Eigentlich haben die Forscher der Universitäten Mainz und Zürich nicht wirklich viel herausgefunden, als sie 7.000 Artikel aus Printmedien auswerteten und mehr als 2.000 Leser in vier europäischen Großstädten – Berlin, Zürich, Paris und London – befragten, wie Medienberichterstattung über Populismus nun ihre Sicht auf die populistischen Argumente beeinflusst.

Die These dahinter erklärt Philipp Müller vom Institut für Publizistik der Universität Mainz laut F.A.Z. so: „Wir gingen davon aus, dass die Zustimmung zu populistischem Gedankengut generell zunimmt, je mehr diese Ideen in den Medien vorkommen.“

Je mehr Medien über populistische Parteien, Eiferer und Dummheiten berichten, umso mehr wachse also das Verständnis für dieses blasige und eher faktenferne Politikmachen, das die Forscher in Grundbausteinen wie Elitenkritik, Betonung des Volks oder Forderungen nach einer Wiederherstellung der Volkssouveränität abfragten.

Die Forscher seien sogar überrascht worden, als das Ergebnis gerade das Gegenteil des Vermuteten aussagte. Müller: „Unsere Daten zeigen, dass die abschreckende Wirkung populistischer Medienaussagen sogar die stärkere und deutlichere Medienwirkung darstellt.“ Es ergibt also offenbar doch einen Sinn, über Populismus, derartige Aussagen und die Wirkungen zu berichten.

Da die Befragungen 2014 und 2015 stattfanden, vermuten die Forscher, die Ergebnisse könnten – würde man heute fragen – etwas anders ausfallen.

Möglich ist das schon. Denn die zunehmende Präsenz von Populisten in der Öffentlichkeit schafft natürlich auch so etwas wie wachsende Akzeptanz. Man könnte es den Sarrazin-Effekt nennen. Erst nuschelt der Bursche „Das muss man doch mal sagen dürfen“. Dann sagt er es. Bekommt Kritik. Dann sagt er oder einer seiner nuschelnden Kumpel, dass einem ständig die Meinungsfreiheit beschnitten werde. Zensur! Und dann sagt er es erst recht, weil er ja nur das Grundrecht auf Meinungsfreiheit wahrnimmt. Und weil dann in der Regel wirklich kein Polizeiauto vorfährt, um den Burschen für sein mutiges Sagendürfen abzuholen, sagt er’s dann noch öfter.

Aber jetzt ist es schon „die Wahrheit“, die er sagt und in Talkshows und Büttenreden den Kritikern entgegenschleudert. Oder ständig dazwischenfunkt in Gesprächen, bis alle Leute sich nur noch mit seinem komischen Blick auf die Welt beschäftigen.

Onkel Dieter in der Quengelzone.

Die Meinung der Mediennutzer ändert sich ja nicht unbedingt, weil Onkel Dieter Recht hat, sondern weil Onkel Dieter mit seinem Gequengele jetzt immer öfter dasitzt. Und wo die meisten Zeitungen noch recht differenziert über Dieters Tiraden berichten, hat der längst ganz andere Plattformen, die die quengelige Minderheit der Dieters (12,6 Prozent) aufbläst, als wäre es schon eine 50-Prozent-Partei, die gleich dabei ist, die Eliten allesamt wegzufegen.

So etwas nennt sich in Deutschland Revolution, wenn rechtsauslegende Professoren, altgediente Staatsbeamte, Richter und Gymnasiallehrer anfangen, den „Eliten“ die Macht zu nehmen.

Aufmüpfige Greise, die in den Talkshows der Republik die Luft- und Deutungshoheit übernehmen. Deren Wähler aber eher selten überhaupt noch eine Zeitung lesen. So funktioniert Medienwahrnehmung schon lange nicht mehr. Zeitung lesen ist nämlich anstrengend. Lange Texte, viele Fakten, viele Stimmen und Sichtweisen. Selbst dann, wenn die Zeitung ein konservatives Profil hat – wie die F.A.Z.

