LeserclubLeipzig und sein Nahverkehr. Wie alt ist das Thema eigentlich? Stillschweigend haben die Leipziger Verkehrsbetriebe in diesem Jahr 120 Jahre „Elektrische“ gefeiert. Aber mit Strom ging es ja nicht los, sondern mit Pferden. Am 18. Mai 1872 nahm die Leipziger Pferdeeisenbahn (LPE) ihren Betrieb auf. Aber auch das war nicht der Beginn des Leipziger Nahverkehrs. Der war schon zwölf Jahre früher.
Alles kommt zu seiner Zeit. Wenn eine Stadt wächst, dann ergibt sich ziemlich bald die Notwendigkeit, auch ein funktionierendes Verkehrssystem auf die Beine zu stellen. Und 1860, da hatte Leipzig gerade – für damalige Verhältnisse sogar schnell – seine Bevölkerungszahl gegenüber dem Jahr 1820 verdoppelt – von 40.000 auf 80.000. Bei solchen Zahlen sprach man damals schon von Großstadt. Und zumindest einer in der Stadt ahnte, dass es dabei nicht bleiben würde.
Ein Altbekannter: Carl Erdmann Heine. Der war schon seit den 1840er Jahren im Westen der alten kleinen Stadt aktiv und stampfte aus dem alten Garten- und Auengebiet westlich der Stadt gleich mehrere neue Wohnviertel. Die Westvorstadt entstand und das Waldstraßenviertel begann zu wachsen. Und Heine strebte schon längst weiter, baute Straßen und Brücken.
Wenn er denn bauen durfte. Denn immer wieder legte ihm der Leipziger Rat Steine in den Weg. Das ging ihm zu schnell. Der Vortrieb der Weststraße genauso wie der Bau der Plagwitzer Brücke.
Dabei war Heine längst auch in Plagwitz aktiv und hatte die Pläne für ein Industriequartier im Kopf, wie es sich der Leipziger Rat nicht träumen ließ.
Der lebte mental noch in einem anderen Zeitalter. Das normale Fußvolk war eh – wie es nun mal hieß – zu Fuß unterwegs. Wer schneller fahren wollte, nahm eine Droschke. 100 Fiaker – zweispännige Droschken – waren in Leipzig konzessioniert, dazu 90 Einspänner. Das klingt viel. Es muss fortwährend geklappert haben auf Leipzigs Straßen. Gebraucht wurden die vielen Kutschen. Auch weil einige der seit 1836 gebauten Bahnhöfe meilenweit weg von der alten Stadt lagen – der Bayerische Bahnhof zum Beispiel, 1842 eröffnet, oder der Berliner Bahnhof, 1859 eröffnet. 1873 würde auch Plagwitz endlich einen Bahnhof bekommen.
Aber das war 1860 noch Zukunftsmusik. Also suchte sich der umtriebige Carl Erdmann Heine einen Partner und fand ihn im Lohnkutscher Heinrich Heuer. Der hatte 1860 eine Konzession zum Betrieb zweier Omnibus-Linien erhalten. Pferde-Omnibuslinien natürlich. Das allein reichte noch nicht, um so einen Betrieb auf die Beine zu stellen. Also holte Heine auch noch den Kaufmann Eduard Schneider ins Boot und zu dritt gründeten sie die „Omnibus-Gesellschaft Heuer“. Vor allem Heine und Schneider steuerten das Geld bei, um Fahrzeuge, Pferde, Stallungen und Remisen anzukaufen. So schnell geht das mit dem Geldausgeben. Aber Heine muss sich sicher gewesen sein, dass es funktioniert.
Gefahren wurde mit zweispännigen Wagen, die etwa 20 Personen aufnehmen konnten. Aber auch damals schon musste ein regelmäßiger Betrieb aufgebaut werden, damit sich die Leipziger dran gewöhnten. Man verkehrte morgens 7 bis 11 Uhr und nachmittags 13 bis 21 Uhr. Immer stündlich. Das ließ sich gut merken. Und weil man mit so einem Gefährt nicht allzu schnell war, konnte auch außerhalb der Haltestellen noch ausgestiegen werden. Die Fahrt kostete 15 Pfennige. Das konnten sich auch Wenigerbetuchte leisten.
Im ersten Geschäftsjahr wurden auf dann sogar schon drei Linien 900.000 Personen befördert. Schon im nächsten Jahr waren es mehr als 1 Million und es mussten Wagen und Pferde zugekauft werden, um den Betrieb zu erweitern. 1863 fuhr man sogar schon mit drei 40-Personen-Wagen, zwölf Wagen fassten 28 Mitfahrende, weitere zehn immerhin 22.
