Wie kommt man nur raus aus diesen Schleifen? Mitteldeutschland ist eine Vision, eine mögliche Klammer für ein wirklich mutiges politisches Projekt. Die Wirtschaft würde es am Ende feiern, weil es einen ganzen Wirtschaftsraum endlich sinnvoll bündeln würde. Aber die mitteldeutsche Wirtschaft feiert sich lieber selbst. Und die „Regjo“-Autoren fassen in bunten Schaum und gezuckerte Watte.

Das neue „Regjo“-Heft 2/2016 ist jetzt erschienen und hat sich – wie so viele Hefte zuvor – wieder ein Mega-Thema gesetzt, das eigentlich in allen drei Bundesländern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen akut ist: Wissenstransfer. Alle drei Länder haben den Nachteil, kaum über wirklich finanzstarke Großunternehmen zu verfügen, für die eine permanente Produktinnovation und ein entsprechender Forschungsetat die Regel ist.

Andererseits geben alle drei Bundesländer viel Geld für Hochschulen und Universitäten aus, die nicht nur Grundlagenforschung betreiben, sondern – mit deutlichem Druck aus der Politik – auch für die Wirtschaft relevante Forschung vorantreiben sollen. Das steckt teilweise im großen Thema Drittmittel, das steckt aber auch in der politischen Aufforderung, Forschungsverbünde auf die Beine zu stellen und Kooperationsprojekte mit den Unternehmen vor Ort zustande zu bringen. Da kommt dann zusammen, was beide stärkt: das Potenzial der Hochschule und der Wunsch auch kleinerer Unternehmen, die sich eigene Forschungsabteilungen nicht leisten können.

Aber wie erzählt man so eine Geschichte? Wie fängt man an? Sammelt man einfach, was es alles gibt – von Hochschulen wie der HTWK, die diese Kooperationen schon ausgiebig betreiben, über Förderzentren, kommunalen Initiativen wie im Landkreis Mittelsachsen, bis hin zu innovativen Entwicklungen aus den Unternehmen wie den E-Autos von BMW, der Power-to-Gas-Strategie der VNG oder den Forschungen in den Fraunhofer-Instituten?

Es ist was los. Aber: Wie erzählt man das?

Immer deutlicher wird, da ja nun einmal „Regjo“ versucht, die großen, übergreifenden Themen zu bearbeiten, dass die alte Methode des Einsammelns nicht (mehr) funktioniert. Nicht in dieser Wirtschafts-, Medien- und politischen Landschaft. Denn da sitzen mittlerweile längst überall Leute, die durch die moderne Schule der „Public Relations“ gegangen sind. Überdeutlich wird das, wenn gleich zwei Autoren – René Falkner und Daniel Tieg – versuchen, den Vorsitzenden des Mitteldeutschen Presseclubs, Volker Brinkschulte, was zu fragen zur „Digitalisierung auf dem Medienmarkt“. Aber was fragt man, wenn man vom Thema keine Ahnung hat und der Befragte eigentlich auch nicht? Da bekommt man dann so eine Antwort: „Was einem Wandel unterzogen ist, sind unter anderem die Tools, mit denen Journalisten arbeiten können oder dann auch müssen. Da bedarf es neuer Fertigkeiten beziehungsweise der Aneignung neuen Wissens, um diese Tools anzuwenden. Der digitale Produktionsprozess wird sich ändern.“

Die Leser solcher Sätze werden sich bestimmt freuen. Die kommen nicht nur im Brinkschulte-Interview vor, sondern eigentlich in allen Interviews im Heft – und das sind eine ganze Reihe, fein gemischt mit Texten über diverse Projekte, Marketing-Wettbewerbe, Innovations-Wettbewerbe, Fördergesellschaften. Wer es noch nicht wusste, merkt hier beim Blättern, wie viel Fleiß und Mühe die Autoren sich beim Suchen möglichst vieler Themen gegeben haben – und wie sie am Ende bei den PR-Abteilungen der befragten Institutionen gelandet sind.

