LeserclubNoch eine kurze Konfrontation? So ein Moment, in dem sich die beiden besten Kollegen aller Zeit anstarren wie zwei wilde Löwen und Kollege Stachelschwein knurrt: „Wozu, zum Teufel, brauchst du meine Hilfe? Du kennst das doch alles besser als ich. Du bist doch mit Don Leone durch die Stadt gebrettert und hast die Hühner aufgescheucht.“ – „Du meinst: die Leute.“ – „Nein, die Hühner.“
Und weil er grad dabei war, ließ er auch noch den alten Frust heraus, den jeder hat, der in so einer Stadt Geschichten machen muss und sich die Zähne ausbeißt, weil er die Bösewichte nicht zu fassen bekommt. In diesem Fall die Brandstifter, die Zündeteufel, die Spitzbuben, die damals, als die Sache endgültig aus dem Ruder gelaufen war, auch noch das von allen so geliebte Kosmos-Kino in Brand steckten und damit eins der wenigen Kleinode, auf die man in L. noch stolz sein konnte, unwiederbringlich in Asche verwandelt.
„Du weißt, wer es war.“
„Nein. Nichts da. Keine Spur. Aber …“
Die Polizei hatte, wie das so ihre Art war, gemeldet, dass man zwar von Brandstiftung ausgehe, aber die Ermittlungen gerade begonnen hätten, man könne also nicht …
Ich greife schon vor.
Aber es muss sein. Denn Kollege Stachelschwein hatte ja recht. Alles lief von diesem Punkt unweigerlich auf den „Feuertanz von L.“ zu, das große Drama, mit dem damals auch ihre Geschichte in Rauch aufging. Und Kollege S. konnte keine weitere Trophäe an seine heimliche Wand der erlegten Großen Tiere hängen, auf die er so stolz war.
„Denn – gib es zu – du bist doch nur ins Schreibergewerbe gegangen, weil du unbedingt dicke Schäddel sammeln wolltest, Leute an die Wand nageln und abschießen … pengpeng … immer drauf .. Pardon wird nicht gegeben!“
„Es reicht, du …“
- sagte es zwar nicht. Aber er schaute so – aus alten, blassen, manchmal müden, jetzt aber zutiefst ergrimmten Augen. Er verstand sein Handwerk tatsächlich so. Wohl wissend, dass der dünnhäutige L. immer zusammenzuckte, wenn er zum Telefonhörer griff und den Feldwebelton annahm, mit dem er auch noch die strengste Sekretärin im Rathaus zum Spuren brachte. So nach dem Motto: „Den Bürgermeister, aber dalli dalli!“
Den hatte er an dem Tag nicht wieder ans Telefon bekommen. Der hatte sich verleugnen lassen, meinte S.. Der Pressesprecher hatte eine windelweiche Pressemitteilung ausgeschickt, die alles und nichts besagte: Im Wesentlichen in dem Stil, die Stadt habe das seit langer Zeit geplante Bauvorhaben am See, weil noch bei letzen Erkundungen Probleme mit Untergrund und Wasserhaushalt auftauchten, stoppen müssen.
Eine Zusage des zuständigen Baudezernats habe deshalb aus Gründen zurückgezogen werden müssen, worüber die Stadt ja, wie DIE MEDIEN ja seit ein paar Tagen schon berichteten, mit dem betroffenen Investor in intensiven Gesprächen stünde. Der Bürgermeister selbst äußere sich nicht weiter zu den Vorgängen. Er habe den Vorgang nur zur Prüfung an das zuständige Dezernat zurückverwiesen.“
Nichts weiter. Stille im Haus.
Und trotzdem hatte S. nicht lockergelassen und am Ende den etwas schwer atmenden Dezernenten am Apparat gehabt, der sich hörbar Mühe geben musste, um die forschen Fragen des ungeduldigen Redakteuers der „doch sonst so nachsichtigen Zeitung von L.“ einigermaßen unbeschadet zu überstehen. Dass da irgendwelche Genehmigungen für ein Bauwerk am Seeufer in seinem Haus ausgeteilt worden seien, nahm er auf seine Kappe. Das prüfe man noch gerade. Der Vorgang sei auch ihm nicht ganz verständlich, da gebe er dem Herrn S. ja recht. Und es gebe alle Gründe der Welt, da jetzt nachzuhaken, aber er bitte trotzdem um Geduld …
Das war die Stelle, an der S. tatsächlich tomatenrot wurde und drohte in die Luft zu gehen, und seine Stimme nur mühsam wieder einkriegte, weil Herr L. so geistesgegenwärtig gewesen war, ihm einen Tee zu kochen, den er mit asiatischer Freundlichkeit vor ihn hinschob.
Was zwar S. am Explodieren hinderte. Aber er nahm den aufgeregten Dezernenten trotzdem so scharf ran, dass L. befürchten musste, am nächsten Tag würde die sofortige Entlassung und Inhaftierung des Mannes in der Zeitung gefordert, von dem L. zumindest wusste, dass er drei Kinder hatte, alle noch im Schulalter, eins davon ein sangesbegabtes Mädchen, das schon mehrmals zu öffentlichen Anlässen gesungen hatte.