Aber wo fuhren sie denn?
Eine Route begann an der „Grünen Schenke“ in Reudnitz – erst vor wenigen Jahren großes Thema in Leipzig, weil der Abriss drohte. Sie ist verschwunden. Wer den Ort sucht, findet ihn im Wohnblock Breite Straße/Wurzner Straße. Von dort rollten die Pferde-Omnibusse der Plagwitzer Linie los Richtung Westen über die Dresdner Straße, die Grimmaische Straße und rein in die Stadt zur Zentralstation. Die war am Neumarkt. Von dort aus ging es über Naschmarkt, Markt und Thomasgässchen zur Zentralstraße und über Elster- und Weststraße (die heutige Friedrich-Ebert-Straße) auf den Damm Richtung Plagwitz zur Kuhturmstraße und durch das alte Lindenau hinauf zur Karl-Heine-Straße, die damals noch nicht so hieß, sondern Leipziger Straße.
So kam man damals mit dem Omnibus nach Plagwitz.
Die „Grüne Schenke“ ist verschwunden. Aber wo sieht man noch etwas von dieser Gesellschaft? Gleise im Pflaster können es ja nicht sein. Ein paar historische Pferdeäpfel auch nicht. Aber irgendwo muss es doch eine Verwaltung gegeben haben – mit Remisen und Stallungen.
Es gibt einen Punkt, an dem sich genau das erhalten hat. Davon berichtete Bernd Sikora in dem 2012 erschienenen Bildband „Das Leipziger Waldstraßenviertel“.
Auf einem frisch aufgeschütteten Teilstück der vorderen Waldstraße hatte Heine ein Grundstück an der Straße Nr. III erworben. Die lag auf einem ehemaligen Mäander der Weißen Elster, die 1855 begradigt worden war und seitdem als Alte Elster westlich des Waldstraßenviertels floss – ungefähr im Verlauf der Friedrich-Ebert-Straße. Zunächst hatte Heine auf seinem Grundstück zwei Wohngebäude geplant. Aber der Bauantrag wurde abgelehnt. Der nächste Streit für Heine. Und so entstand hier 1860 der Sitz der Omnibusgesellschaft.
Ein Großteil der Gebäude ist verschwunden, aber den Ostflügel der Anlage sieht man heute noch. Er ist unsaniert und von grünem Blattwerk überwuchert. Aber man kann sich noch vorstellen, wie hier Wagen auf den Hof rollten und die Pferde versorgt wurden.
Sogar Gleise liegen davor. Aber die gehören zur modernen Straßenbahn. Sie haben mit der „Omnibusgesellschaft Heuer“ nichts zu tun, auch wenn sich so die Zeiten verbinden. Fehlte nur noch Pferdewiehern hinterm Tor.
Aber wie das so ist, wenn eine Idee Erfolg hat: Es kommt ein Zweiter, der sie nachmacht. Die „Omnibusgesellschaft Heuer“ bekam Konkurrenz. Die Fahrgastzahlen sanken. Das Ganze rechnete sich nicht mehr. Das erinnert schon sehr an die modernen Träume von einer Liberalisierung der Märkte. ÖPNV funktioniert aber nicht wirklich unter Konkurrenzbedingungen.
1868 wurde die Omnibusgesellschaft aufgelöst.
Und vier Jahre später brach sowieso ein neues Zeitalter an, als ein englischer Unternehmer die erste Leipziger Pferdebahn plante. Die nicht ganz zufällig ähnliche Routen bediente.
Wer will, kann also ins Waldstraßenviertel pilgern und in der Fregestraße ein Stück früher Leipziger Nahverkehrsgeschichte sehen. Sehr verschlossen. Sehr grün. Aber authentisch.
Buchtipps:
Ulrich Krüger „Carl Heine. Der Mann, der Leipzig zur Industriestadt machte“, Sutton Verlag, Erfurt 2008
Bernd Sikora, Peter Franke „Das Leipziger Waldstraßenviertel“, Edition Leipzig, Leipzig 2012
Es gibt 2 Kommentare
Zu DDR-Zeiten war dort sowas wie eine Schlosserei.
Ich mag solche Rückblicke. Da wird einem doch erst so richtig klar, wie leicht wir es heute haben. Nicht immer besser, aber leichter.