Ein Beitrag über die Leipziger Gewerbehofgesellschaft beginnt mit dem Satz: „In mehr als 20 Jahren hat sich die LHG Leipziger Gewerbehof GmbH & Co. KG mit ihrem breiten Portfolio an gewerblichen Flächen, die sich in zwölf Standorten über das gesamte Gebiet der Stadt erstrecken, als ein wichtiger Partner der Wirtschaftsförderung der Stadt Leipzig etabliert.“ Solche Sätze schreiben Unternehmen normalerweise in Image-Broschüren und Anzeigen. Sie sind dazu da, eine stinknormale Tätigkeit auf Erden aufzublasen zu einem bunten Luftballon. Dabei ist die LGH kein – wie hier suggeriert – eigenständiges Unternehmen, sondern ein von der Stadt Leipzig zusammen mit IHK und Handwerkskammer gegründetes Verwaltungsunternehmen.

Was durchaus eine Geschichte wert ist. Sogar viele. Dass die LHG hier überhaupt unter Wissenstransfer auftaucht, hat mit der Leipziger „Bio-City“ zu tun, die sie verwaltet – ein Erfolgsprojekt, ohne Frage. Aber dann könnte man ja eigentlich über dieses Erfolgsprojekt berichten und darüber, warum und wie es funktioniert.

Aber gerade deshalb redet ja Brinkschulte lieber über Tools, weil – wenn er denn ernsthaft gefragt werden würde – ein paar Gedanken über den miserablen Zustand des Journalismus in Mitteldeutschland fällig gewesen wären. Und über die Frage, warum die von ihm so gelobte „digitale PR-Arbeit“ in Mitteldeutschland keine Chance ist, sondern Teil des Problems. Nicht nur, weil damit die Berichterstattung über Wirtschaft in die Hände rundgelutschter PR-Agenturen abgeglitten ist, sondern weil der Stoff, den diese Buntmal-Agenturen produzieren, dann wieder die Medien füllt. Er sickert nicht nur hinein – er schwappt regelrecht hinein, weil natürlich die Unternehmen selbst den nötigen Druck aufbauen: Wer ihre Anzeigen haben will, muss auch die Schönwetter-Berichte aus ihren PR-Abteilungen nehmen. Und wer sich umschaut in den verbliebenen mitteldeutschen Medien, der sieht, wie das Zeug überall die Spalten und Kanäle füllt. Obwohl es ungenießbar ist.

Und weil das schon lange so geht und auch in Hochschulen die Grenzen zwischen Journalismus und PR längst aufgeweicht sind, begegnet man natürlich da draußen immer mehr blank gewienerten PR-Texte-Schreibern, die so tun, als wären sie Journalisten. Ihr Zeug wird ja gekauft, muss ja also irgendwie Journalismus sein, oder?

Das Ergebnis ist im Endeffekt auch eine mitteldeutsche Wirtschaftslandschaft, die eigentlich nichts über sich weiß. Denn wenn alle einander nur bunte PR-Texte zeigen und mit schicken Tools so tun, als wären sie ein ungemein kreativer Spitzenreiter in ihrer Branche, dann spricht niemand mehr über grundlegende Sorgen, Probleme, Produktionsbedingungen.

Dann entsteht ein seltsam traumhaftes Bild – auch in diesem „Regjo“-Heft – mit vielen auf Hochglanz getrimmten Artikeln, in denen eine Wissensregion geschildert wird, die eigentlich solche Kleckerregionen wie Stuttgart, München oder London schon lange hinter sich gelassen hat. Man schwebt in völlig anderen Dimensionen, sitzt eigentlich nur noch in Konferenzen zusammen, in denen man über die richtige Führungskräftekultur nachdenkt oder die nächste Hanse-Sail plant. Irgendwie co-workt man ja allerenden oder ist – das sickert ja nun sogar in die Theaterlandschaft, wie im Interview mit Jürgen Zielinski zu lesen, dem Chef des Theaters der Jungen Welt – „im Flow“.

Aber in Wirklichkeit fährt man noch immer „Mit der Bahn zur Burg“. War ja immerhin eines der bewegendsten Rettungsprojekte des letzten sächsischen Verkehrsministers, die sächsischen Dampfloks mit Geld aus den Regionalisierungsmitteln zu retten. Sowas nennt man Fortschritt. Oder wie wäre es mit einer vierseitigen Werbegeschichte für das Sommerkino der LVZ auf der Rennbahn Scheibenholz?

