Es sind ja nicht nur Journalisten, die sich Gedanken darüber machen, warum solche Windbeutel wie Donald T. es schaffen können, Präsident von Amerika zu werden. Auch Wissenschaftler wie Jeff Jarvis, ein Journalistikprofessor an der City University of New York, machen sich Gedanken. Und sie stolpern dabei, wie die FAZ am Mittwoch, 17. Mai, beiläufig anmerkte, über sehr naheliegende Erklärungen.

Eigentlich versuchte der Autor des Beitrags, Roland Lindner, irgendwie zu erklären „Weshalb Facebook sich mit Fake News verschätzt hat“. Jeff Jarvis rückte deshalb für ihn bei einem Termin in New York in den Fokus, weil der Medienprofessor jetzt Facebook irgendwie helfen will, die Sache mit den Fakenews in den Griff zu bekommen. Was ihm wohl nicht gelingen wird.

Denn Facebook ist ja gar nichts Neues, nicht mal in der Medienwelt. Die Boulevard-Medien-Macher werden jetzt wissend nicken: Der Markt der Nachrichten lebt zu einem riesigen Teil von allerlei Geschichten, die man lieber nicht genauer betrachtet, weil sie erfunden, aufgehübscht, aufgeblasen, übertrieben und auf noch viele weitere kreative Weisen so verrührt sind, dass sie unserem Wissen um die Welt wirklich kein Körnchen mehr Information hinzugeben, aber ordentlich zu unserer gemeinsamen Verblödung beitragen.

Und wer jetzt nur an eine Zeitung denkt, der irrt. Besuchen Sie den nächsten Zeitungskiosk und schauen Sie sich an, was dort in riesigen Stapeln ausliegt, bunt ist und Sie schon mit den Schlagzeilen auf der Titelseite anschreit. Und das reicht von sogenannten Frauenzeitschriften (arme Frauen) bis hin zu Promi-Magazinen, Groschenromanen (die gibt es tatsächlich noch) und dem Fantasy-Quatsch für Kinder und Jugendliche.

Wer auf Facebook aufschlägt und nie zuvor dort gewesen ist, der kommt nicht unvorbereitet. In der Regel hat er auch die Erfahrung des modernen Fernsehenden hinter sich, das ja seit 30 Jahren nichts anderes tut, als seine Zuschauer an ein ganz niedriges Fakten-Level zu gewöhnen. Sozusagen an Rest-Fakten, die sich dann meistens in Sekundenclips in dünn gestreuten Nachrichten-Shows findet. Der Rest ist pure Show, ein Fake der Wirklichkeit.

Die Grenzen zwischen einer realistischen Abbildung der wirklichen Ereignisse und einer Fake-Inszenierung, die den Zuschauern dann gar noch als Reality-Show verkauft wird, sind fließend.

Donald Trump ist in dieser Welt groß geworden. Er war selbst der gefürchtete (und lächerliche) Held einer solchen Show. Und er hat im Wahlkampf alle Register gezogen, damit die Leute weiterhin eine blendende Trump-Show bekamen.

Wenn sein Wahlsieg etwas gezeigt hat, dann die simple Tatsache, wie sehr die Entwicklung der Medien in den letzten Jahrzehnten die Grenzen zwischen Fake und Wirklichkeit aufgeweicht hat, wie sehr immer mehr Menschen die Bildschirm-Reality für die Wirklichkeit nahmen und nehmen.

Bei Jeff Jarvis weiß man nicht so richtig, ob er das schon begriffen hat. Denn im Artikel wird er mit dem gutgläubigen Satz zitiert: „Wenn Trump schlecht für die Demokratie ist, dann ist er auch schlecht für die Medien. Journalismus kann nicht blühen, wenn den Leuten Fakten egal sind.“

Die simple Erfahrung aus der Wirklichkeit lautet: Den meisten Leuten sind Fakten egal. Nicht unbedingt, weil ihnen Fakten tatsächlich ganz egal sind – aber sie können sie nicht mehr von Fakes unterscheiden. Sie haben kein Kriterium mehr, Falsch und Richtig auseinanderzuhalten.

Jason Brennon hat es ja in seinem Buch „Gegen Demokratie“ fein säuberlich herausgearbeitet: Der größte Teil der Wähler weiß über Demokratie, Politik und die politischen Akteure nichts – oder noch weniger. Aber diese Leute stellen bei jeder Wahl die Mehrheit. Wer gewinnen will, muss bei ihnen punkten.

Was ja im Klartext auch bedeutet: Diese Leute erreicht man mit Fakten nicht. Die hören dann weg, die Meisten sind eh davon überfordert. Falls sie überhaupt drüber stolpern, denn die meisten Leute sind in Medienwelten unterwegs, in denen sie mit Fakten und Journalismus nicht behelligt werden.

Wäre vielleicht eine kleine Anregung, die man Jarvis per SMS schicken könnte. Denn damit ist all seine Arbeit bei Facebook obsolet. Facebook wird die Produktion von Fakes nicht eindämmen können, schon weil die Grenzen derart fließend sind. Und auch, weil man dann Nutzer mit einem Phänomen konfrontiert, mit dem sie nicht gelernt haben umzugehen: Gilt denn nicht Meinungsfreiheit in diesem Land? Darf nicht jeder meinen, was er will?

