnigerweise nach den hauptsächlichen Gästen benannt wurde, die dort abstiegen: den Fuhrleuten. Leonhardi schrieb dazu: „Dieser ganze Teil des Brühls ist sowohl außer den Messen, als auch in den Messen beständig mit Frachtwagen angefüllt, welche hier Kaufmannsgüter ausladen. Alle diese Häuser haben Seitengebäude und lange bis an die Stadtmauer reichende Höfe, wovon die meisten mit Ausgangstüren in den Zwinger versehen sind.“

Der erwähnte Zwinger ist der Grimmaische Zwinger, der sich hinter der Stadtmauer vom Grimmaischen Tor bis zum Halleschen Tor erstreckte. Und auch hier ist Spannendes zu erwarten, wenn die Archäologen auch die Südseite der Brachfläche erkunden sollen. Leonhardi: „Vom Hintergebäude des Hufeisens an ist der leere Platz bis an das Hallesche Tor an die Besitzer der Vordergebäude auf dem Brühl verliehen worden, welche zum Teil schöne Hintergebäude darauf aufgeführt haben, und zum Teil im Jahre 1799 aufführen werden.“

Denn nördlich des Grundstücks gab es die Richard-Wagner-Straße damals ja noch nicht. Als Parkstraße wurde sie erst nach dem Niederlegen der Stadtmauer im frühen 19. Jahrhundert angelegt. Ihren Namen bekam sie 1913 zum 100. Geburtstag des Komponisten.

Aber ab da änderte sich auch der Charakter des Brühls, der sich im 19. Jahrhundert zum internationalen Handelsplatz für Pelze entwickelte.

Davon erzählt auch noch das Adressbuch der Stadt aus dem Jahr 1929, da waren in den Häusern an dieser Stelle des Brühls lauter Rauchwarenhändler auf fast allen Etagen registriert. Sie hatten so exotische Namen wie Golbin & Pinn, Calmanowitz, Kremnitzer, Eitingon oder Wachtel & Eskreis. Die Namen verraten es schon: Es waren meist jüdische Rauchwarenhändler, die schon bald von den Nationalsozialisten vertrieben oder ermordet werden würden. Die Keller, die jetzt am Brühl freigelegt wurden, gehören zu dieser historischen Schicht. Spannend wird es, wenn die Archäologen auch noch Befunde aus den Bauepochen davor freilegen können.

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