Erstaunlich, was ein Post von Facebook-Chef Mark Zuckerberg auslösen kann, in dem sich der selbsternannte Weltverbesserer auf einmal (ziemlich spät) zerknirscht zeigt über das, was er mit seinem elektronischen Süßwarenladen eigentlich angerichtet hat. Auf einmal werden auch die Analysen der Medien gründlicher und zeigen, was Facebook tatsächlich tut: Es manipuliert seine Nutzer wie ein Zigarettenkonzern. Und es macht Geschäfte mit moralisch fragwürdigen Handlungen.
Und das ist kein Fehler, den Zuckerberg vielleicht mal gemacht hätte, weil er die falschen Leute falsch eingesetzt hätte oder gar „schlechte Deals abgeschlossen“ hätte. Denn schlechte Deals sind bei ihm nach wie vor jene, die nicht noch mehr Traffic erzeugen, die Umsätze steigern und noch mehr Geld in die Kasse spülen.
Facebook ist ein auf Traffic optimiertes System. Und das Gegenteil ist wahr: Zuckerberg hat alles getan, um diesen Traffic anzukurbeln und „Konkurrenten“ vom Markt zu fegen. Darunter auch sämtliche seriösen Medien. Denn seine Methode – riesigen Werbeplatz für lausig wenig Geld verkaufen zu können – hat (relativ teure) Werbung in klassischen Medien, die nie und nimmer die Milliardenreichweite von Facebook erreichen können, fast unmöglich gemacht.
Es sei denn, die Unternehmen denken jetzt langsam um – wie Unilever, das seine Werbung auf Facebook, Google und anderen Trash-Seiten gekündigt hat, weil man nicht mal weiß, in welchem Umfeld die Werbung dort ausgespielt wird und welche finsteren Kampagnen man damit eigentlich unterstützt.
„Wir können nicht weiter eine digitale Lieferkette unterstützen, die in ihrer Transparenz kaum besser als ein Sumpf ist“, zitiert das „Handelsblatt“ Keith Weed, oberster Marketingchef von Unilever. Und so zitiert es auch „Absatzwirtschaft“, wo man jetzt der eigentlichen Funktionsweise von Facebook einmal genauer auf den Zahn fühlt. Denn das Facebook-Prinzip ist eines, vor dem sich klassische Medienmacher wohlweislich hüten, weil es alle Seriosität infrage stellt und dafür sorgt, dass so ein Medium zum Tummelplatz der Lügner, der Kampagnenmacher, der Trolle, Verleumder und Verschwörungstheoretiker wird.
Und Mark Zuckerberg kann nichts dagegen tun. Denn der Stoff, den er anbietet, ist genau der, der diesen Leute alle Türen öffnet.
Und er steckt von Anfang an im System. Das Facebook-Prinzip ist ein Prinzip des Süchtigmachens. Das ist nicht neu. Viele Fernsehsender arbeiten genauso – produzieren Tag für Tag den Stoff, der ein unkritisches Publikum vor den Bildschirm zieht und nach immer mehr von dem süßen Zeug lechzen lässt. Es funktioniert genauso wie Zucker, Alkohol oder Nikotin: Die Angefixten kommen immer wieder und wollen immer mehr davon.
Das Grundprinzip kennt jeder Suchttherapeut: Dem Menschen wird ein leichter Weg zur Befriedigung simpelster Lust- und Glücksgefühle gezeigt. Er bekommt, was er schnell zu brauchen glaubt, sofort und so viel davon, wie er nur immer will. In immer schnelleren Stakkato. Denn mit den Angeboten zur schnellen Lustbefriedigung ködert man die Nutzer. Das ganze System ist so angelegt, dass die Nutzer jederzeit alle Angebote zur schnellen Befriedigung ihrer Lust auf Bestätigung finden.
Das, was Menschen normalerweise in ihrem realen Leben suchen und – wenn sie sozial aktiv sind – auch bekommen, bieten Plattformen wie „Facebook“ als virtuelle Ware. Der richtige Spruch, das richtige Foto – und „Daumen hoch“ heißt es im vernetzten Umkreis der „friends“, von denen der normale Nutzer meist gar nicht weiß, ob das überhaupt reale Menschen sind oder nur Roboter.
„Facebook ist eine soziale Bestätigungsmaschine, genau die Sache, die ein Hacker wie ich entwerfen würde, weil sie sich die Verletzlichkeit der menschlichen Psyche zunutze macht“, zitiert „Absatzwirtschaft“ Facebooks ersten Präsidenten Sean Parker. „Die Erfinder – ich, Mark Zuckerberg und Kevin Systrom bei Instagram – haben das verstanden. Und wir haben es trotzdem gemacht. … Facebook untergräbt die Produktivität in komischer Weise. Nur Gott weiß, was es mit den Gehirnen unserer Kinder anrichtet.“
Es betrifft nicht nur die klassischen Medien, die gegen den Süchtigkeitsfaktor solcher Netzwerke nicht ankommen und – so Zuckerberg – durch „Facebook“ sogar regelrecht ersetzt werden sollen. Disruption nennt sich das, wenn mit einer neuen Technologie komplette „alte“ Branchen vom Markt gefegt werden sollen.