Und man muss sich konzentrieren

Es geht nicht so schnell und einfach wie das Fastfood, das die eigentlich meiungsbildenden Medien servieren: Fernsehen und Radio. Danach vielleicht irgendwas im Internet.

Aber gerade das Internet ist ein klassisches Beispiel dafür, wie Medien eben nicht mehr funktionieren. Denn die Vision, es wäre ein Kosmos, in dem alle Menschen jederzeit alles erfahren können, ist tot. Dafür haben auch Mark Zuckerberg und seine technikverliebten Freunde gesorgt. Wer heute eine Meinung hat (oder irgendetwas, das er dafür hält), braucht keine ernsthaft arbeitenden Medien mehr. Der sucht sich seine Meinungsblase aus, in der er auf alle seine Muss-man-doch-mal-sagen-dürfen keinen Widerspruch mehr bekommt, sondern nur noch schallenden Applaus, jede Menge Zustimmung – einen ganzen Ballsaal Beifall klatschender Freunde und Liebhaber.

Die „Neue Medien“ funktionieren als Warholsche Belohnungsblase. Denn genau so funktionieren die berühmten Däumchen: Ein einziger hingerotzter Spruch erzeugt binnen Minuten ein riesiges Excho von „Likes“.

Likes sind nichts anderes als der in Algorithmen umgegossene Spruch Andy Warhols: „In the future, everyone will be world-famous for 15 minutes.“

Wer die Maschine richtig bedient, kann mit einem einzigen Dieter-Spruch schallenden Applaus aus lauter „Likes“ erzeugen. Das haben die großen Zampanos von heute alle gelernt. Sie haben sich regelrechte Kuschelinseln der derben Dieter-Sprüche gebastelt. Wer Widerspruch anmeldet oder kritisch nachfragt, wird in diesen Filterblasen sofort niedergebrüllt. Oder gleich ausgeschlossen. Denn Meinungsfreiheit ist ja für alle da. Für alle, die die gleiche Meinung haben.

Populismus selbst ist schon eine Filterblase. Alle drei ausgewählten Dimensionen der Forscher sind Filter: Elitenkritik, eine Betonung des Volks, Forderungen nach einer Wiederherstellung der Volkssouveränität. Sie sortieren die Welt in „uns“ (aufgebläht gar zu „Wir sind das Volk“) und den Rest, den man dann aufmotzt zu „den Eliten“.

Nur wer gleicher Meinung ist, ist Volk. Die restlichen 87,4 Prozent sind Elite. Und die muss gestürzt werden, weggefegt.

Und was hat das mit Zeitungen zu tun?

Zeitungen sind, wenn sie ihre Arbeit ernst nehmen, eben keine Filterblasen. Sie können stockkonservativ sein, etwas verhuscht liberal, zaghaft links oder einfach nur schrill – aber sie stellen, wenn sie ihre journalistische Arbeit nur ein bisschen ernst nehmen, auch immer viele Sichtweisen her, zeigen, dass menschliche Gesellschaft buntscheckig ist, widersprüchlich, oft genug auch dissonant und vor allem – unfertig.

Es gibt die eine, richtige Meinung nicht. Zu praktisch jedem Thema gibt es dutzende verschiedene Sichtweisen. Das ist übrigens das Grundwesen von Demokratie: Dass sie diese Sichtweisen sichtbar macht und zeigt, wie sehr Gesellschaft ein Ringen um Sichtweisen, Klarheit und irgendwie am Ende eine kluge Lösung ist.

Zeitungen zeigen permanent einen Gesellschaftszustand, den Populisten gar nicht mögen. All das ist ja anstrengend. Man muss sich den Kopf zerbrechen, muss sich mit Zusammenhängen und Hintergründen beschäftigen. Dieser schreckliche Journalismus (der sich auch noch ab und an irrt) macht alles so kompliziert.

Populisten mögen es einfach. Am besten ohne Nachdenken. Die pure Emotion. Das, was Dieter bestens beherrscht, denn er hält nichts von diesen ganzen anstrengenden Zeitungen. Er hat seine Meinung, fertig. Nachbar Müller hat dieselbe Meinung.