Genau da landet man dann irgendwann, wenn man an der Oberfläche bleibt und niemandem wehtun will. Die Gummiwand, an der alle Autoren ahnungsvoll zurückgeschreckt sind, ist überall spürbar. Und irgendwie (vielleicht weil seit Mittwoch, 20. Juli, wieder alle Kanäle mit der Trump-Märchen-Show gefüllt sind) denkt man natürlich beim Lesen an einen amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf, in dem alles Oberfläche und bunter Talmi ist.

Natürlich ist es in der Politik nicht anders. Wie das auf europäischer Ebene läuft, schildert ja Helge-Heinz Heinker in seinem großen Beitrag zum Brexit. Der Koloss EU leidet unter derselben Schizophrenie einer von PR-Strategen entwickelten Außendarstellung, die die eigentlichen Sorgen, Fehlstellen und Arbeitsprobleme dieses riesigen Apparates völlig verschleiert. Logisch, dass die Bürger immer mehr das Gefühl haben, einem spiegelverglasten Monstrum zu begegnen, das nicht bereit ist, über seine Probleme und Krankheiten zu sprechen. Woran die deutsche Politik nicht ganz unschuldig ist. Denn so bewahrt man sich Einfluss und muss niemandem Rechenschaft ablegen, schon gar nicht den Bürgern, die auf Brüssel schimpfen, obwohl die Schweinereien in der eigenen Landeshauptstadt passieren.

Das Stichwort heißt eigentlich: Transparenz.

Das ist das Gegenteil von PR. Sollte man eigentlich wissen, wenn man mal PR studiert haben sollte.

Die Frage ist also: Wie kann man ein richtig gutes Wirtschafts- und Kulturmagazin für eine sorgengepeinigte Region wie Mitteldeutschland machen, in dem es richtig spannend zur Sache geht, richtige Fragen gestellt werden und nicht solche Scheinfragen wie „Würden Sie digitale und analoge Medien als Antagonisten bezeichnen?“

Bleibt also nach Durcharbeiten des wieder reich und prächtig bebilderten Magazins ein hübsches Thema offen, das vielleicht mal bearbeitet werden könnte. „Wissenstransfer“ heißt es. Ist übrigens die eigentliche Aufgabe von Journalisten, egal, mit welchen Tools sie herumspielen. Und PR gehört nicht zum Bereich Wissenstransfer.

Und das ist nicht nur ein Problem des Journalismus oder einer Wirtschaft, die mittlerweile panische Scheu vor jeder kritischen Berichterstattung hat. Das betrifft auch ganz zentral die Politik, denn die Zerstörung von Glaubwürdigkeit beginnt nicht mit wild agitierenden Exit-Befürwortern, sondern im Kern. Da, wo Leute in entscheidende Positionen gekommen sind (oder gehievt wurden), aber sich hinter gut bezahlter und hochprofessioneller PR verstecken. Bis es knirscht im Gebälk. Oder um mal Helge-Heinz Heinker zu zitieren: „Und plötzlich trauen die EU-Oberen dieser nie dagewesenen Zäsur das Zeug zu, in anderen Mitgliedsländern Nachahmer zu finden. Donnerwetter. Wann reißen sie das Steuer herum, anstatt die Apokalypse zu beschwören?“

Diese Typen – zumindest ist das mein Eindruck – sind unfähig dazu, das Steuer herumzureißen. Dazu braucht man andere Fähigkeiten. Aber zumindest für eines ist PR immer gut: Sie spült Schaumschläger nach oben, die das Instrumentarium der Schönmalerei am besten beherrschen. So wird Oberflächlichkeit und Lösungsverweigerung belohnt. Und da die Typen mit Hilfe ähnlich schaumschlägerischer Medien genau da hingekommen sind, wo sie sind, ahnt man zumindest ein wenig, warum jetzt auf einmal keiner weiß, wie man aus der Soße wieder herauskommt. Dazu müsste man ja Ideen, Inhalte und Visionen haben.

„Aber er hat ja gar nichts an!“ sagte endlich ein kleines Kind in einer Geschichte, die eigentlich jedes Kind in Europa kennen sollte. Hans Christian Andersen hat ja bekanntlich noch eine Pointe draufgesetzt, die fast nie zitiert wird: „Aber er hat ja gar nichts an! rief zuletzt das ganze Volk.“ Und dann gingen die Kammerherren und „trugen die Schleppe, die gar nicht da war.“

Das ist die Wirkung guter PR.

Regjo „Wissenstransfer“, Ausgabe 2 / 2016, 3,90 Euro

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