Das Jahr 2015 wird spannend. Dann erscheint die geplante neue dreibändige Stadtgeschichte, in der zumindest in einigen Kapiteln so einige alte Mythen hinterfragt werden. Es gibt eine große Ausstellung zur Stadtgeschichte im Stadtgeschichtlichen Museum. Und es werden wohl einige schöne Märchen über die Frühzeit der Stadtentwicklung korrigiert. Die Ausgrabungen an der Hainspitze spielen dabei eine Rolle.
Seit dem Frühjahr sind die Landesarchäologen hier an der Arbeit, dürfen das Gelände noch einmal gründlich durchackern, bevor hier das neue Kaufhaus gebaut wird. Eigentlich wollten sie schon Mitte Oktober fertig sein. Doch die Bauarbeiten haben sich verzögert, so dass ein wichtiges Stück mitten im Gelände erst Anfang November freigeräumt wird. Ein Stück, das durchaus noch Interessantes bieten kann. Denn mit dem Gelände zwischen Hainstraße und Großer Fleischergasse sind die Archäologen dem ursprünglichen Stadtkern um das Jahr der Ersterwähnung 1015 so nah wie seit 1950 nicht mehr.
1950 bis 1954 hatten Friedrich Behn, Gerhard Mildenberger und der Kunsthistoriker Herbert Küas Gelegenheit, unter den beräumten Trümmern der im Krieg zerstörten Matthäikirche zu graben. Sie fanden nicht nur Teile des Franziskanerklosters, das auf der ehemaligen landesherrlichen Burg angelegt worden war, sie fanden auch steinerne Teile der Burganlagen und wohl auch Reste der ursprünglichen Hauptburg, die wohl noch nicht aus Stein erbaut worden war. Sondern wohl noch gänzlich aus Holz, Lehm und Stroh, den Materialien, die man vor Ort fand.
Dass steinerne Bergfriede dieser Ursprungsburg, wie sie 1015 beim Tod Bischof Eids in “urbe libzi” bestand, zuzuordnen seien, bezweifelt Dr. Thomas Westphalen, Leiter der Archäologischen Denkmalpflege beim Landesamt für Archäologie. Seit 1993 ist er für Grabungen im Leipziger Stadtkern zuständig. Damals war es der Innenhof von Barthels Hof, der Überraschendes zu Tage brachte.
Mittlerweile haben weitere Puzzle-Teile die frühe Entwicklung Leipzigs deutlicher gemacht und auch Licht in jene Zeiten gebracht, für die es eben keine oder kaum Urkunden gibt. Der von Thietmar von Merseburg erwähnte Tod von Bischof Eid in “urbe libzi” belegt zwar, dass es einen Ort des Namens schon gab. Und dass die Keimzelle der späteren Stadt Leipzig auf dem Sandsporn des späteren Matthäikirchhofs lag, scheint auch sicher. Aber fast alles andere, was bislang durch die unterschiedlichen Bücher zur Stadtgeschichte geistert, ist zumeist freie Interpretation. Auch die so wuchtig wirkende Burg, die nach den Vorgaben von Herbert Küas gezeichnet wurde.
Die Grundmaße von 150 mal 90 Metern können stimmen. Doch welche Gebäude in welcher Verteilung darauf standen, ist zumindest in Teilen durchaus offen. Gegraben wurde 1950 vor allem auf dem Nordareal der gemutmaßten Burg unterhalb der abgetragenen Matthäikirche. Das ist alles gut dokumentiert. Den Mittelteil des Areals durfte Küas in den 1970 nur einmal kurz besuchen, als die Fundamente für das 1976 errichtete Stasi-Gebäude gelegt wurden. Er durfte weder graben lassen noch Aufzeichnungen machen. Was dann also als “Rekonstruktion der Burg Libzi” in einige Nachschlagewerke kam, ist eine durchaus freie Interpretation.
Was freilich auch auf einige andere Ur-Mythen Leipzigs zutrifft wie zum Beispiel die Geschichte von der Gründung des Ortes an der Kreuzung von Via Regia und Via Imperii oder die Anlage des “ältesten Marktplatzes” der Stadt direkt an dieser Kreuzung, später Eselsmarkt genannt, heute Wagnerplatz. Was ja zu Vermutungen hätte anregen können, dass unterm Richard-Wagner-Platz archäologisch Spannendes zu finden wäre. “Wir haben den Platz vor dem Umbau eingehend sondiert”, sagt Westphalen. “Gefunden haben wir nichts.”
Was nicht heißt, dass nichts zu finden wäre – man muss wohl nur woanders suchen. Selbst das heute wahrnehmbare mittelalterliche Straßenraster ist keine direkte Fortsetzung der ursprünglichen Raumstruktur. Brühl und Hainstraße, die man heute als älteste Leipziger Straßen betrachtet, existierten um 1015 noch nicht.
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Hingegen bestätigen die Ausgrabungen an der Hainspitze wohl einige Vermutungen, die Thomas Westphalen im Zusammenhang mit der ursprünglichen Burg angestellt hat. Zur Burg auf dem Sandsporn, der sich hier zwischen Pleiße, Elster und Parthe ins Auenland hineinschob, gehörte auch ein vorgelagerter Graben, der an der Innenseite noch von einem Holz-Erde-Wall geschützt war. Den Graben vermutete Westphalen im Verlauf der Großen Fleischergasse. “Seit einem Monat sind wir uns nun sicher, dass wir ihn wohl gefunden haben”, sagt der Ausgrabungsleiter. Er nimmt nicht ganz den Verlauf, den die Archäologen vermutet haben – mitten im Gelände der Hainspitze knickt er Richtung Hainstraße ab. Was dann aber auch bedeutet, dass die Hainstraße zur Zeit der ersten Burg noch nicht existierte.
Drei bis vier Meter tief ist das gefundene Grabenstück, sechs Meter breit. Und auf der Grabensohle fanden die Archäologen allerlei zerbrochenes Tongeschirr aus dem 11./12. Jahrhundert.
Auf dem Ausgrabungsgelände fanden sie auch noch die Reste von drei Fachwerkhäusern – zwei an der Großen Fleischergasse, eins an der Hainstraße. Letzteres muss einem Hausbrand zum Opfer gefallen sein, denn es fanden sich nicht nur verkohlte Balken und gebrannte Lehmklumpen, auf denen noch das Strohmuster sichtbar war. Man legte auch noch einen Abschnitt frei, auf dem der Hausrat so stand, wie er beim Brand des Hauses hinterlassen wurde. Töpfe, Deckel, Reste einer Wasserflasche, ein Tonkrug und ein Spielwürfel.
Nun kann man noch gespannt sein, was die verbleibende Fläche im Grabungsgelände in sich birgt.
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