Es ist eines der wichtigsten Themen, die für die Region Mitteldeutschland auf der Tagesordnung stehen: Vernetzung. In einem Regjo-Heft vor einem Jahr hat es sich schon mal angedeutet, jetzt haben es die Magazin-Macher versucht, thematisch zum Leitthema ihres neuen Heftes zu machen. Aber gibt es überhaupt einen Journalisten, der sich mit dem Thema auskennt?
Helge-Heinz Heinker zum Beispiel, der mittlerweile für Regjo die großen Leitkommentare schreiben darf. Kenntnisreich, hoch analytisch. Er weiß, wie eng das Zusammenspiel von Wirtschaft und Politik ist. Und wie sehr die Politik längst zur Hure von etwas geworden ist, was gern als „die Wirtschaft“ bezeichnet wird, auch wenn es nur immer wieder dieselben unersättlichen Riesen-Konzerne sind, die auf nichts und niemanden Rücksicht nehmen, schon gar nicht auf Arme, Schwache oder Staaten, die sich nicht an die von den Big Playern gesetzten Spielregeln halten. Von TTIP-Zumutungen und Wachstumsfetisch schreibt Heinker und prangert die „entfesselten Profitjäger“ an, wie es lange kein anderer tat.
Was aber hat das mit Mitteldeutschland zu tun?
Eine Menge.
Denn wenn man über Vernetzungen redet, dann muss man auch darüber reden, wer sich eigentlich wie vernetzt und wem es am Ende zugute kommt.
Die Ambition ist groß: „Vernetzen, was das Zeug hält“, ist Heinkers große Überschau über die bekannten großen Wirtschaftsnetzwerke der Region überschrieben: „Eine Reihe von Wirtschaftsclubs arbeitet an der Ausstrahlung Mitteldeutschlands“. Aber schon der freundliche Blick ins Gestrüpp zeigt: Jeder ackert hübsch für sich allein. Man versucht Kontakte, besucht sich auch mal. Aber schon wenn es um Förderbedingungen, staatliche Ansprechpartner, gemeinsame Initiativen geht, stehen die Landesgrenzen wie festgehämmert. Daran scheitert alles. Weil es auf politischer Ebene keine solchen Netzwerke gibt (von introvertierten Lokalinitiativen, in denen Lobbyisten ihre eigenen Süppchen kochen, mal abgesehen). Das ist ein bisschen wie auch in der Leipziger Stadtpolitik: Die politischen Amtsinhaber sind gar nicht daran interessiert, dass „die da unten“ mitreden und gestalten können. Man gibt sich zwar offener, da ja nun mal auch öfter von Transparenz die Rede ist. Aber wenn man dann mal die Türen öffnet und einlädt, möchte man doch gern selbst moderieren und hat schon seine ganz konkreten Zielvorstellungen, wo die Sache hin soll.
(Über das Thema „outgesourcte“ Politik werden wir auch noch schreiben. Aber nicht jetzt. Sie kommt – als negatives Beispiel für Vernetzung – in diesem Heft nicht vor.)
Und so bleibt alles beim Alten und in den alten Rahmensetzungen.
Gerade die Metropolregion Mitteldeutschland bekam und bekommt das immer wieder zu spüren. Die Leipziger Messe übrigens auch. Heinker schreibt auch über den „Lackschaden mit Ansage“, den die Messe durch die Absage der AMI 2016 erlebt hat, nennt auch einige möglichen Gründe dafür. Ein Grund ist natürlich, dass Leipzigs Messe noch immer ein kleiner Player ist im großen Geschäft und alle Kraft braucht, sich unter den zehn größten Messeplätzen in Deutschland zu behaupten. Andererseits erzählt die Absage der AMI natürlich auch davon, dass die gesamte Autobranche mit der Abgas-Affäre (die nicht nur eine Diesel-Affäre ist) derzeit in der größten Krise ihrer Geschichte steckt. Mobilität der Zukunft wird anders aussehen. Aber nur die wenigsten Autokonzerne haben diese Mobilitäts-Zukunft schon im Angebot.