Wollen wir wetten, dass Facebook richtig Probleme bekommt, wenn es beginnt, diese Menschen erziehen zu wollen?

Ganz zu schweigen davon, dass jenseits von Facebook noch viel mächtigere Medien existieren, wo man sich davor hütet, die Zuschauer und Zuhörer mit etwas Komplizierterem als Stau- und Wetter-Berichten zu behelligen. Denn dann schalten sie aus, zappen weg, kommen nicht wieder.

Wenn Medien zum Goldesel werden sollen, dann schalten die Geschäftsleitungen dort alle auf Quote und Reichweite um.

Deswegen stellt die Quotenjagd des öffentlichen Rundfunks in Deutschland einen Bruch des Sendeauftrags dar, einen regelrechten Verrat an der ernsthaften Aufgabe, die diesen teuer alimentierten Sendern gegeben wurde.

Aber solange sich feige Politiker bei dem Thema wegducken, hört das ja nicht auf. Können wir also ruhig über das schreiben, was dabei herauskommt, wenn Medien sich allesamt in ein wildes Rennen um Quote und Reichweite stürzen: Es kommt nämlich überall dasselbe heraus.

Oder um Jeff Jarvis aus dem FAZ-Artikel zu zitieren: „Mit Trump war es das gleiche Rennen um Reichweite, das auch dafür sorgt, dass wir ständig Katzen und Kardashians geboten bekommen.“ In einer derart von reichweitenbesessenen Medien dominierten Gesellschaft laufen Wahlen zwangsläufig auf den größten Showmaster hinaus. Dagegen hatte Hillary Clinton keine Chancen. Aber es trifft natürlich auch nicht nur auf Amerika zu, wo die Leute immer nur die Wahl haben zwischen zwei Kandidaten. Das hat auch die Wahlen in anderen Ländern verändert.

Jüngst war ein kluger Mann aus Jena bei uns im Büro, so ungefähr fünf Wochen vor der Landtagswahl in NRW, als alle noch an einen Sieg von Hannelore Krafft glaubten, also der Hillery von NRW. Und dann holte er sein Taschentelefon heraus und ließ den Werbeclip von Christian Lindner ablaufen. In dem eigentlich überhaupt keine Fakten oder Lösungsvorschläge vorkamen. Nur lauter Emotion und Suggestion, wie man das aus Werbeclips kennt. Er hat einfach eine Ein-Mann-Show inszeniert mit lauter unterschwelligen Botschaften (zumeist: „Keiner kümmert sich drum – aber ich werde mich kümmern.“ Mehr nicht.) Und dann hat er 14 Prozent geholt. Kein Mensch hat über seine Fakten, Pläne, Lösungsvorschläge diskutiert.

„Der wird’s machen“, sagte der kluge Mann aus Jena.

Wir leben in einer Welt, in der die wirklich meinungsbildenden Medien schon lange aufgehört haben, mit Fakten, Tatsachen und Zusammenhängen zu argumentieren. Sie verschonen ihre Wähler damit. Sie verkaufen alles – auch Politik – wie ein supergutes Waschmittel, das schon beim Reinkippen ins Waschmittelfach Heimat- und Glücksgefühle auslöst.

Viele Wahl-Werbe-Clips wirken heute schon genau so. Tatsächlich haben die meisten Werbebuden längst begriffen, dass man die Mehrheit der Wähler mit Fakten gar nicht mehr erreicht. Sie würden sie einfach nicht einordnen und verdauen können. Deswegen können sie mit Journalismus auch nichts mehr anfangen – wenn sie das denn je konnten. Da auch eine Menge Leute, die „irgendwas mit Medien“ machen, glauben, dass das, was sie da tun, Journalismus ist, sind auch hier die Grenzen fließend. Fluid, um es mal aufzuhübschen.

Und deswegen dockt Facebook auf einer ganzen Breitseite an einer Medienwelt an, der niemand Fakenews vorwirft, obwohl dort jeden Tag geblubbert und gefärbt wird, bis die Haare glänzen. Wenn einem 90 Prozent der Medien suggerieren, dass Katzen und Kardashians die wirklich wichtigen Themen des Tages sind, warum soll man dann nicht einen wie Donald wählen? Ist doch nur Show, oder?

Womit wir beim eigentlichen Problem der „schönen neuen Welt“ (Huxley) sind: den verschwindenden Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit. Wenn die bunte Suppe aus allen Kanälen das Bild der realen Welt prägt – welche Chancen hat dann noch die Realität? Oder etwas anders formuliert: Welche Art Wahlkämpfe werden wir künftig erleben, wenn immer mehr Parteien und Kandidaten die Möglichkeiten der Reality-Show für sich entdecken?

Man ahnt, wie närrisch es ist, wenn Martin Schulz Klinken putzt und von Haus zu Haus latscht. Augenscheinlich werden Wahlkämpfe künftig in den multimedialen Welten gewonnen. Von hochbezahlten Agenturen, die den Kandidaten zum Helden, Heiland und Retter der Welt aufblasen. Da stören Fakten nur. Ein Stück weit sind wir ja schon in dieser Scheinrealität. Unsere Kollegen vom gesendeten Fach arbeiten ja fleißig daran.

Schöne Zeiten kommen da auf uns zu. Beklemmend schöne Zeiten.

Die ganze Serie „Nachdenken über …“

Die Leipziger Zeitung, Ausgabe Mai 2017

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