Aber Zuckerberg hat ja längst angekündigt, ganze gesellschaftliche Sphären durch „Facebook“ ersetzen zu wollen – den politischen Diskurs genauso wie die sozialen Lebenswelten der Menschen. Wer auf „Facebook“ binnen kurzem tausende „friends“ gewinnen kann, die einen bei jedem dusseligen Spruch anfeuern und „liken“ – wird der sich noch im realen Leben um echte menschliche Kontakte bemühen? Bekommt der überhaupt noch mit, dass er sich in einer geschlossenen Blase befindet, in der Algorithmen dafür sorgen, dass er nur noch mit Gleichgesinnten zu tun hat (Schöne Grüße an die Leipziger CDU!)?
Was wird dann aus zwischenmenschlichen Beziehungen, wenn sich Menschen einfach in ihr „social media“ flüchten können, wenn ihnen der Umgang mit echten Menschen zu kompliziert ist?
Natürlich hat Facebook Millionen Menschen da abgeholt, wo sie vorher schon waren. Die moderne Ego-Gesellschaft ist eine Gesellschaft der Einsamen, die in einem Wettbewerb der politisch gewollten Ich-AGs froh sind, wenn sie nach Feierabend in ideale Welten abtauchen können, in denen sie nur noch Bestätigung bekommen, jene schöne billige Bestätigung aus lauter netten „likes“, die zu beweisen scheinen, dass er als Mensch gemocht und respektiert wird.
Und dass die anderen …
Wer solche Blasen schafft, zerstört natürlich auch den gesellschaftlichen Dialog. Eine Disruption, von der nicht nur ehemalige „Facebook“-Mistreiter das Schlimmste befürchten. Denn wer nicht mehr in der Lage ist, Differenzen auszuhalten, andere Meinungen und Haltungen, der neigt logischerweise zu Abschottung und Abwehr. Die wütenden Kampagnen und Empörungswellen gerade bei „Facebook“ und Co. zeigen ja, dass da jetzt schon ein großer Teil gesellschaftlicher Resilienz verloren gegangen ist. Menschen, die tagtäglich in ihren Blasen das Gefühl haben, dass nur alles, was hier geschieht, richtig ist, reagieren auf Zweifel von außen schon lange nicht mehr mit Verunsicherung.
Tatsächlich sind immer mehr Menschen sofort auf Konfrontationskurs. Es ist wie bei der Stationierung der Mittelstreckenraketen Anfang der 1980er Jahre in Deutschland Ost und West: Die Eskalationszeit verringerte sich von wertvollen Minuten auf nicht mehr beherrschbare Sekunden. Die Menschen sind gleich auf 180 – und holen die Waffen raus.
Und sie wissen nicht, woher das kommt. Auch nicht, dass es mit ihrer Sucht nach einer als heil empfundenen Welt zu tun hat.
Sie werden verführbar. Denn wer ihnen noch mehr von dem Stoff verspricht, der muss es ja gut mit ihnen meinen.
Und die schlechte Nachricht ist: Dieser Baufehler macht Facebook aus. Es ist die perfekte Suchtmaschine für die einsamen Egos der Gegenwart.
Aber die Frage steht wirklich: Was richtet es mit den Gehirnen unserer Kinder an? Mit ihrem Sinn für die Wirklichkeit und die Fähigkeit, die wirklichen Herausforderungen in ihrem Leben anzunehmen?
So hässlich Hasskampagnen auf Facebook sind – es sind virtuelle Hasskampagnen. Die Handelnden bleiben daheim vor ihren Bildschirmen sitzen, lassen ihre Wut virtuell heraus und fühlen sich stark, weil sie scheinbar in einer riesigen Gruppe Gleichgesinnter etwas vollbringen.
Aber tatsächlich vollbringen sie gar nichts. Außer virtuell zu demonstrieren, wie ein Mob sich anfühlt. Schlimm wird’s, wenn so etwas dann in die Wirklichkeit schwappt. Medienmacher wissen, wie sich das anfühlt, wenn so eine Meute die eigenen Kommentarspalten überrollt in der bärischen Gewissheit, absolut Recht zu haben. Da, wo man sich aufgeputscht hat, hat man ja keinen, der widerspricht.
Eigentlich ist „Facebook“ schon lange dabei, den sozialen Austausch der Menschen zu zerstören. Und mit jeder „Verbesserung“ an seinen Algorithmen verschärft Mark Zuckerberg das Problem noch weiter. Man kann eine falsche Idee nicht wirklich verbessern, wenn sie nur dann funktioniert, wenn sie alles Unbeherrschte im Menschen zum Ausbruch bringt und mit dicken Daumen immer wieder bestärkt und bestätigt.
Eigentlich müsste „Facebook“ für jedes „like“ so etwas wie eine Zucker- oder Tabaksteuer zahlen. Oder eine ordentliche Alkoholsteuer. Denn meist ist das, was da in den „social media“ passiert, ja nichts anderes als ein riesiges öffentliches Besäufnis anonymer Facebook-Trolle. Mit unüberschaubaren Folgen für unsere Demokratie.
Es gibt 2 Kommentare
Stimmt. Die “Kinder” sind ja auf Instagram (ups, wieder Facebook) 😉
Um die “Gehirne unserer Kinder” müssen wir uns nicht mehr so viele Gedanken machen. Die sind längst nicht mehr bei facebook. Die Nutzerzahlen in den jüngeren Altersgruppen sinken immer weiter, während sie bei den älteren steigen…