Eigentlich der beste Anlass, mal konkret am Beispiel über Vernetzung zu sprechen. Denn Mobilität der Zukunft ist vernetzt. Daran arbeiten ja die Denkschmieden weltweit. Ob es die Elektromobilität ist (die mit zwei Unternehmen auch in Leipzig präsent ist, auch darüber schreibt Heinker), die geteilte Mobilität oder der modern vernetzte ÖPNV, den es einfach noch nicht gibt, weil es auch niemanden gibt, der ihn in der Region organisieren könnte, wenn man vom ZVNL absieht, der aber genauso wie jeder einzelne ÖPNV-Anbieter darunter leidet, dass die Politik auch in Sachen Verkehr nicht vernetzt denkt, sondern partikular: Jeder Bürgermeister, jeder Landrat ein kleiner König. Da werden dann auch die kommunalen Grenzen zur Prallmauer, an der Visionen, Ideen, Zukunftsoptionen enden.
Und natürlich taucht die Frage auf: Wer kann das eigentlich organisieren?
Die von Heinker so hübsch gefeierten Wirtschaftsclubs?
Kannste vergessen. Gerade bei solchen Themen tauchen sie alle ab. (Und die anderen optionalen Vernetzungsthemen, wo sie gefragt wären, zählen wir hier gar nicht erst auf). Sie machen fast alle nur Marketing, keine Visionspflege oder gar Projektarbeit. Aber was vermarktet man, wenn die wichtigsten Vernetzungsprojekte klemmen und an bürokratischen Grenzen scheitern? Wenn die Netzwerkverantwortlichen nicht über ihren Tellerrand hinaus planen dürfen? Oder gar nicht wahrnehmen, dass sie es müssten?
Logisch. Am Ende kommt ein heimeliges Potpourri des gefühlten „Wir sind irgendwas“ heraus. Eine Feier der empfundenen Außergewöhnlichkeit, die davon lebt, dass irgendetwas immer bejubelt wird. Da lebt man dann ein bisschen Mäzenatentum aus, freut sich, wenn auch mal Flugzeuge aus Holland landen – zwar nicht in Leipzig, sondern in Dresden. Man ahnt, dass hier in dieser Region das starke Zentrum fehlt, dieses Netz-Ergebnis, das sich anfühlt wie „An uns kommt ihr nicht vorbei“.
Das, was früher mal die Initiative Mitteldeutschland werden sollte. Aber die wichtigste Unterstützung fehlt ihr natürlich: die durch die drei Landesregierungen. Und so scheitert natürlich (fast) jede Netzwerkarbeit genau an dieser provinziellen Eigenbrötelei. Die Kleinen haben nicht genug Power und Kapital, um das große Netz zu knüpfen. Und die drei Halbgroßen spielen lieber Billard und lassen sich von den politischen Winden treiben oder fahren lieber nach Prag, Potsdam oder München, statt sich um das Gemeinsame zu kümmern, das man eigentlich anpacken müsste.
Das alles schreibt natürlich in „Regjo“ keiner. Dieses Auf-die-Füße-Treten passt nicht so ganz ins Profil.
Dabei ist es allerhöchste Zeit, einer Menge Leute so richtig auf die Füße zu treten, denn für einige Teile dieser so schön ausstrahlenden Region Mitteldeutschland schwimmen gerade die Felle weg. Könnte man sagen: Ätsch, selber schuld. Ihr habt doch die ganze Zeit immer nur „Icke, icke!“ geschrien. Aber es tut der gesamten Region nicht gut. Und das simple Fazit ist: Die bestehenden Initiativen und Vernetzungen reichen nicht. Es braucht ganz andere von ganz anderem Kaliber und mit ganz anderer Expertise, um Mitteldeutschland wirklich mal zu einer Marke auf der Landkarte zu machen. Das Kleinklein bringt die Region nicht weiter.
Und so freut man sich, dass das Thema aufgegriffen wurde und die Überschau erst mal so richtig zeigt, dass da was fehlt. Dankeschön.
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