Die kleinen Städtchen rund um Leipzig haben manchmal mehr zu bieten als das, was man beim Durcheilen so wahrnimmt. Vor zwei Jahren hat der Sax Verlag schon einen Kalender herausgebracht, in dem die Verlegerhäuser von Markkleeberg zu finden waren. Denn natürlich suchten viele in Leipzig tätige Verleger nach der harten, lauten Arbeit in der Buchstadt im nahen Markkleeberg Ruhe und Erholung. Musikern geht es nicht anders.

Für den Verein Kulturgeschichte Markkleeberg hat sich diesmal Bernd Mühling auf den Weg gemacht, um die Adressen bekannter Musikerinnen und Musiker in Markkleeberg aufzuspüren, sie bei schönstem Sonnenschein zu fotografieren und dazu kleine, informative Texte zu schreiben, die den Kalenderblattbetrachtern erzählen, wer die einst hier wohnende Persönlichkeit war.

Angefangen mit einem, der auch in Leipzig gerade die verdiente Aufmerksamkeit gefunden hat – mit einem Stolperstein vor dem Opernhaus am Augustusplatz: Gustav Brecher. Bis 1933 war er Chef der Leipziger Oper, hat das damalige Neue Theater „an die Spitze der deutschen Musiktheater geführt“.

Aber dann wurde er von den aufstrebenden Nationalsozialisten aus dem Amt gedrängt. Ein paar Monate lebte er noch mit seiner Frau Gertrud in der Markkleeberger Parkstraße 2, wo im Frühjahr ebenfalls zwei Stolpersteine verlegt wurden.

Seine Flucht aus Deutschland ging tragisch aus. Eine ähnliche Geschichte erzählt das Dezember-Blatt, das die Geschichte von Barnet Licht erzählt, nach dem in Leipzig auch ein Platz benannt ist. In Markkleeberg hatte er Auftritte mit seinen berühmten Volkschören.

Eigentlich in Gautzsch und Oetzsch, denn Markkleeberg gibt es ja erst seit 1934. Als Auftrittsort ist beispielhaft der Eingang zum Rathaussaal abgebildet. 1933 verboten die Nazis die Lichtschen Chöre. Als Jude wurde Barnet Licht mit seiner Frau immer mehr ins Abseits gedrängt, musste ab 1939 in diversen „Judenhäusern“ leben.

Noch im Februar 1945 wurde er mit seiner Frau Gertrud ins Ghetto Theresienstadt deportiert, überlebte aber und konnte nach Leipzig zurückkehren, wo er seinen Chor wiederbelebte.

Nicht alles bekam Bernd Mühling in den kurzen Texten unter. Aber der Spaziergang durch Markkleeberg, den dieser Kalender ja abbildet, macht sehr nachdenklich.

Mal wird es eher besinnlich, etwa wenn man im Februar Gustav Brand kennenlernt, der sich um die Kirchenmusik in Markkleeberg verdient gemacht hat, oder wenn man im Waldweg 2 das Sommerhäuschen sieht, in dem einst der Leipziger Thomaskantor Günther Ramin seine Erholung suchte. Das Häuschen liegt im Wolfswinkel und gehört damit eigentlich zu Leipzig. Aber wer es nicht weiß, fühlt sich hier noch ganz in Markkleeberg.

Im April lernt man die einst gefeierte Oratorien-Sängerin Elly Hartig-Correns kennen und im Mai den Saxophonisten, Gewandhausmusiker und Hochschullehrer Heinz Höfer.

Der Juni gehört dem einst von Gustav Brecher geschätzten Dirigenten Heinrich Creutzburg und der Juli dem Posaunisten Serafin Alschausky, der während seines sechsjährigen Engagements am Leipziger Gewandhaus in der Gautzscher Oststraße wohnte und später seinen Ruhm in den USA suchte – und nicht fand. Doch bekannt ist er trotzdem noch, auch weil er eine besondere Posaunenform erfand, die er sich patentieren ließ und die im Vogtland gefertigt wurde.

Es ist also wie beim Verleger-Kalender: Der Kalender für 2023 regt an, sich einfach mal auf die Socken zu machen und Häuser aufzusuchen, an denen man sonst achtlos vorbeigelaufen wäre. Auf einmal bekommen sie eine Geschichte, verbinden sich mit einem Menschen, den man vorher vielleicht noch gar nicht kannte.

Aber manchmal macht es dann doch Klick im Gedächtnis und staunend schaut man etwa auf das kleine Häuschen in der Bornaischen Straße 18, wo einst Werner Neumann wohnte, der Mann, der 1950 im Anschluss an die damalige Bachfeier anregte, in Leipzig ein Bach-Archiv zu gründen, um an einem Ort alles zu sammeln, was man zu Bach, seiner Familie, seinen Schülern und seiner Zeit finden konnte.

Was auch geschah, auch wenn Neumann nur die ersten beiden Standorte des neu gegründeten Archivs kennenlernte – das Alte Rathaus und das Gohliser Schlösschen. Erst lange nach seinem Ausscheiden als Gründungsdirektor 1973 bezog das Bach-Archiv 1985 das Haus, wo es heute alle kennen – das Bosehaus am Thomaskirchhof.

Und im Oktober trifft der Spaziergänger in der Hauptstraße 31 eine Sängerin, an die sich die älteren Radiohörer ganz bestimmt noch erinnern: Brigitte Rabald, in den 1950er und 1960er Jahren eine der bekanntesten Schlagersängerinnen der DDR. Sie heiratete den bekannten Orchesterleiter Alo Koll, mit dem sie 1982 nach Aachen übersiedelte. 2000 kehrte sie nach Jahren in Florida nach Leipzig zurück, wo sie 2019 starb.

Dass freilich nicht nur Musikerinnen und Musiker des 20. Jahrhunderts aus Markkleeberg kamen, zeigt das November-Blatt, das Johann August Landvoigt würdigt, der 1715 in Gaschwitz geboren wurde und der den Text zu einer Bach-Kantate schrieb, die 1734 aufgeführt wurde.

Der Text ist verschollen, stellt Mühling fest. Aber verbrieft ist auch, dass er im Großen Konzert einst als 1. Flötist agierte, bevor er als Notar berufen wurde und damit eine völlig unmusikalische Laufbahn einschlug.

Eine Adresse für sein Elternhaus gibt es in diesem Fall nicht, nur das besonnte Bild der Orangerie in Gaschwitz, die wieder etwas mit seinem Vater zu tun hat, dem „Kunst- und Lustgärtner“ Johann August Landvoigt.

Es lohnt sich also, sich beim Durchschreiten auch so kleiner Städte ein wenig Zeit zu nehmen. So manches Haus hat eine Geschichte, die man ihm nicht ansieht. Und manchmal wird ein ganzes Stück Vergangenheit lebendig, wenn sich dem Haus auch ein Name zugesellt. Und in diesem Fall auch eine große Prise Musik.

Verein Kulturgeschichte Markkleeberg (Hrsg.) „Markkleeberg 2023. Musikerhäuser“, Sax Verlag, Beucha und Markkleeberg 2022, 9,90 Euro.

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