LeserclubUnd es kam der Tag, an dem Herr L. nur ein weißes Blatt ablieferte. Mit Kaffeefleck. Und einen konsternierten Kollegen Stachelschwein erlebte, der das Blatt von vorn bis hinten beäugte. „Was wird das jetzt? Hast du keine Lust mehr, deine Geschichte zu Ende zu erzählen?“ – „Na ja“, sagte L. Und tupfte den frisch vergeudeten Kaffee von seiner Tischplatte. Die Tastatur hatte er ja vorsorglich schon mal beiseite gestellt.

„Na ja heißt eigentlich, dass ich so das dumme Gefühl habe, dass niemand wirklich wissen will, wie das zu Ende geht. Ob der Held überlebt, oder so, du weißt schon, was ich meine.“

„Ob der Held überlebt? Du bist kein Held!“

„Erzählungstechnisch gesehen schon.“

„Das versteht kein Schwein.“

„Eben.“

„Also schreibst du es nicht zu Ende?“

„Doch. Irgendwie.“

L. merkte schon, dass er seinen Kollegen mit diesen etwas kurzen Antworten so langsam auf die Palme brachte. Und dass es wohl wieder etwas zu viel Koffein gewesen war heute. So wie in den vergangenen Jahren auch. Jeden Tag viel zu viele Muntermacher, um in einer Stadt noch so ein kleines Quentchen Glücksgefühle zu erhaschen, in der der Geist des Ist-doch-eh-egal im Rathaus residierte, Brötchen buk, Einkaufswagen schob oder resigniert irgendeiner Prügelei am Bahnhof zusah, wo desillusionierte Haudegen der höheren Traurigkeit sich um einen Euro prügelten. Oder einen schlecht erzogenen Hund. Oder ein falsches Wort. Und selbst die Polizisten, die dazukamen, abwarteten, bis die beiden Kämpen kraftlos zusammensackten. Um sie dann einzusacken und irgendwohin zum Ausnüchtern zu verfrachten.

„Irgendwie ist das kein Anspruch, mein Lieber. Willst du den Leuten jetzt irgendwelche heimeligen Aufgüsse anbieten?“

„Das nicht. Aber mein Problem ist, dass alles immer gleichzeitig passiert.“

„Das merk ich an deinen Texten. Das macht der Kaffee, du solltest …“

„Lieber fall ich tot um mit Herzkasper.“

„Journalistentod, was? Da hast du aber die falsche Heldensage gelesen. Journalisten sterben hornalt, mit Bundesverdienstbrezel am Revers und Windeln in der Hose. So sterben Journalisten.“

„Glaub ich nicht.“

„Wie sonst?“

„Sie sterben an Unglauben. Sie hören auf zu glauben, dass irgendetwas an dem, was sie tun, noch irgendwie wichtig ist. So wichtig, dass die Leute morgens johlend am Kiosk stehen und sich die Zeitungen gegenseitig aus der Hand reißen.“

„Das ist jetzt Operette, mein Lieber.“

„Hab ich doch selbst gesehen: Eine johlende Menge und ein Zeitungsbursche, dem sie das Blatt aus den Händen reißen …“

„Ja, wenn Deutschland wieder mal Krieg erklärt und das zuerst bei uns in der Zeitung steht.“

Plopp.

Es war doch ein recht großes Kaffeepfützchen, das L. da versuchte in den Griff zu bekommen.

„Oder Malta“, sagte Stachelschwein. Wahrscheinlich, um die Pointe ein wenig zu entschärfen. „Oder Liechtenstein.“

„Da wissen die meisten nicht mal, wo das liegt.“

„Stimmt auch wieder.“

„Deshalb.“

„Was deshalb?“

„Für’s Finale brauche ich einen echten Meister der Worte.“

„Hmmm.“

„Einer, der den anderen Part schreiben kann.“

„Nämlich?“

„Den, den nicht ich erlebt habe.“

„Du meinst?“

„Ja.“

Plopp. Und plopp. Ein leeres Blatt mit einem Kaffeefleck.

„Du meinst, du setzt dich jetzt wieder ganz gemütlich in Mammamias Küche und lässt mich hier allein raboten?“

„So ungefähr. Das war die Stelle, an der ich so ein komisches Gefühl hatte. Als wäre ich nicht ganz da.“

„Stimmt ja meistens auch. Ich musste das Ding damals alleine …“

„Erzählst du das selbst?“

„Muss ich mir noch überlegen“, sagte S. Und legte das leere Blatt vor sich hin. So wie man ein leeres Blatt vor sich hinlegt, während man überlegt, ob man mit „Es geschah vorzeiten …“ anfängt. Oder eher im Chandler-Stil: „In welche Scheiße sind wir da wieder geraten?“

Und dann nahm er einen seiner kurzen Bleistiftstummel und schrieb vorsichtshalber schon mal hin, damit er es nicht gleich wieder vergaß: „In welche Scheiße sind wir da nur wieder hineingeraten …“

Die ganze Serie „Und was passiert jetzt?“

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