Verständlich, dass der Vater stolz war. Und angreifbar. Was L. zumindest wusste. Aber ob S. daran dachte, wenn er die Mitglieder der Verwaltung durch den Wolf drehte, dessen war er sich nicht so sicher. Auch nicht in diesem Moment, in dem S. dem deutlich stilleren Gesprächspartner am anderen Ende unterstellte, er müsse ja mit dem Bürgermeister unter einer Decke stecken …
„Wer soll denn sonst eine Baugenehmigung mitten im Naturschutzgebiet ..“
„Aber ich wusste nicht …“
„Aber das ist doch eine Ausrede. Sie brauchen doch nur …“
Aber das war die Stelle, an der Kollege S. den Zimmerlautsprecher wieder ausgeschaltet hatte. Die Stelle, die eigentlich in jedem Gespräch kommt, wenn am anderen Ende jemand versuchte, eine völlig verfitzte Angelegenheit doch noch irgendwie so hinzubiegen, dass sein Vorgesetzter dabei nicht beschädigt wurde.
Oder abgeschossen, wie es S. so gern machte. Und an dem Tag glaubte er wirklich, dass er den Bürgermeister würde abschießen können, die größtmögliche Trophäe in der kleinen Stadt, mal abgesehen vom Polizeipräsidenten und …
Na ja, auch S. wurde stiller. Denn natürlich führten alle Unterlagen, die Herrn L. zugespielt worden waren, in genau diese Richtung. Und irgendwie schien der Baudezernent, der für gewöhnlich immer nur mit Drillich und Bauarbeiterschuhwerk auf Baustellen erschien, wenn es um Verkündung neuer Bauvorhaben ging, sich wirklich alle Mühe zu geben, S. klarzumachen, dass er durchaus alle Informationen in der Hand hatte, den Bürgermeister jetzt abzuschießen. Ihn einfach wie einen Gierhals dastehen zu lassen, der für ein paar nicht ganz koschere Geschäfte auch bereit war, ein nicht ganz unwichtiges Stück Seeufer zu opfern.
„Und sicher wird er auch zurücktreten, wenn Sie das alles in Ihrer Zeitung ausbreiten. Denn dann wird er nicht mehr kämpfen können …“
Die Passagen, die L. nicht mehr mithören konnte, erzählte ihm S. nach dem Gespräch. Zumindest in geraffter Form. Noch ein wenig stolz auf sich, wie klein er den Dezernenten gekriegt hatte, den er für gewöhnlich bei Themen wie Bauverzögerungen oder hässlichen Wettbewerbssiegerentwürfen mit Häme tief durch den Kakao ziehen konnte. Aber in dem leichten Siegesrausch steckte auch ein nagendes Etwas, das die ganze Zeit vor sich hinknabberte, sodass sich die Sätze auch in der Diktion immer mehr änderten.
Jawohl, er würde den Bürgermeister serviert bekommen auf einem silbernen Tablett, auch wenn nichts von dem, was in den ganzen Listen stehe, „von denen die Zeitung ständig schrieb“, am Ende gerichtsverwertbar wäre. „Es wird sich niemand finden, der Klage erhebt. Aber – vielleicht verstehen Sie mich ja – es wird viele geben, denen sie danach nicht mehr in die Augen sehen können.“
„Und das mir“, brüllte S. Aber erst hinterher.
Da blieb noch ein kleiner Halbsatz übrig, der ihm wohl nur beim ersten Hören lächerlich vorgekommen war: „Wir sind alle nur Menschen …“
„Sagen Sie das noch mal“, hatte S. in den Hörer geschneuzt. Aber da hatte der andere schon aufgelegt.
Es gab ja zumindest darüber nicht mehr zu sagen.
„Sind alle nur Menschen! Blablabla! Wie oft ich das schon gehört habe“, beschwerte sich Kollege S. bei L.
Der nun, so viele Jahre später, seinen bärbeißigen Kollegen genau daran erinnerte.
„Das musst gerade du mir unter die Nase reiben! Wer hat denn an dem Abend mit einem gewissen Herrn Kommissar um die Wette geflennt?“
Bärbeißig werden konnte S. noch immer. Aber es klang nicht mehr so höhnisch und siegesgewiss wie damals. Auch weil S. wusste, dass L. mit dem alten Kommissar ganz und gar nicht so Ein-Herz-und-eine-Seele war, wie er ihm unterstellte. Seltsam genug war das Verhalten des Alten ja gewesen. Und deswegen fehlt auch hier noch eine Szene.
Was war an diesem Tag eigentlich noch alles geschehen?
L. wusste es. Aber wie erzählt man das?
Vielleicht mit Maschas ersten Worten, nachdem der alte Mann die Wohnung verlassen hatte und eine gewisse Atmosphäre der Ratlosigkeit hinterlassen hatte: „Der Alte kommt mir einfach nicht koscher vor.“
Da war der pensionierte Kriminalkommissar gerade erst aus der Tür. Und es roch in der ganzen Wohnung nach Moschus.
„Es ist das Parfüm“, sagte L.
Ohne zu ahnen, dass der Abend damit erst begann.
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