Und da Meinungen ja frei sind, ist es ja egal, welche man hat. Am besten die, mit der man gleich von möglichst vielen Leuten geliebt wird. Daumen hoch. Haste toll gemacht, Dieter. Bist schon ein Pfundskerl. Wir sind stolz auf dich.

Dieter darf mitspielen. Er weiß jetzt, was er in die Tasten hämmern muss, damit die ganze Blase johlt. Dieter wird niemals widersprochen. Jedenfalls nicht in seiner Blase. In Leserbriefen an diese so völlig falschliegende Zeitungen natürlich schon. Denen erzählt er gern mal, was richtig und was Sache ist und was „alle Leute“ sagen.

Populismus funktioniert in Filterblasen ausgezeichnet. Herr Zuckerberg wird verzweifeln – und die anderen Tagträumer, die glauben, sie könnten „Fakenews“ irgendwie mit den richtigen Filtern aus der Welt schaffen, auch. Sie haben sich eine Sisyphos-Arbeit aufgehalst. Eine echte, nämlich eine unendliche. Viel Spaß dabei.

Lösen lässt sich das Dilemma nur, wenn all diese technischen Narren ihre Geschäftsmodelle vom Kopf auf die Füße stellen und nicht automatisch ausfiltern lassen, was ihre so gewinnträchtig vermarktbaren Nutzer zu sehen bekommen sollen. Sie müssten das Gegenteil tun.

Was aber wohl im ersten Schritt die nicht ganz schmerzfreie Arbeit der Zeitungen bleiben wird. Immer mit dem Risiko, dass eine frisch gewählte populistische Regierung die Zeitung kurzerhand gleichschaltet, verbietet oder die ganze Redaktion verhaften lässt. Vorbilder sind ja die beliebten Knödelpopulisten in der Türkei, in Ungarn, Russland und Polen.

Denn Populisten mögen keine Kritik. Sie mögen keine Meinungsvielfalt. Und sie mögen erst recht keine Zeitungen, die ständig erzählen, wie (ihr) Regieren eigentlich funktioniert und wem es tatsächlich nützt.

Die Klammern sind nötig an der Stelle, denn nicht nur die bekannteren Populisten arbeiten so. Auch andere übernehmen nur zu gern diese Rezepte. Denn eins haben ja die populistischen Parteien Europas vorgemacht: Wie man die systematische Bildung von Meinungsblasen dazu nutzen kann, die eigene Wirkung zu verstärken und einer ganzen Gesellschaft die eigenen Themen und Sichtweisen aufzudrücken. Und wie man selbst die verhuschte „Elite“ vor sich her treibt, bis der größte Blödsinn Mehrheiten findet. Und selbst die Opposition verschüchtert nicht mehr wagt, dagegen zu stimmen.

Und was kann man, wenn man Zeitung macht, dagegen tun?

Nicht viel, außer zu berichten, was wirklich passiert. Das ist nicht „die Wahrheit“, die Heilige, die die Schafsköpfe aus dem „Volk“ so gern fordern. Es ist Erkundungsarbeit – jeden Tag aufs Neue. Mit kritischem Blick und unermüdlicher Skepsis. Denn wo die Populisten von „Wahrheit“ reden, weiß man als Journalist, dass es „die Wahrheit“ gar nicht gibt.

Nirgendwo sitzen größere Zweifler als in den noch arbeitsamen Redaktionen. Zweifeln ist ihr Handwerk. Und Korrigieren gehört dazu. Jeden Tag das Wissen um die Wirklichkeit ein Stück weit schärfer stellen und justieren.

Meinungen hat jeder. Skeptiker muss man sein. Dann wird’s erst spannend.

Die ganze Serie „Medien machen in Fakenews-Zeiten“.

Über das Trotzdem-Zeitungmachen, alte Sachsen-Seligkeit, die Bedeutung des Kuschelns und die Träume der Leipziger

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